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Steuerung des Betriebsablaufs und Anschlusssicherung im ÖPNV

Erstellt am: 09.09.2004 | Stand des Wissens: 24.10.2024

Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Voraussetzung für die Steuerung des Betriebsablaufs im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist die Erfassung des Betriebszustandes (Ortung der eingesetzten Fahrzeuge) und der Vergleich der Ist-Werte mit den Soll-Werten (Fahrplandaten). Störungen können auf diese Weise frühzeitig erkannt und durch geeignete Maßnahmen beseitigt werden. Eine Anschlusssicherung zwischen verschiedenen Linien und Verkehrssystemen ist erst mit Kenntnis der genauen Fahrplanlage möglich.
Zur Zusammenführung der Daten bei der Erfassung der Fahrzeugposition und der Fahrplanlage werden Rechnergestützte Betriebsleitzentralen (RBL) eingesetzt.
Eine Anschlussüberwachung kann in der Leitzentrale durch einen Disponenten erfolgen. Dabei ist zu beachten, dass einzelne Verspätungen möglichst nicht in das Gesamtnetz übertragen werden oder sich gar kumulieren. Eine vollständige Sicherung aller Anschlüsse ist auch aus Sicht der Fahrgäste nicht zweckmäßig, die ohne Umsteigevorgänge Fahrzeitverlängerungen in Kauf nehmen müssen. Vom RBL kann unter Vorgabe einer maximalen Wartezeit auch eine automatische Anschlusssicherung vorgenommen werden, wobei der Abbringer in Abhängigkeit von Umsteigezeiten und Verspätungen des Zubringers zum Warten aufgefordert wird und vom Leitstellenrechner das Abfahrtsignal erhält. Verkehrsunternehmen, die RBL-Systeme mit Anschlusssicherung einsetzen, sind beispielsweise die Berliner Verkehrsbetriebe, die Dresdner Verkehrsbetriebe AG [Funk10] und die Stadtwerke München.

Anschlussbeziehungen sind unterschiedlich bedeutsam und werden den Kunden unterschiedlich kommuniziert. Man unterteilt in folgende Kategorien [Dutsch12]:
  • ausgewiesene und garantierte Anschlüsse,
  • ausgewiesene und nicht garantierte Anschlüsse,
  • nicht ausgewiesene Anschlüsse,
  • spontan entstehende Anschlüsse.

Während Umsteigebeziehungen im realen Betrieb spontan entstehen, ergeben sich Anschlüsse stets vorab aus dem Fahrplan. Bedeutsame Anschlüsse werden den Kunden gegenüber meist extra ausgewiesen. Zunehmend geben Verkehrsunternehmen den Kunden darüber hinaus für ausgewählte bedeutsame Anschlüsse ein Garantieversprechen, das die Kunden bei Nichterfüllen einlösen können [Dutsch12].

Im Leitprojekt "Mobilist" wurde durch das Konsortium des Teilprojekts C3 ein Anschluss-Informationssystem entwickelt, das Busfahrer betreiberübergreifend über die voraussichtlichen Ankunftszeiten von Anschlusszügen (S-, U-Bahnen und Regionalzüge) unterrichtet. Die Entscheidung über verlängerte Haltezeiten trifft das Busfahrerpersonal individuell. Monitore in den Fahrzeugen und an den Umstiegspunkten informieren gleichzeitig die Fahrgäste über die Anschlusssituation. Eine Akzeptanzuntersuchung, angelegt als repräsentative Querschnittsbefragung unter der Bevölkerung im Untersuchungsraum, hat gezeigt, dass 67 Prozent der Befragten Interesse an der Information über bestehende Anschlüsse besitzt. Für 18,5 Prozent der Befragten würden derartige Informationen auch Anlass geben, den öffentlichen Verkehr (ÖV) voraussichtlich verstärkt zu nutzen [BäPfWe04].

Auch in [BMVBW03p] wurde die betriebsübergreifende Anschlusssicherung untersucht, hier zwischen der Hamburger Hochbahn AG (HHA) und dem Verkehrsbetrieb Hamburg-Holstein AG (VHH) im Untersuchungsraum Hamburg. Um das bislang aufwändige Verfahren der betriebsübergreifenden Anfrage und Rückmeldung bei zu sichernden Anschlüssen zu beschleunigen, wurden bei der VHH ein Rechnergestütztes Betriebsleitsystem (RBL) eingerichtet (die HHA verfügt bereits über ein RBL), die Fahrzeugflotte mit Bordrechnern ausgestattet und die VDV-Schnittstelle 453 zwischen den RBL beider Unternehmen realisiert. Gekennzeichnete Fremdanschlüsse werden vom Leitsystem des Abbringers überwacht und automatisch oder manuell gesichert. Liegen keine Ist-Daten vom Fremd-Zubringer vor, so wird der Anschluss aufgegeben.

