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Besondere Gefahrenquellen im Schienenverkehr

Erstellt am: 28.11.2003 | Stand des Wissens: 05.03.2024
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Bei der Analyse der Betriebssicherheit im Schienenverkehr können einige Gefahrenquellen identifiziert werden, deren Risikopotenzial sich im Vergleich zum Gesamtsystem deutlich abhebt. Dabei sind maßgeblich folgende Gesichtspunkte zu nennen:
    Tunnelsicherheit
    Sicherheit an Bahnübergängen
    Sicherheit an der Bahnsteigkante
    Sicherheit im grenzüberschreitenden Schienenverkehr
    Gleisbaustellensicherung
    Sicherheit von Gefahrguttransporten/Tunnelsicherheit

Grundsätzlich ist das Unfallrisiko für Reisende und Personal in Eisenbahntunnel geringer als auf dem sonstigen Schienennetz. Gründe hierfür sind das Fehlen einiger potenzieller Unfallquellen wie beispielsweise Konflikte mit anderen Verkehrsträgern (insbesondere Bahnübergänge) oder Rangieraktivitäten. Aus den erschwerten Rettungsbedingungen folgt jedoch im Unglücksfall ein bedeutend höheres Schadenspotenzial für Menschen, Güter, Fahrzeuge und Infrastruktur. Dabei stellen insbesondere Brände in Tunnel eine große Gefahr dar [Zube03a, S. 26]. Betrieblich sowie baulich werden Maßnahmen vorgenommen, um das Potenzial und Ausmaß der Schäden weiter zu minimieren [EBA08].

Sicherheit an Bahnübergängen

Bahnübergänge sind höhengleiche Kreuzungen der Verkehrsträger Straße und Schiene. Die 13.624 Bahnübergänge der Deutschen Bahn AG [VDV22c], zuzüglich weiterer Querungen anderer (nichtbundeseigener) Eisenbahnen und Industriebahnen, stellen einen Unfallschwerpunkt des Systems Schiene dar. Im Jahr 2022 betrug die Anzahl an Unfällen, welche sich an Bahnübergängen ereigneten, 146. Der Wert stieg damit erneut an [Tage23c]. Die Einrichtung neuer Bahnübergänge ist gemäß den Ausführungen des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (EBKrG) nur noch in Ausnahmefällen zulässig [EBKrGa § 2]. Die im Rahmen von Ausbautätigkeiten von Schienenstrecken durchgeführte Beseitigung von Bahnübergängen hat bereits deren Zahl reduziert und wird dies auch weiterhin tun. Forschungen zur Erhöhung der Sicherheit an Bahnübergängen setzen insbesondere auf eine verbesserte Wahrnehmung der Beschilderung für den Straßenverkehr [Grip19]. 

Sicherheit an der Bahnsteigkante

Der Übergang zwischen Fahrzeug und Bahnsteig stellt einen klassischen Gefahrenbereich im System Bahn dar. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen von simpler Unachtsamkeit auf Seiten der wartenden Fahrgäste bis hin zu suizidale Intentionen. Speziell im Falle neu ausgebauter Strecken des Fernverkehrs ergibt sich darüber hinaus ein zusätzliches Unfallrisiko aufgrund der durch hohe Zugdurchfahrtsgeschwindigkeiten an Bahnsteiggleisen ausgelösten Sogwirkung [Lind07; Lind09; EBO § 13 (3)]. Grundsätzlich besitzen Bahnsteige weiße und gelbe Streifen, welche den Sicherheitsabstand markieren [DB24a]. Eine verbesserte Sicherheit an Bahnsteigkanten kann durch weitere technische und organisatorische Maßnahmen erzielt werden. Die Wirksamkeit und wirtschaftliche Umsetzbarkeit entsprechender Warn-, Absperr- und Überwachungssysteme sind jedoch wiederholt Gegenstand öffentlicher Diskussionen. In Abhängigkeit von den jeweils vorherrschenden örtlichen Gegebenheiten (zum Beispiel Anzahl auszustattender Haltepunkte, Fahrgastdichte) werden auch zukünftig fallspezifische Kosten-Nutzen-Betrachtungen zu uneinheitlichen Ergebnissen führen [FeBr05, S. 226 ff.]. Die Planung eines Pilotprojektes zur Einführung von Bahnsteigstüren in München wurde beispielsweise durch finanzielle Gründe eingestellt [Müll22].

