Sicherheit an Bahnübergängen
Erstellt am: 20.10.2003 | Stand des Wissens: 23.02.2017
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IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Bahnübergänge sind höhengleiche Kreuzungen der Verkehrsträger Straße und Schiene. Es handelt sich dabei um ein historisch gewachsenes System, wobei zunächst verkehrsarme Wege und Straßen ebenfalls verkehrsarme Bahnlinien kreuzten. Mit wachsendem Verkehrsaufkommen erfolgte eine Anpassung an die neuen Erfordernisse. [BMVBS98, S. 9] Allein das Netz des Deutsche Bahn AG Konzern (DB AG) umfasst zurzeit 18.699 Bahnübergänge [Schum14, S. 2]. Hinzu kommen weitere Bahnübergänge anderer [nichtbundeseigener] Bahnen bzw. Industriebahnen, sodass sich die Gesamtanzahl entsprechender höhengleicher Kreuzungen bundesweit auf knapp 50.000 summiert [Zimm10a, S. 1].
Grundsätzlich ist jeder Bahnübergang technisch mit dem Andreaskreuz gesichert und gekennzeichnet, das dem Schienenverkehr Vorrang vor dem Straßenverkehr einräumt [StVO, § 41 Zeichen 201]. Dieses absolute Vorfahrtsrecht ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass Schienenfahrzeuge aufgrund ihrer Spurführung nicht ausweichen können und bereits in niedrigem Geschwindigkeitsbereich einen vergleichsweise langen Bremsweg haben. Zusätzlich können die beiden Verkehrsströme mit Halb- oder Vollschranken zeitlich entkoppelt werden. Starke Verkehrsströme bedingen eine räumliche Entkopplung mittels Unter- oder Überführungen (sog. höhenfreie Kreuzungen). [EBKrGa, §§ 1 und 14]
Sicherungsarten von Bahnübergängen
Die Sicherungsart der Bahnübergänge richtet sich nach der Geschwindigkeit auf der Schiene, dem Verkehrsaufkommen auf der Straße und nach den örtlichen Gegebenheiten [Reic01, S. 46]. Strecken, die von Zügen mit Geschwindigkeiten über 160 km/h befahren werden, dürfen keine höhengleichen Kreuzungen der Verkehrsträger Straße und Schiene aufweisen. Überlegungen, aus Kostengründen von dieser Verfahrensweise abzuweichen und Bahnübergänge auch bei höheren Streckengeschwindigkeiten zuzulassen, wurden von einer Studie im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (heute BMVI) vor allem aus Sicherheitsgründen prinzipiell zurückgewiesen. [BMVBS98, S. 57 ff.]. Sämtliche Regelungen zur Gestaltung von Bahnübergängen finden sich in § 11 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO).
Abb. 1: Bahnübergänge, Bau- und Sicherungsformen [Ende06a, S. 50](Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Bahnübergänge bilden ein heterogenes System mit einem weiten Spektrum an Sicherungsarten. Mehr als die Hälfte der Bahnübergänge der DB AG ist technisch gesichert, davon ungefähr
Bahnübergänge bilden ein heterogenes System mit einem weiten Spektrum an Sicherungsarten. Mehr als die Hälfte der Bahnübergänge der DB AG ist technisch gesichert, davon ungefähr
- 24 Prozent mit vollem Schrankenabschluss und Lichtzeichen,
- 66 Prozent mit Lichtzeichen bzw. Blinklicht und Halbschranken,
- 10 Prozent ausschließlich mit Blinklicht oder Lichtzeichen.
[Schum14, S. 2]
Ein vergleichsweise hoher Anteil nichttechnisch gesicherter Bahnübergänge ist weiterhin nur per Sichtkontrolle der Fahrzeugführer und durch akustische Warnsignale (Pfeifen) des Schienenfahrzeugs gesichert. Vor allem bei Kreuzungssituationen mit unzureichender Sicht ist das Kollisionsrisiko besonders hoch, da die Pfeifsignale überhört oder nicht an der richtigen Stelle abgegeben werden können. Aus diesen Gründen werden Änderungen bestehender Vorschriften angestrebt. [Spec13, S. 32 ff.; ScBa13, S. 38 ff.] Ebenfalls problematisch erscheint aus heutiger Sicht das Konzept der "Anrufschranke", das nach wie vor bei ca. 1.000 schwach frequentierten Bahnübergängen deutschlandweit vorzufinden ist; hier ist die Schranke im Normalfall geschlossen. Nach Anforderung mithilfe einer Wechselsprechanlage wird diese durch den Bediener freigegeben, wodurch die Sicherung des Bahnübergangs faktisch aufgehoben wird. [Pelz13, S. 44 f.]