Zur Qualitätserhöhung und Kundengewinnung im ÖV sollen Nutzende während der Reise kontinuierlich begleitet und unterstützt werden. Dazu wurde 2011 die Initiative "Von Tür zu Tür - eine Mobilitätsinitiative für den Öffentlichen Personenverkehr der Zukunft" [BMWi11k] vom Bundeswirtschaftsministerium gestartet. Ein Forschungsprojekt dieser Initiative ist AMPER [Hilk12], welches in Sachsen-Anhalt einen Dienst erprobt, der die individuellen Anschlusswünsche der Fahrgäste aufnimmt und sichert. Der Fahrgast teilt dem Betreiber über das Internet, über Mobilfunk oder über Servicepersonal seine Anschlusswünsche mit. Diese werden in Echtzeit überwacht und bei eintretenden Abweichungen werden Alternativen vorgeschlagen.
Ansprechperson
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Verkehrsträgerspezifische Maßnahmen und Instrumente des Verkehrsmanagements (Stand des Wissens: 22.10.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?33559
Literatur
[BäPfWe04] Bäumer, Marcus, Dipl.-Stat. , Pfeiffer, Manfred, Dipl.-Soz. , Weber, Witgar, Dr. iur. Anschluss-Informationssysteme: Ihre Akzeptanz im ÖPNV - Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in der Region Stuttgart, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 7-8/2004, alba Fachverlag Düsseldorf, 2004, ISBN/ISSN 0722-8287
[BMVBW03p] Beratungsgesellschaft für Leit-, Informations- + Computertechnik mbH Realisierungsbegleitung der Integrationsschnittstelle zwischen rechnergestützten Betriebsleitsystemen für betriebsübergreifende Dispositionsmaßnahmen, 2003/10
[BMWi11k] Dr. Siegfried Meuresch Förderrichtlinie "Von Tür zu Tür" - Eine Mobilitätsinitiative für den Öffentlichen Personenverkehr der Zukunft, 2011/01/10
[Dutsch12] Dutsch, S., Jin, S. Erhöhen der Verlässlichkeit des ÖPNV durch fahrtkonkrete LSA-Beeinflussung und Anschlusssicherung, 2012
[Funk10] Funk, U. Vorstellung des modernisierten RBL-Systems der DVB AG in Abgrenzung zum Regio-RBL des VVO, Dresden, 2010/12/15
[Hilk12] Ulrike Hilken-Müer, Heike Twele, Daniel Schmidt, Sebastian Schmermbeck AMPER - Betreuter Anschluss mit persönlicher Navigation, 2013/10/17
Weiterführende Literatur
[VDV03c] Beratungsgesellschaft für Leit-, Informations- + Computertechnik mbH, Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) Integrationsschnittstelle Rechnergestützter Betriebsleitsysteme, veröffentlicht in VDV Schriften, Ausgabe/Auflage 453, 2003
[ScPr05] Schneider, Rainer, Protschka, Hans Verkehrsabhängige, effiziente ÖPNV-Beschleunigung mit planfahrt und Vx-LiSA (Teil 2), veröffentlicht in Verkehr und Technik, Ausgabe/Auflage Heft 11, 2005
Glossar
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
RBL
Rechnergestützte Betreibsleitsysteme sind Rechner-Verbundsysteme mit denen Steuerungs-, Überwachungs- und Informationsprozesse im Fahrbetrieb untereinander verknüpft werden. Diese kommen hauptsächlich in folgenden Bereichen zum Einsatz:
  • Informations- und Kommunikationsmöglichkeit zwischen Fahrzeug und Leitstelle
  • rechnergestützter Fahrbetrieb
  • Fahrgastinformation in Fahrzeugen und an Haltestellen sowie über Mobilfunk und Internet (dynamische Fahrgastinformation)
Inzwischen wurde der Begriff "RBL" durch "ITCS" (Intermodal Transport Control System) ersetzt.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?105924

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 14:56:44