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Güterstruktureffekt

Erstellt am: 07.04.2003 | Stand des Wissens: 25.06.2024
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Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig

Viele Volkswirtschaften sind in Produktion und Konsum durch einen zunehmenden Anteil von hochwertigen Konsum- und Investitionsgütern im Vergleich zu Massengütern gekennzeichnet [Vahr05]. Damit einhergehend ist ein Rückgang des durchschnittlichen Gewichts pro Transportauftrag und eine steigende Nachfrage nach Transporten von kleineren, individualisierten Gütern von hohem Wert zu beobachten. Diese Entwicklungen haben zu Anteilsverschiebungen zwischen den Verkehrsträgern im Güterverkehr geführt [Hold05].

Der Güterstruktureffekt "beschreibt die verkehrlichen Auswirkungen dieser [...] feststellbaren Änderungen der gesamtwirtschaftlichen Produktionsstruktur, wie sie sich an den Werten des Transportaufkommens wichtiger Hauptgütergruppen ablesen läßt" [Aber09b]. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Logistik wurde durch den Güterstruktureffekt verstärkt [Schi09].

Die zunehmende Nachfrage nach hochwertigen Gütern erhöht die Anforderungen an Güterverkehrsunternehmen hinsichtlich Schnelligkeit, Termintreue und Qualität der Leistungserstellung [Hold05]. Der Straßengüterverkehr profitiert aufgrund seiner Systemvorteile im Gegensatz zu Schienengüterverkehr und Binnenschifffahrt in hohem Maße von dieser Entwicklung [Schi09]. Zu den Vorteilen des Straßengüterverkehrs zählen die Flexibilität, die vielgestaltigen Transportgefäße und Spezialaufbauten, die Netzdichte sowie die Begleitung der Transportgüter durch das Fahrpersonal [Aber09b].

Der Güterstruktureffekt ist zudem eine Ursache für das anhaltende Wachstum des Kurier-, Express- und Paketdienstmarktes. Güter, die auf diesem Markt befördert werden, sind durch ein hohes Verhältnis von Warenwert zu Gewicht und Volumen gekennzeichnet und eignen sich daher gut für den pro Mengeneinheit vergleichsweise teuren Transport per Lkw oder Flugzeug [Hold05; Vahr05].

Die zunehmende Bedeutung von leichtgewichtigen Transporten bewirkt im Straßengüterverkehr zumeist eine höhere Auslastung beim nutzbaren Volumen als beim Gewicht. Dies hat zur Entwicklung von Lang-Lkw mit größeren Transportgefäßen und dementsprechend höherem Volumen geführt [Aber09b]. Nach einem fünfjährigen Feldversuch der Bundesanstalt für Straßenwesen mit positiven Ergebnissen hinsichtlich der Auswirkungen von Lang-Lkw, ist Anfang 2017 eine Änderungsverordnung zur Überführung des Lang-Lkw in den streckenbezogenen Regelbetrieb in Deutschland in Kraft getreten. Mit der Einführung des Lang-Lkw können rechnerisch drei herkömmliche Lkw durch zwei Lang-Lkw ersetzt werden. Zu den positiven Effekten gehören laut dem Endbericht Effizienzgewinne und Kraftstoffersparnisse zwischen 15 und 25 Prozent, ohne dass ein erhöhter Erhaltungsaufwand für die Infrastruktur notwendig wird [BMVI21v].
Jedoch wird befürchtet, dass der Lang-Lkw die unter anderem durch den Güterstruktureffekt bedingten Vorteile des Lkws weiter ausbaut und es zu einer weiteren Verlagerung von der Schiene auf die Straße kommt [Alli17]. Diese Prognose hat sich bereits kurz nach dem Inkrafttreten der Änderungsverordnung bestätigt. 2017 stieg die Fahrleistung deutscher Sattelzugmaschinen um 2,8 Milliarden Kilometer auf insgesamt 20,1 Milliarden Kilometer [Stat24]. Nach zwei Jahren mit einer stagnierenden Fahrleistung sank der Wert im Jahr 2020 pandemiebedingt auf 19,6 Milliarden Kilometer ab. Im Jahr 2021 erreichten die Sattelzugmaschinen wieder eine Fahrleistung von 20 Milliarden Kilometern. Ob die Verlagerung auf die Straße langfristig verstärkt wird, ist demnach noch nicht abzuschätzen.
Es gibt jedoch auch die Befürchtung, dass der Lang-Lkw die unter anderem durch den Güterstruktureffekt bedingten Vorteile des Lkws weiter ausbaut und es zu einer weiteren Verlagerung von der Schiene auf die Straße kommt [Alli17].

Aufgrund ihrer Systemeigenschaften besitzen Bahn und Binnenschiff die höchsten Marktanteile bei stagnierenden Massengütergruppen, wie etwa bei Kohle, Erz und Metallabfälle. Der Marktanteil bei wachsenden Gütergruppen ist vergleichsweise niedrig, zum Beispiel bei Fahrzeugen, Maschinen und Halb- und Fertigwaren [Aber09b]. Jedoch wird bei Fahrzeugen ab 2023 ein überdurchschnittlicher Profit des Schienenverkehrs erwartet [BMDV23g].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Grundlagen des Güterverkehrs (Stand des Wissens: 25.06.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?293786
Literatur
[Aber09b] Gerd Aberle Transportwirtschaft: Einzelwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Grundlagen, Ausgabe/Auflage 5. Auflage, 2009
[Alli17] o.V. Fragen und Antworten zum Lang-Lkw, 2017/01/02
[BMVI21v] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Lang-LKW fahren dauerhaft auf geeigneten Strecken, 2021/09
[Hold05] Holderied, Cornelius (Prof.Dr.) Güterverkehr, Spedition und Logistik. Managementkonzepte für Güterverkehrsbetriebe, Speditionsunternehmen und logistische Dienstleister., Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Wien, 2005, ISBN/ISSN 3-486-57733-6
[Schi09] Arno Schieck Internationale Logistik: Objekte, Prozesse und Infrastrukturen grenzüberschreitender Güterströme, 2009/01
[Vahr05] Vahrenkamp Logistik - Management und Strategien, Ausgabe/Auflage 5. Auflage, 2005
Weiterführende Literatur
[Stan12] Sebastian Stanger (Hrsg.) Wirtschaftliche Einflussfaktoren durch veränderte Nachfragestrukturen, 2012
Glossar
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Güterstruktureffekt
Der Güterstruktureffekt beschreibt die Veränderung der Zusammensetzung des Verkehrsaufkommens im Entwicklungsprozess der Volkswirtschaften. Dabei findet die Umwandlung der Produktionsstruktur von Massengütern in hochwertige Stückgüter statt. Konträr dazu steht der Gütermengeneffekt, der durch eine relative Abnahme des Verkehrsaufkommens und eine gleichzeitige Zunahme der Tonnenkilometer gekennzeichnet ist.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?39447

Gedruckt am Samstag, 27. Juli 2024 06:29:36