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Nutzen der Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr für das Verkehrssystem

Erstellt am: 01.10.2003 | Stand des Wissens: 24.10.2024

Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Maßnahmen, die eine Bildung von Fahrgemeinschaften attraktiver machen sollen, zielen darauf ab den Besetzungsgrad in Fahrzeugen zu erhöhen. Ein erhöhter Besetzungsgrad entlastet das Verkehrsnetz aufgrund der geringeren Anzahl an Fahrzeugen und hat somit positive Effekte auf Reisezeiten in stauanfälligen Abschnitten des Netzes und auf die Schadstoffbelastung. Somit kann der gesamte Verkehr sowohl reduziert, als auch verträglicher gestaltet werden. Jedoch kann die Bildung von Fahrgemeinschaften auch unerwünschte Effekte auslösen. Eine modale Verkehrsverlagerung vom Umweltverbund zum motorisierten Individualverkehr (MIV) ist ein solcher unerwünschter Effekt, da die Nutzung des Umweltverbundes noch positivere Effekte auf das Gesamtverkehrssystem und Schadstoffbelastungen hat als eine Fahrgemeinschaft. Außerdem können Fahrgemeinschaften Neuverkehr induzieren, der ohne die Fahrgemeinschaft gar nicht angefallen wäre. Diese Effekte gilt es bei den Attraktivierungsmaßnahmen von Fahrgemeinschaften zu vermeiden.
Die Organisation von Fahrgemeinschaften unterscheidet sich je nach Länge der Strecke und Regelmäßigkeit der Fahrgemeinschaft. Für überregionale und spontane Mitfahrten gibt es bundesweite Mitfahrzentralen im Internet mit modernen Services wie Online-Buchung, transparente Nutzerprofile, Bewertungssystem und sichere Bezahlmethoden.
Für regelmäßige Berufspendler unterstützen Arbeitgeber die Fahrgemeinschaften durch betriebsinterne Vermittlungsbörsen, extra bereitgestellte Parkplätze oder andere Vergünstigungen [UBA19m].
Für jede Fahrt, die im Berufsverkehr anstelle des Fahrens mit dem eigenen Personenkraftwagen (Pkw) als Mitfahrer unternommen wird, wird der fließende Verkehr um einen Pkw entlastet. Dies gilt allerdings nur, sofern mit dem Pkw eines Mitfahrers nicht stattdessen eine andere, neue Fahrt unternommen wird. Als Resultat steigen die Besetzungszahl pro Pkw und vor allem im innerstädtischen Verkehr die Reisegeschwindigkeiten im MIV. Eine Änderung des Pkw-Besetzungsgrades um 0,2 durch einen Umstieg der Alleinfahrer in andere Pkw entspräche einem Rückgang der Pkw-Verkehrsleistung (ohne induzierte Fahrten) von 11 Prozent [DHHK98, S. 10]. Je mehr Leute sich ein Verkehrsmittel teilen, desto geringer sind der spezifische Kraftstoffverbrauch und die entsprechenden Emissionen pro Person.
Für den morgendlichen Berufsverkehr in der Stadt München wurden Reisezeitwirkungen simuliert, die sich aus einer Erhöhung des Besetzungsgrades im Berufsverkehr ergeben. Dabei betrugen die bisherigen durchschnittlichen Reisezeiten im Straßenverkehrsnetz in München 44 Minuten. Die Reisezeitgewinne lagen bei einer Steigerung der Besetzungszahl von 1,06 auf 1,4 bei rund 8 Minuten, das heißt rund 18 Prozent für jeden Pkw. Dies ergibt sich aus einer Steigerung der Reisegeschwindigkeit von rund 21 km/h auf rund 26 km/h im MIV-Netz.

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2002 ergab, dass bei einer Erhöhung des Besetzungsgrades von 1,06 auf 2,0 in München die mittlere Reisezeit um rund 12 Minuten sinken würde, was einem Zeitgewinn von 27 Prozent entspräche. Die Reisegeschwindigkeit steige in diesem Fall um 37 Prozent auf fast 29 km/h (vgl. Abb. 1). Zwar sind diese Zahlen nicht mehr aktuell, aber sie zeigen dennoch das enorme Einsparungspotential von Verkehrsleistung Die Steigerung des Besetzungsgrades wird daher als eine sehr wirksame Maßnahme zur Verbesserung des Verkehrsablaufs bewertet [Halb02].


effekte.jpgAbb. 1: Veränderung von MIV-Kenngrößen in Abhängigkeit des Besetzungsgrades [Halb02, S. 90] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)

