Kollisionssicherheit bei Schienenfahrzeugen
Erstellt am: 01.12.2003 | Stand des Wissens: 22.03.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Statistisch gesehen ist das Risiko, bei einem Kollisionsunfall im Schienenverkehr tödlich zu verunglücken, deutlich geringer als im Luft- oder gar Straßenverkehr. Aufgrund der hohen medialen Aufmerksamkeit bei Bahnunglücken (beispielsweise Bahnunglück von Santiago de Compostela, Spanien, 2013) und den immer höheren Geschwindigkeiten sind die Bahnen jedoch bemüht, die Sicherheit weiter zu erhöhen. Um dem Deutsche Bahn AG Konzern und der deutschen Bahnindustrie die Möglichkeit zu geben, die passive Sicherheit der Inneneinrichtungen im Regelwerk aktiv mitzugestalten und anschließend die erforderlichen Nachweise vorlegen zu können, wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen seiner Bahnforschungsprojekte das Projekt "Sicher Reisen" initiiert und durchgeführt. [BMBF05b]
EU-Forschungsprojekte
Im Vordergrund steht dabei die Verbesserung der aktiven Sicherheitssysteme, wie sie zum Beispiel die Signaltechnik darstellt [Wolt01a, S. 193]. Aber auch die passive Sicherheit von Schienenfahrzeugen war in den vergangenen Jahren ein intensiv bearbeitetes Forschungsfeld. Ziel der Fahrzeughersteller war und ist, künftige Fahrzeugkonstruktionen "crashfähig(er)" zu gestalten. Dafür soll die kinetische Kollisionsenergie verstärkt vom Wagenkasten und dessen Komponenten in kontrollierte Verformungsarbeit umgewandelt werden. Auch die Inneneinrichtung soll die Verletzungsgefahr für die Reisenden verringern. [Wolt01, S. 63]
Bei der für einen Crash ausgelegten Konstruktion von Schienenfahrzeugen gibt es prinzipiell zwei Strategien: Das klassische Prinzip ist der überwiegende Einsatz der Frontpartie des Zuges zum Abbau der Kollisionsenergie. Alternativ dazu können zwischen den Wagen Deformationszonen über die gesamte Zuglänge verteilt angeordnet werden. [HeUd02, S. 346] Von besonderer Bedeutung war dabei das durch die Europäische Kommission und die Union Internationale des Chemins de fer (UIC, dt. Internationaler Eisenbahnverband) finanzierte Forschungsprojekt SAFETRAIN, das 2001 endete. Es verfolgte die Zielsetzung, eine der aktiven Sicherheit des Systems Bahn und dem daraus resultierenden Kollisionsrisiko angemessene passive Fahrzeugsicherheit zu gewährleisten. Aus einer europaweiten Analyse der Kollisionsunfälle wurden Referenz-Kollisionsunfälle abgeleitet, die den Großteil aller Kollisionsunfälle abdecken:
- Zusammenstoß zweier gleichartiger Züge
- Kollision eines Zuges mit einem 15 t-Straßenfahrzeug an einem Bahnübergang
- Aufprall auf ein stehendes Schienenfahrzeug
Auf Basis dieser Referenzunfälle wurde in Computersimulationen die optimale Anordnung der energieabsorbierenden Bauteile ermittelt. Die Validierung der Simulationsergebnisse erfolgte mit Hilfe von Crash-Versuchen [Wolt03, S. 35 ff.]. Die Ergebnisse des Projekts SAFETRAIN bildeten eine Grundlage für die Normierungsverfahren im Bereich der passiven Sicherheit von Schienenfahrzeugen. So wurde die seit 2000 gültige Norm DIN EN 12663-1 "Festigkeitsanforderungen an Wagenkästen von Schienenfahrzeugen" 2008 durch DIN EN 15227 "Anforderungen an die Kollisionssicherheit von Schienenfahrzeugkästen" ergänzt und bildet (seitdem) die normative Basis für die passive Sicherheit von Schienenfahrzeugen [Gard08]. Praktische Anwendungen der im Projekt SAFETRAIN gewonnenen Erkenntnisse über den Bau kollisionssicherer Lokomotiven zeigt das Beispiel der TRAXX-Lokomotiven [WoCa13].
SAFETRAIN bot jedoch nur Informationen über die Kollisionssicherheit von Vollbahnen (DIN EN 15227, Fahrzeugkategorie C-I: Lokomotiven, Eisenbahnwagen und Triebwagenzüge). Aus diesem Grund wurde im nachfolgenden Forschungsprojekt SAFETRAM die Kollisionssicherheit von Leichttriebwagen, S- und U-Bahnen sowie Stadt- und Straßenbahnen analysiert (DIN EN 15227, Fahrzeugkategorie C-II bis C-IV) [Iwai12, S. 25 ff.; EuKom04b]. Hierbei stand eine kostengünstige Verbesserung von Straßenbahnfahrzeugen durch "die Schaffung von Überlebensräumen innerhalb von stärkeren Wagenkastenelementen und die Verringerung von Aufprallkräften bei einer Kollision" im Vordergrund [Hech04, S. 288]. Anhand der Untersuchungsergebnisse wurden zwei verschiedene Wagenkastenmodelle entwickelt. Ein Modell wurde aus Aluminium für den innerstädtischen Gebrauch gefertigt. Ein weiteres Modell aus Stahl entstand für den Überlandeinsatz. Das Projekt SAFETRAM wurde im Sommer 2004 abgeschlossen. Die EU-Forschungslinie zur Verbesserung der Sicherheitssysteme wurde mit dem Forschungsprojekt SAFEINTERIORS bis 2010 fortgeführt [Robe06].