Alle technisch nicht gesicherten Bahnübergänge werden dreimal im Jahr einer Überprüfung unterzogen, die technisch gesicherten erfahren zweimal jährlich eine sicherheitstechnische Kontrolle. Darüber hinaus findet in einem zwei- bis vierjährigen Turnus eine sog. Bahnübergangsschau statt, die mit einer erneuten Beurteilung der örtlichen Verhältnisse verbunden ist, besonders im Hinblick auf eine angemessene Beschilderung. Zur Sicherung der Bahnübergänge wendet allein die DB AG bundesweit nach eigenen Angaben jährlich rund 170 Mio. EUR auf. Hinzu kommen weitere 340 Mio. EUR, die vom Bund und den Straßenbaulastträgern aufgebracht werden. [Zimm10a; Schum14; Schö14, S. 21 ff.; VwV-StVO, zu § 45 Abs. 3 (IV.)] Allerdings konnte die Zahl der Übergänge in den vergangenen Jahren u. a. im Rahmen der durch die DB AG durchgeführten Beschleunigungsmaßnahmen kontinuierlich reduziert werden. Zwischen 1994 und 2012 sank der Bestand der Bahnübergänge um fast 35 Prozent (Abbildung 2). Die Einrichtung neuer Bahnübergänge ist nach den Ausführungen des EBKrGa nur noch in Ausnahmefällen zulässig. [EBKrGa, § 2; Kunz13, S. 55]
Sicherheitslage bei höhengleichen Bahnübergängen
In den vergangenen Jahren gingen die Unfallzahlen auf "höhengleichen Kreuzungen der Verkehrssysteme Straße und Schiene" konstant zurück. Wurden 1994 noch 628 Unfälle registriert, verzeichnete die Statistik 2013 an Bahnübergängen nur noch insgesamt 193 Verkehrsunfälle [DBML14a]. Allerdings geht beispielsweise der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten von Polizei und Bundespolizei von einer statistischen Dunkelziffer aus [ADAC02a, S. 1]. Nach Darstellungen der DB AG sind über 90 Prozent der Bahnübergangsunfälle auf das Fehlverhalten von Straßenverkehrsteilnehmern zurückzuführen, welches sich zum Beispiel aus der Unkenntnis über die Bedeutung des Andreaskreuzes und der Sicherungsanlagen speist [DBAG09c; Schum14, S. 1].
Bereits 1980 war von der Bundesregierung ein "Programm zur Beseitigung von höhengleichen Bahnübergängen" in die Wege geleitet worden, wobei hierfür bis 1996 erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wurden [BT82, S. 28; BT89, S. 56]. Die mit dem (Um-)Bau bzw. der Beseitigung von Bahnübergängen verbundenen Kosten werden nach der heutigen gesetzlichen Regelung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (EBKrGa) je zu einem Drittel von der Bahn, dem Bund und dem Straßenbaulastträger (Eigentümer der Straße) getragen. Diese Regelung gilt sowohl für die Errichtung technischer Sicherungsanlagen, etwa den Einbau einer Schranke oder Halbschranke, als auch für die Beseitigung von Bahnübergängen durch Unter- oder Überführungen. Die Kostenteilung hat zur Folge, dass kein Beteiligter alleine über Veränderungen entscheiden kann. [EBKrGa, §§ 3 und 13]
Forschung
2006 entstand der Verbund "Safer European Level Crossing Appraisal and Technology" (SELCAT). Das weltweite Netzwerk diente dem Austausch und der Verbreitung von Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Bahnübergangssicherheit. Gefördert wurde das Projekt, das 2008 endete, von der Europäischen Kommission. Als Projektkoordinator fungierte das "Institut für Verkehrssicherheit und Automatisierungstechnik" der TU Braunschweig. Weitere deutsche Partner waren die DB AG, der ADAC sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR). [Slov08]
In der Schweiz prüfte man 2006 mit einer neu konzipierten Pilotanlage, wie mit möglichst geringem finanziellen Aufwand an sehr schwach frequentierten Bahnübergängen ein Sicherheitsniveau erreicht werden kann, das annähernd jenem einer herkömmlichen Blinklichtanlage entspricht. Dabei strebte die Arbeitsgruppe "MICRO", bestehend aus Bundesbahnen und -ämtern, mindestens die Halbierung der für eine konventionelle Blinklichtanlage notwendigen Investitionssumme von ca. 200.000 CHF an. In einem sog. Inselbetrieb verzichtet man auf die Verknüpfung mit dem Stellwerk und auf die Rückmeldung an den Lokführer mit einem Signal, einer Kontrollleuchte oder einer Zugsicherung. Eine Wechselanzeige macht indessen die Straßenverkehrsteilnehmer auf Funktionsstörungen aufmerksam. [BLS06; Leem08, S. 25 ff.; KlMa11, S. 15 ff.; JeSc06] Im Rahmen der "Departement-Strategie 2012" des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation [im Schweizer Bundesamt für Verkehr] ist die Sanierung von 290 Blinklichtanlagen mit der Low-Cost-Technik MICRO vorgesehen. Die für entsprechende Bahnübergänge geltende Antrags-Sanierungs-Frist lief Ende 2014 aus. [Zeil13, S. 13 ff.]
Auch in Deutschland wurden optimierte Lösungen für schwach befahrene Bahnübergänge erforscht. Auf der sog. "Kurhessenbahn" (Gebiet Kassel-Marburg) wurde in der Nähe des Bahnhofs Korbach im Juni 2013 der Prototyp einer benutzergesteuerten Bahnübergangssicherungsanlage vom Typ BUES2000 in Betrieb genommen. Dort sind die Schranken in der Grundstellung geschlossen. Bei Kreuzungsbedarf wird die Anlage vom Benutzer selbst mittels Knopfdruck betätigt. Nähert sich dem Bahnübergang jedoch nun ein Zug, wird vom Stellwerk aus eine Öffnungssperre eingegeben. [GrLa14, S. 29 ff.] Ähnliche Technologien könnten zukünftig zur Ablösung der oben beschriebenen "Anrufschranken" zum Einsatz kommen [Pelz13, S. 45 ff.].
Forschungsaktivitäten zur Sicherheit auf Bahnübergängen führt auch das DLR durch, wobei hier das besondere Augenmerk auf möglichem Fehlverhalten von Straßenverkehrsteilnehmern liegt. Zu diesem Zweck setzt die Forschungseinrichtung ein spezielles Versuchsfahrzeug ein, mit dem Realfahrten vorgenommen und fahrzeugseitig Daten erhoben werden können. Darüber hinaus dient ein mit Sensoren ausgestatteter Forschungsbahnübergang zur Sammlung der infrastrukturseitig relevanten Daten. [ScGr14, S. 58 ff.]