Als wirksamste Maßnahme zur Erzielung eines höheren Besetzungsgrades gilt die Einrichtung von Fahrspuren für Fahrgemeinschaften [ICARO99]. Im Jahr 1998 wurde beispielsweise in der österreichischen Stadt Linz ein Busfahrstreifen für Fahrgemeinschaften geöffnet. Die Passagiere waren auf der nur 2,85 Kilometer langen Strecke 20 Minuten schneller unterwegs und sparten damit laut Experten insgesamt etwa 125 Tonnen Kohlenstoffdioxid pro Jahr ein. Auch in den USA sind die Fahrgemeinschaftsspuren mittlerweile Tradition und wirken sich positiv auf den Verkehrsfluss aus [Geor18]. Trotz der positiven Beispiele sollte bei der Freigabe von Busspuren für Fahrgemeinschaften jedoch vor allem in Innenstadtbereichen die negativen Auswirkungen auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) berücksichtigt werden [BaKa01]. Deshalb sollten Fahrspuren für Fahrgemeinschaften möglichst innerhalb bestehender MIV-Fahrspuren ausgewiesen werden. In Düsseldorf wurde im Dezember 2019 die Umweltspur, auf der Busse, Fahrräder und Elektroautos fahren dürfen, für Pkw mit mindestens drei Insassen freigegeben [Fromm19].
Ansprechperson
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr (Stand des Wissens: 21.06.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?56871
Verkehrsträgerspezifische Maßnahmen und Instrumente des Verkehrsmanagements (Stand des Wissens: 22.10.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?33559
Literatur
[BaKa01] Thorsten Kathmann, Baier, Michael, Dipl.-Ing., Baier, Reinhold, Dr.-Ing., Schäfer, Karl Heinz Verkehrsqualität auf Busspuren bei Mitnutzung durch andere Verkehre, Bergisch-Gladbach, 2001/09, ISBN/ISSN 3-89701-757-1
[DHHK98] H. Dürholt , R. Hamacher , H. Hautzinger , B. Krämer , L. Neumann , Th. Pischner , B. Schaaf Strategien zur Erhöhung des Besetzungsgrades im Pkw-Verkehr, Heilbronn, 1998/06
[Fromm19] Frommeyer, Lena Freie Fahrt für Fahrgemeinschaften, 2019/11/18
[Geor18] Georgi, Dominik, Bründler-Ulrich, Susanne, Schaffner, Dorothea, Federspiel, Esther , Wolf, Patricia , Abplanalp, Richard , Minder, Bettina , Frölicher, Jonas Entwicklung einer Sharing-Strategie in Städten, veröffentlicht in ShareCity, Springer Fachmedien, 2018/12, ISBN/ISSN 978-3-658-23699-1
[Halb02] Halbritter, Günter , Bräutigam, Rainer , Fleischer, Thorsten , Fulda, Ekkehard , Georgiewa, Daniela , Klein-Vielhauer, Sigrid , Kupsch, Christel Verkehr in Ballungsräumen, veröffentlicht in Beiträge zur Umweltgestaltung A 149, Erich Schmidt Verlag / Berlin, 2002, ISBN/ISSN 3 503 06686 1
[ICARO99] ICARO-Konsortium ICARO - Final Report - Deliverable 11, 1999
[UBA19m] Umweltbundesamt (Hrsg.) Fahrgemeinschaften, 2019/02/21
Weiterführende Literatur
[IVBSNV94] Koch, Matthias , Senst, Jürgen , Kremtz, Peter , Prillwitz, Sylvia , Großpietsch, Sybille Mitbenutzung von Busspuren durch höherbesetzte Pkw oder andere Fahrzeuggattungen, Berlin, 1994/11
[HaZe98] Institut für Informatik und Mathematik der Universität Bremen, Haefner, Klaus, Zegartowski, Lutz Reduktion von Fahrleistung durch organisiertes Mitfahren und gebrochenen Verkehr, veröffentlicht in Internationales Verkehrswesen, Ausgabe/Auflage 50, 1998/09
Glossar
Verkehrsfluss
Unter Verkehrsfluss versteht man die Anzahl der Fahrzeuge, die eine vordefinierte Verkehrs(quer)fläche pro Zeiteinheit durchfährt.
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Besetzungsgrad Unter Besetzungsgrad wird die Auslastung von Verkehrsmitteln verstanden. Im Öffentlichen Personennahverkehr entspricht das Platzangebot dabei i. d. R. der Summe aus den Sitzplätzen und 4 Plätzen je m² Stehfläche. Der Besetzungsgrad wird hierbei in % angegeben. Er liegt im Durchschnitt bei rd. 20 % und erreicht in der Spitze Werte zwischen 80 und 100 %. Vor allem bei besonderen Veranstaltungen kann der Besetzungsgrad im ÖPNV auch über 100 % betragen. In Analogie hierzu wird auch im Individualverkehr oft dieser Begriff verwendet; damit sind jedoch häufig die Anzahl der (durchschnittlich) im Auto befindlichen Personen gemeint (z. B. 1,2 Personen) und nicht die Platzauslastung. Zum Teil wird daher auch der Begriff "Besetzungszahl" verwendet. Der Quotient aus der Summe der Personenfahrten im Pkw und der Anzahl der Pkw-Fahrten wird auch als "ungewichteter Besetzungsgrad" bezeichnet. Daneben gibt es den seltener verwendeten "gewichteten Besetzungsgrad", der die Fahrtlängen berücksichtigt. Da mit zunehmender Fahrtlänge die Besetzung höher ist, liegt der gewichtete Besetzungsgrad um ca. 0,1 höher als der ungewichtete.
Verkehrsleistung
Die Verkehrsleistung gibt Auskunft über die Inanspruchnahme von Ressourcen. Als Verkehrsleistung wird die auf eine Zeiteinheit t (zum Beispiel ein Jahr) bezogene Verkehrsarbeit definiert und als Quotient dargestellt. Die Verkehrsarbeit wird dabei als Produkt von Verkehrseinheiten (zum Beispiel Güter oder Personen) und der durch diese zurückgelegten Strecke gebildet. In der Verkehrswissenschaft sind die Einheiten Personenkilometer pro Jahr [Pkm/a] oder Tonnenkilometer pro Jahr [tkm/a] gebräuchlich.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?58786

Gedruckt am Samstag, 22. Februar 2025 23:00:22