Mobilitätslösungen/ -konzepte für eine Neuverteilung des öffentlichen urbanen Raums
Erstellt am: 27.02.2025 | Stand des Wissens: 27.02.2025
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Mit der Umsetzung einer Neuverteilung des öffentlichen Raums in Städten sollen umwelt- und klimaschonende Mobilitätslösungen und -konzepte in Kombination mit infrastrukturellen und rechtlichen Maßnahmen sicherstellen, dass Nutzende auch zukünftig ein Höchstmaß an Mobilität gewährleistet werden kann.
Bereits seit 2008 wird in der deutschen Verkehrspolitik ein Fokus auf den Bereich Elektromobilität gelegt [BMDV23ah]. Es wird insbesondere angestrebt, den Anteil von Elektroautos am Verkauf von (privaten) Neufahrzeugen zu steigern. Dies könnte unter anderem durch Anreize für den Kauf von Elektrofahrzeugen, der CO2-Flottenregulierung der Europäischen Union (EU) oder der Erweiterung der Tank- und Ladeinfrastruktur erreicht werden [BMDV23af]. Zwar gewinnt Elektromobilität zunehmend an Bedeutung, jedoch ist die bisherige Marktdurchdringung von Elektroautos in Deutschland noch relativ gering: Während der Anteil von elektrisch angetriebenen Pkw im Bereich der Neuzulassungen im Jahr 2023 bei 18,4 Prozent lag, betrug der Bestandsanteil der Pkw mit rein elektrischen Antrieben am 1. Januar 2024 nur 2,9 Prozent [KBA24b, KBA24c]. Auch alternative Kraftstoffe, beispielsweise Wasserstoff, Biokraftstoffe und strombasierte Kraftstoffe, sogenannte "E-Fuels", können einen wichtigen Klimaschutzbeitrag leisten [BMDV23af]. Die Ansätze zur Elektrifizierung oder zur Nutzung alternativer Kraftstoffe im motorisierten Individualverkehr (MIV) ersetzen jedoch nur die Antriebstechnologien der Pkw. Abseits von gezielten Infrastrukturanpassung (Ladesäulen, ausgewiesene Parkflächen, Mitbenutzung von Umweltspuren) findet keine strategische und ressourceneffiziente Optimierung der Verkehrsströme statt. Das Potenzial einer Beeinflussung des Mobilitätsverhaltens wird auf diese Weise nicht erschlossen. Während neue Antriebtechnologien im MIV für eine Neuverteilung des Raums demnach eine zu vernachlässigende Rolle spielen, kann zum Beispiel die Elektrifizierung von Fahrzeugflotten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), aber auch im Lieferverkehr in Kombination mit dem Einsatz von kleineren Fahrzeugen zur Warendistribution, durchaus einen Mehrwert für die Aufenthaltsqualität im städtischen Raum (unter anderem durch eine geringere Emissionsbelastung) darstellen. Auch der Boom von E-Bikes, Pedelecs [ZIV20a] und elektrisch fahrenden oder unterstützten Lieferfahrzeugen zeigt, dass die Elektrifizierung zu einer positiven Entwicklung für die Flächennutzung, Steigerung der Aufenthaltsqualität durch die Reduzierung von Emissionen und eine Verhaltensänderung beitragen kann.
Durch eine Stärkung des Umweltverbundes, aber auch durch die Verknüpfung von Mobilitätsangeboten, sollen Nutzende zu einer situationsadäquaten und ressourcenschonenden Wahl von Verkehrsmitteln befähigt und angeregt werden. Während der Besitz und die Nutzung des privaten Pkw monomodales Mobilitätsverhalten bedingt oder fördert, soll durch den Ausbau und die Vernetzung von alternativen Mobilitätsoptionen multi- und intermodales Mobilitätsverhalten angeregt und gefördert werden. Während Multimodalität die grundsätzliche Nutzung verschiedener Verkehrsmittel für unterschiedliche Wege bezeichnet, zeichnet sich intermodales Mobilitätsverhalten durch die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel während einer Ortsveränderung aus (siehe Abbildung 1) [BBSR15b, S. 7]. Die Verknüpfung von Mobilitätsangeboten kann dabei raumbezogen erfolgen, zum Beispiel durch Mobilitätsstationen und Park-and-Ride-Anlagen, oder mithilfe digitaler Systeme unterstützt werden beispielsweise durch digitales Routing und Ticketing.
![Abb. 1: Unterschied zwischen multi- und intermodalem Verkehrsverhalten [Eintrag-Id:320791, S. 23] Bild2.jpg](/servlet/is/590685/Bild2.jpg)
Neben den etablierten Mobilitätsoptionen (Pkw, ÖPNV, Fahrrad, zu Fuß) gewinnen zunehmend alternative Mobilitätslösungen an Bedeutung für eine Neuverteilung des öffentlichen urbanen Raums, da sie den Besitz eigener Fahrzeuge potenziell reduzieren können. Zu diesen Mobilitätsformen zählen sowohl stationsgebundene als auch stationsungebundene, vollflexible (free-floating) Sharing-Angebote für Kraftfahrzeuge, Fahrräder oder E-Roller, aber auch On-Demand-Angebote privater Anbieter und öffentlicher Verkehrsunternehmen. On-Demand-Angebote als Teil des Ansatzes Mobility-as-a-Service (MaaS) bieten Nutzenden den Komfort und die Flexibilität des Individualverkehrs und sind für Verkehrsunternehmen eine Möglichkeit Angebotslücken in Schwachlastzeiten, zum Beispiel in weniger dicht besiedelten Stadtgebieten, zu schließen [Bers22, GiLa21]. Voraussetzung für stationsgebundene Sharing-Angebote ist die Einrichtung von Ausleih- und Rückgabeorten, für die hinreichend große Flächen benötigt werden. Zudem sind diese Mobilitätsformen auf hohe Bevölkerungs- und Bebauungsdichten angewiesen, da sie für eine kostendeckende Auslastung ein genügend großes Nachfragepotenzial innerhalb eines begrenzten Radius benötigen [BBSR15b, S. 12].
