Vorteile länder- und sektorübergreifender Emissionshandelssysteme
Erstellt am: 14.11.2010 | Stand des Wissens: 16.02.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Vieles spricht dafür, Emissionshandelssysteme zumindest langfristig so umfassend wie möglich, das heißt sowohl länder- als auch sektorübergreifend, aufzubauen. Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die nicht durch einzelne Staaten oder Branchen bewältigt werden kann [Küll08, S. 54].
Weltweit müssen Emissionen verringert werden. Je mehr Länder und Sektoren am Handel beteiligt sind, desto eher können unterschiedlich hohe Vermeidungskosten (beispielsweise aufgrund des Technologieeinsatzes oder des Lohnniveaus) genutzt werden. Durch den Handel wird garantiert, dass Emissionen dort gemindert werden, wo dies am kostengünstigsten möglich ist [Küll08, S. 46, 50].
Die Zertifikate werden dagegen dort genutzt, wo Emissionsreduktionen höhere Kosten mit sich bringen würden [Küll08, S. 47]. So können die Einsparungen von Kohlenstoffdioxid (CO2) zu den geringsten Kosten erreicht werden. Weiterhin würde eine räumlich umfassende Lösung die Gefahr der Emissionsverlagerung (Carbon Leakage) verringern: Das heißt, dass emissionsintensive Industrien ihre Standorte aus Ländern mit strikterer Regulierung in weniger regulierte Länder verlegen [WiSc10, S. 22; BMUV18, S. 5]. Ebenso werden Preisfluktuationen verringert, etwa indem sich sektorspezifische Schocks in geringerem Maße auf den gesamten Markt auswirken [icap21, S. 126, 128]. Letztlich könnte ein umfassendes Emissionshandelssystem ein unkoordiniertes, lückenhaftes Vorgehen, das für Schlupflöcher sorgt, verhindern und so für mehr Effektivität sorgen [Betz22, S. 8].
Die Realität bildet diesen Idealzustand aktuell nicht ab: Ein internationales Emissionshandelssystem existiert nicht. Die Einführung eines globalen Systems, das eine fixe Gesamtemissionsmenge definiert und einen einheitlichen CO2-Preis bildet, erscheint utopisch. Denn für die globale Ebene existiert, im Gegensatz zur nationalen Ebene, keine hoheitliche Instanz mit umfassender Entscheidungsberechtigung. Vielmehr dominieren zwischenstaatliche, horizontale bi- oder multilaterale Regelungsstrukturen. Während in nationalen Gesetzgebungsprozessen meist das Mehrheitsprinzip Anwendung findet, stellen völkerrechtliche Verträge Kompromisse zwischen souveränen Staaten, oft auf den "kleinsten gemeinsamen Nenner", dar. Das liegt daran, dass Konsens zwischen souveränen Staaten erforderlich ist [Simo17, S. 212 ff.]. Auch erschwert die Souveränität der Staaten die Durchsetzbarkeit von Sanktionen [Deu02, S. 48].
Aber die existierenden Mechanismen des Übereinkommens von Paris aus dem Jahr 2015 können zur länderübergreifenden Regulierung von Kohlenstoffemissionen genutzt werden: So sieht der Artikel 6.4 des Pariser Übereinkommens einen Crediting-Mechanismus vor, der einen Kohlenstoffmarkt etabliert und somit einen marktbasierten Klimaschutzansatz verfolgt. Auch sieht der Artikel 6.2 des Pariser Übereinkommens die Möglichkeit vor, dass Staaten zum Erreichen ihrer Klimaziele zusammenwirken, und schafft die Basis dafür, existierende nationale oder regionale Emissionshandelssysteme miteinander zu verknüpfen [BMWK23c].
Im Falle des Europäischen Emissionshandels (EU-ETS 1) gilt eine sektorübergreifende Ausweitung als durchaus realisierbar. Waren ursprünglich nur CO2-emittierende Anlagen der Sektoren Energie und Industrie einbezogen, wurde der Anwendungsbereich personell und sachlich schrittweise ausgeweitet. So ist seit dem Jahr 2012 der innereuropäische Luftverkehr erfasst [Rodi22]. Auch werden neben dem Treibhausgas CO2 seit dem Jahr 2013 weitere Treibhausgase reguliert, zum Beispiel Lachgas [Rodi22]. Ab dem Jahr 2024 ist beschlossen, schrittweise Emissionen der Seeschifffahrt einzubeziehen [UBA22i]. Letztlich gilt das System als Musterbeispiel für verbindliche, länderübergreifende Regulierung von Kohlenstoffemissionen und bildet das weltweit größte Emissionshandelssystem, das neben den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch Island, Liechtenstein und Norwegen erfasst [Rodi22; Betz22, S. 4]. Die Europäische Union nimmt als supranationale Organisation im völkerrechtlichen Gefüge eine gewisse Sonderstellung ein, da die europäischen Organe im Rahmen der ihr durch die Mitgliedstaaten übertragenen Kompetenzfelder (sogenanntes Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung) verbindliche Entscheidungen treffen und Rechtsakte erlassen können [Bpb20b; Rodi22, S. 6]. Auch Mehrheitsentscheidungen sind im europäischen Gesetzgebungsverfahren - je nach Themenfeld - möglich [EuPa23; EuRat23]. Ab dem Jahr 2027 ist überdies die Einführung eines zweiten, separaten Emissionshandelssystem auf europäischer Ebene für die Bereiche Verkehr und Gebäude beschlossen [UBA21q, S.1; EuPa22]. Eine baldige Zusammenführung beider europäischer Emissionshandelssysteme ist vorerst nicht vorgesehen [UBA21q, S. 3].