Sicherheit im grenzüberschreitenden Schienenverkehr

Menschliches Versagen ist eine der Hauptursachen von Eisenbahnunfällen [EuKom00e, S. 14]. Jedoch ist der Schienenverkehr nach wie vor durch nationale Sicherheitsstandards gekennzeichnet. Das europäische Eisenbahnsystem stellt ein aus nationalen Schienennetzen zusammengesetztes Gebilde dar, dessen Schnittstellen geprägt sind von technischen, betrieblichen, organisatorischen und speziell auch Sicherheitsvorschriften betreffenden Inkompatibilitäten. Durch den stetigen Bedeutungszuwachs des grenzüberschreitenden Betriebs entstehen neue Probleme. Soll der aus wirtschaftlichen Gründen sinnvolle Betrieb mit dem gleichen Personal von Fahrtquelle bis -ziel ausgebaut werden, resultieren daraus neue Fehlerpotenziale. Unkenntnis oder Verwechslungen von Mitarbeitern können hierbei zu erheblichen Sicherheitsrisiken für den Schienenverkehr führen. Forschungsprojekte sollen der Identifikation möglicher Fehlerquellen dienen beziehungsweise neue europäische Standards für die Mensch-Maschine-Schnittstelle konzipieren.

Gleisbaustellensicherung

Arbeiten im Gleisbereich sind ebenfalls durch ein vergleichsweise hohes Unfallrisiko gekennzeichnet. Sich dem Gefährdungsbereich nähernde beziehungsweise in diesen einfahrende Schienenfahrzeuge können aufgrund des schweren Arbeitsgerätes der hier tätigen Personen nicht zuverlässig wahrgenommen werden. Als Sicherungsmaßnahmen dienen dabei, anders als sonst in der Technik üblich, größtenteils personenbezogene Verhaltensregeln. Ziel aktueller Entwicklungen ist es, bestehende automatische Warn- und Sicherungssysteme hinsichtlich ihres Funktionsumfangs und ihrer Wirkungsweise zu optimieren, um vermehrt auf verlässliche technische Sicherheitsmaßnahmen zurückgreifen zu können. [BGBA06, S. 1]