"Mobilitätsplanung ist gleichzeitig Raumplanung und Stadtplanung oder anders ausgedrückt: Räumliche Strukturen determinieren über Dichte und Nutzungsmischung Mobilität und Verkehr" [Topp23, S. 147]. Nutzungsgemischte und dichte Quartiere ermöglichen Mobilität bei geringer Pkw-Nutzung. Während in Neubauquartieren nachhaltige Mobilitätskonzepte (zum Beispiel autofreie Quartiere, Quartiersgaragen, multimodale und Sharing-Angebote, Nachbarschafts-Apps) vielfach in die Planung integriert sind, ist die Anpassung von Bestandsquartieren oft aufwändiger. Bestehende Infrastrukturen müssen zunächst bedarfsgerecht verändert werden, um eine nachhaltige, zukunftsfähige, inklusive, barrierefreie und mobilitätsgerechte Verkehrsabwicklung zu erreichen. Mithilfe von Nachverdichtung, einer Mischung der Funktionen, der Schaffung von Grün- und Gemeinschaftsflächen und einer Ausweitung der Nahmobilitätsangebote wird versucht, das Wegeaufkommen und die Verkehrsleistung des MIV zu minimieren und aktive Mobilität zu steigern [Köhl14, S. 18f., MeSc21]. Im Rahmen der Neuverteilung des Raums ist es deshalb wichtig, Maßnahmen auf Grundlage der Bedarfe und Bedürfnisse der dort Wohnenden und tätigen Akteure eines Quartiers und Stadtteils sinnvoll zu kombinieren.
Um öffentliche Räume und Flächen konkurrieren oft verschiedene öffentliche Aufgabenträger, die diese für Freizeit und Sport, als Grün- und Naturgebiete, für Klimaanpassungsmaßnahmen, zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität sowie für wirtschaftliche Zwecke nutzen möchten. Die verantwortlichen der Stadt- und Verkehrsplanung müssen diese vielfältigen Anforderungen und Nutzungsansprüche beachten und in ihre Planungen einbeziehen und multifunktionale Lösungen entwickeln und umsetzen. Öffentliche Flächen können durch zeitlich variierende Nutzungen den unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden, beispielsweise einer vorübergehenden Nutzung als Aufenthaltsbereiche, Retentionsräume und Parkplätze [WILA23]. Zusätzlich erhöht eine Bündelung unterschiedlicher Angebote an einem Ort die Nutzmischung in den betreffenden Quartieren.
Die Erforschung und Entwicklung von datengestützten und digitalen Mobilitätslösungen, die eine Vernetzung und eine intelligente, dynamische Steuerung des Verkehrs ermöglichen, sind für eine Neuverteilung des öffentlichen Raumes sowohl im Personen- als auch Güterverkehr von großer Bedeutung. In der City-Logistik haben sich in den letzten Jahren bereits verschiedene Konzepte bewährt: viele kleinere Lieferungen im Business-to-Customer-Bereich (B2C) der Kurier-Express-Paketdienstleister (KEP) werden in mobilen Distributionszentren in zentraler Lage gebündelt und auf der letzten Meile mit elektrisch betriebenen Kleinstfahrzeugen, Lastenfahrrädern oder zu Fuß ausgeliefert [BVL18a; BMVi21c]. Auch die Lieferung an Packstationen und City-Hubs, an denen die Kundinnen und Kunden ihre Lieferungen selbst abholen, reduziert viele Fahrten und Stopps der KEP-Dienstleister und den Ausstoß von Emissionen im Innenstadtbereich. Häufig werden diese City-Logistik-Projekte mit technischen Maßnahmen wie Verkehrstelematiklösungen oder dem Einsatz von geräusch- und schadstoffarmen Fahrzeugen mit alternativen Antrieben verknüpft [Wolp13]. Letzteres soll dazu beitragen, die Emissionsbelastung in den Städten zu reduzieren [NiHö17]. Die Erschließung des Luftraums, zum Beispiel durch Paket-Drohnen und urbane Seilbahnen, unterirdische wie auch automatisierte Liefersysteme und die Verknüpfung von öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und Güterverkehr sind zukünftig für die Abwicklung von Verkehren in Städten denkbar, um den öffentlichen Raum zu entlasten und für anderen Funktionen zur Verfügung zu stellen [BMVI19v, S. 45 ff.; BMDV23ag und BMDV22ag]. Auch der Einsatz automatisiert und autonom fahrender Fahrzeuge ermöglicht die Transformation von Straßen zu multifunktionalen Stadtflächen: durch eine intelligente und dynamische Steuerung des Verkehrs reduziert sich beispielsweise der Bedarf an Stellplätzen. Die Grundlage für solche digitalen Mobilitätslösungen ist die Erfassung und Verarbeitung geeigneter Mobilitätsdaten.