Die Eisenbahnsicherheitsrichtlinie der Europäischen Union
Erstellt am: 22.03.2010 | Stand des Wissens: 28.03.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Als Bestandteil des zweiten Eisenbahnpakets wurde im Jahr 2004 die "Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit" 2004/49/EG durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat in Kraft gesetzt. 2007 wurde sie durch das fünfte Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften sowie die zweite Verordnung zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften in nationales Recht überführt (ESiV, EUV, EBV, EBPV und EBZugV) [MüKü08, S. 32]. Ziel dieser Richtlinie ist es, die bis zu diesem Zeitpunkt länderspezifisch vergleichsweise heterogenen Sicherheitsanforderungen im Eisenbahnwesen stärker zu harmonisieren, ohne dadurch bereits bestehende Sicherheitsniveaus absenken zu müssen. Durch eine entsprechende Angleichung soll die Durchführung grenzüberschreitender Schienenverkehrsdienste erleichtert und somit deren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Verkehrsträgern Luft und Straße wirksam gesteigert werden. [MüKü08, S. 31 ff.]
Nationale, von den einzelnen Mitgliedsstaaten für die Eisenbahnbetriebssicherheit getroffene Regelungen, die sich in der Vergangenheit als große Hemmnisse für eine Öffnung des europäischen Binnenmarktes erwiesen haben, werden seitdem einer gemeinsamen Sicherheitskultur untergeordnet. Sie bildet den organisatorischen Rahmen für einen einheitlichen Umgang mit entsprechenden Fragestellungen. Die Richtlinie 2004/49/EG erfasst hierauf abzielend vier wesentliche Themengebiete:
- Modernisierung und Harmonisierung gesetzlicher Sicherheitsvorschriften in den EU-Mitgliedsländern wie auch auf Gemeinschaftsebene
- Abbau von Zugangshindernissen zur Eisenbahninfrastruktur durch eine europaweit einheitliche Vergabe von Sicherheitsbescheinigungen an qualifizierte Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sowie Abstimmung der erforderlichen Kriterien mit dem Verfahren über die Vergabe von Sicherheitsgenehmigungen für Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU)
- Erhöhung der Transparenz durch Messung und Bewertung vorherrschender Sicherheitsniveaus auf Basis spezifischer Indikatoren sowie Formulierung gemeinsamer Entscheidungsgrundsätze für die nationalen Aufsichtsbehörden
- Vorgaben zur Zuständigkeit und Durchführung von Störungs- und Unfalluntersuchungen sowie Förderung des europaweiten Informationsaustauschs
[EBA05a, S.8-9]
Mit dem Inkrafttreten der Richtlinie wurde jedoch ein organisations- und prozessbezogener Anpassungsbedarf auch für die nationalen Aufsichtsbehörden deutlich. So wurde etwa in der Bundesrepublik Deutschland mit der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) eine vom Eisenbahn-Bundesamt unabhängige Institution zur Untersuchung gefährlicher Ereignisse im Schienenverkehr gegründet, um den aus der neuen Gesetzgebung resultierenden Vorgaben zu entsprechen. [BEU24b]
Für EVU und EIU ergibt sich aus der Richtlinie 2004/49/EG in erster Linie die Notwendigkeit, die für den Erhalt einer Sicherheitsbescheinigung (SiBe) beziehungsweise Sicherheitsgenehmigung (SiGe) erforderlichen formalen Voraussetzungen zu erfüllen. Ohne ein entsprechendes Zertifikat ist es den jeweiligen Unternehmen [soweit sich deren Tätigkeitsfeld nicht ausschließlich auf den Regionalverkehr beschränkt] zukünftig nicht mehr gestattet, öffentliche Schienenverkehrsdienstleistungen anzubieten oder eine für diese Zwecke bestimmte Eisenbahninfrastruktur zu betreiben [Schr09, S. 2 ff.].
Sicherheitsmanagementsystems (SMS)
Sowohl SiBe als auch SiGe verlangen die Implementierung eines unternehmensinternen Sicherheitsmanagementsystems, das zum Beispiel das Vorgehen für eine sichere Steuerung der Betriebsabläufe beschreibt, potenzielle Risiken im Rahmen dieser Betriebsabläufe identifiziert, Maßnahmen für eine entsprechende Risikominimierung darstellt, Verantwortlichkeiten definiert sowie geeignete Prozesse zur Qualitätsentwicklung und eine eingehende Fehleranalyse dokumentiert [Figo09, S. 20 f.; Sala10, S. 11 ff.].
Das SMS besteht aus zwei Teilen, Teil A und Teil B. Teil A ist Voraussetzung zur grenzüberschreitenden Nutzung der Eisenbahninfrastruktur im europäischen Raum und gilt europaweit. Nach Erhalt von Teil A, kann Teil B erlangt werden. Dieser beinhaltet die landesspezifischen Vorschriften und muss für jedes europäische Land gesondert beantragt werden. [AnGe12, S. 52 ff.]
Das jeweilige SMS-Konzept wird von der zuständigen Sicherheitsbehörde, für Deutschland somit durch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA), überprüft und besitzt im Falle der Zulassung für den gesamten EU-Raum Gültigkeit. Neben einem genehmigungsfähigen SMS sind zudem geeignete Vorkehrungen nachzuweisen,
- die das EVU getroffen hat, um die besonderen Anforderungen für den sicheren Verkehrsbetrieb auf dem betreffenden Netz zu erfüllen beziehungsweise
- die das EIU getroffen hat, um den besonderen Anforderungen für eine sichere Auslegung, Instandhaltung und den sicheren Betrieb der Eisenbahninfrastruktur nachzukommen.
[AnGe12]
Die mit den genannten Punkten verknüpften Auflagen beziehen sich auf die Einhaltung von gegenwärtig noch nicht harmonisierten, nationalen Sicherheitsvorschriften, beispielsweise bei der Fahrzeugzulassung und beim Bau sowie bei der Instandhaltung von Eisenbahninfrastrukturanlagen, weshalb diese Vorschriften für jedes befahrene unterschiedliche Streckennetz beziehungsweise jeden Mitgliedsstaat separat zu beantragen sind. [Rösc11; Frey09]
Obgleich durch die EU-Richtlinie 2004/49/EG die Einrichtung eines SMS zwingend vorgeschrieben ist, wurden auch nach 2010 befristete Sicherheitsbescheinigungen an EVU mit fehlenden SMS vergeben allein auf Grundlage des Eisenbahnbetriebsleiternachweises. Der Grund für diese Übergangslösung lag darin, dass die Anforderungen an das SMS durch die EU-Verordnung bislang nur unzureichend definiert worden waren und das EBA als Reaktion auf dieses Defizit hin die eigentliche Sicherheitsbescheinigung nur zögernd ausstellte. Daher verabschiedete die EU am 9. Dezember 2010 die Verordnung 1158/2010; sie bietet den Sicherheitsbehörden eine Bewertungsmethode zur Erfüllung der Anforderungen. Daraufhin entwickelte die ERA (European Railway Agency) einen Anwendungsleitfaden zur Gestaltung und Umsetzung eines SMS, mit einer Definition des SMS sowie einer Auflistung aller zu beschreibenden Prozesse. [Niek12]