Sicherheit von Gefahrguttransporten

Die Beförderung gefährlicher Güter stellt für die verantwortlichen Stellen im Schienenverkehr nicht zuletzt aufgrund steigender Transportvolumina ein sicherheitsrelevantes Betätigungsfeld dar. Gegenwärtig sind 20 Prozent der Fracht als Gefahrgut deklariert [Lück24]. Zwar kann die Eisenbahn mit Blick auf das Prinzip der Spurführung einen Sicherheitsvorteil gegenüber anderen Verkehrsträgern für sich beanspruchen, im Gegensatz zum Straßenverkehr ist es dennoch nicht ohne weiteres möglich, den ordnungsgemäßen Zustand des Ladeguts sowie der Transportbehälter durch das Fahrpersonal kontinuierlich zu überwachen. Das ist jedoch hinsichtlich des von gefährlichen Gütern ausgehenden Schadenspotenzials für "die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere die Allgemeinheit, für wichtige Gemeingüter, für Leben und Gesundheit von Menschen sowie für Tiere und Sachen" [GGBefG] im Sinne einer effektiven Unfallprävention von hoher Bedeutung ist. Zur Verbesserung der Sicherheit unbegleiteter Transporte auf der Schiene werden, neben der Entwicklung und Implementierung crashoptimierter Eisenbahnfahrzeuge, auch Telematiksysteme eingesezt [Savy24]. In den letzten Jahren gibt es zudem insbesondere im Hinblick auf Wasserstoff- und Batterietransporte einige Neuerungen [DBC22a].
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Literatur
[ADAC02a] Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e. V. (ADAC) Bahnübergänge - ein zentrales Thema des ADAC seit Jahren - warum?, 2002
[BGBA06] o. A. Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Arbeiten an und in der Nähe von Gleisen, veröffentlicht in Warnkreuz Spezial, Ausgabe/Auflage 01/2006, 2006/01
[DB24a] Deutsche Bahn (Hrsg.) Richtiges Verhalten am Bahnsteig, 2024
[DBC22a] DB Cargo (Hrsg.) Sicherheit geht vor: von A bis Z den Gefahrguttransport im Griff, 2022/03/18
[EuKom00e] Det Norske Veritas A/S, European Rail Research Institute, Halcrow Group Ltd., HUMAN RELIABILITY ASSOCIATES LTD, Société Nationale des Chemins de fer Francais, TÜV InterTraffic GmbH Institut für Software, Elektronik, Bahntechnik (ISEB) Unternehmensgruppe TÜV Rheinland/Berlin-Brandenburg, TÜV Rheinland Anlagentechnik GmbH HUSARE - Human Safe Rail in Europe. Managing the Human Factor in Multicultural and Multilingual Rail Environments, 2000/02/28
[FeBr05] Feser, Thomas, Bramauer, Johann, Tazreiter, Andreas, Fullalove, Colin Sicherheit an der Bahnsteigkante, veröffentlicht in ZEVrail Glasers Annalen, Tagungsband SFT Graz 2005, 2005/11, ISBN/ISSN 1618-8330
[Grip19] Jan Grippenkoven Human Factors - Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Verhalten von Straßenverkehrsteilnehmern an Bahnübergängen, 2019
[Lind07] Lindstedt, Carsten Reisendensicherung auf Bahnsteigen, veröffentlicht in Deine Bahn, Bahn Fachverlag, 2007/11, ISBN/ISSN 0948-7263
[Lind09] Lindstedt, Carsten Sicherheit am Zugang und auf dem Bahnsteig, 2009/06/22
[Lück24] Ullrich Lück Gefahrgüter lieben die Schiene, 2024
[MRAW09] o. A. Mehr Sicherheit auf U-Bahnsteigen durch konstruktive Maßnahmen, 2009/12/08
[Müll22] Felix Müller Münchner Projekt Bahnsteigtüren: MVG bläst sogar den Test ab, 2022/05/17
[Nahv03] o.A. Verkehrssicherheit an Bahnübergängen, veröffentlicht in Nahverkehrspraxis, Ausgabe/Auflage 7/8, Fachverlag Dr. H. Arnold GmbH Dortmund, 2003, ISBN/ISSN 0342-9849
[RW08a] Elfenhorst, Jan, Baierle, Dieter Fit für den Notfall, veröffentlicht in Railways, Ausgabe/Auflage 04/08, 2008/04
[Savy24] Savy Telematic Systems AG (Hrsg.) Intelligente Telematik-Lösungen für Digitalisierung in der Logistik, 2024
[Schu13] Schumacher, Oliver Bahnübergänge im Netz der Deutschen Bahn - Sensible Schnittstellen zwischen Schiene und Straße, Berlin, 2013/01/31
[StBu12b] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Verkehrsunfälle 2011, 2012/07/06
[StBu12c] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Gefahrguttransporte 2010, Ausgabe/Auflage Fachserie 8 Reihe 1.4, 2012/11/06
[Tage23c] Tagesschau (Hrsg.) Die unterschätzte Gefahr, 2023/03/28
[VDV22c] VDV (Hrsg.) Daten & Fakten: Statistik zum öffentlichen Personennahverkehr und Schienengüterverkehr in Deutschland, 2022/06
[Zube03a] Zuber, Peter, Dipl.-Ing. Neues UIC-Merkblatt "Sicherheit in Eisenbahntunneln" , veröffentlicht in rail international - Schienen der Welt, Ausgabe/Auflage 2, 2003
Statistiken
[Stat624] Deutsche Bahn AG Konzern Unfälle an Bahnübergängen 2008, 2009
[EBA08] Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an den Bau und den Betrieb von Eisenbahntunneln
[EBKrGa] Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz)
[EBO] Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO)
[GGBefG] Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter - Gefahrgutbeförderungsgesetz
Glossar
H2 Wasserstoff ("H2" = grch.-lat. für hydrogenium "Wassererzeuger") ist das chemische Element mit der Ordnungszahl 1. Wasserstoff stellt sowohl bezogen auf die Masse (75%) als auch bezogen auf die Zahl der Teilchen (91%) das häufigste aller im All vorkommenden Elemente dar. Wasserstoff ist ein farb- und geruchloses Gas welches in der Natur aufgrund der hohen Reaktivität nicht in seiner elementaren Form vorkommt. Wasserstoff liegt gebunden in Form von Erdöl und Erdgas, in Mineralien, in Biomasse, aber vorwiegend in Form von Wasser vor. Wasserstoff ist somit ein Sekundärenergieträger (Energiespeicher)und muss erst aus den oben genannten fossilen oder nicht fossilen Primärenergieträgern unter Einsatz von zusätzlicher Energie hergestellt werden.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?67379

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 10:39:14