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Kontraktlogistik in der Chemieindustrie

Erstellt am: 18.01.2008 | Stand des Wissens: 15.12.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten

Wegen eines eher geringen Logistikanteils und traditionell eigener Logistikkapazitäten werden in der Chemieindustrie externe Dienstleister erst seit einigen Jahren im Zuge steigender Komplexität und höheren Kostendrucks mit komplexeren Aufgaben betraut [Gill15a]. Besondere Anforderungen an die Logistikdienstleister resultieren insbesondere aus dem hohen Gefahrenpotenzial der Chemieprodukte [KiRe18, S. 27f.]. Das Vertrauen des Auftraggebers in die sichere Abwicklung steht deshalb an erster Stelle [KlPr07, S. 640].

In der Vergangenheit wurden in der Chemieindustrie nur einfache Standardleistungen des Transports und des Lagerns extern vergeben [Hemb05, S. 44f.]. Dieses begründet sich darauf, dass die logistische Komplexität in der Chemieindustrie nicht so hoch wie zum Beispiel in der Automobilindustrie ist [KlPr07, S. 640; KiRe18, S. 27f.]. Dies lässt sich an der untergeordneten Rolle der Logistikkosten der Chemieindustrie ablesen, die im Schnitt nur 13 Prozent der Gesamtkosten betragen. Dieser Anteil liegt im Vergleich zu anderen Branchen im Bereich des unteren Durchschnitts. Ein weiterer Grund für das über lange Zeit zurückhaltende Outsourcing-Verhalten sind die hohen Sicherheitsanforderungen an die Produkte. Aus diesen Gründen ist die Kontraktlogistik in der Chemieindustrie erst später als in anderen Branchen zu einem wichtigen Thema geworden. Kontraktlogistik hat erst mit dem Wandel über die letzten 20 Jahre in der Chemiebranche an Bedeutung gewonnen. Die Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen, Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer, die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs sowie eine hohe Anzahl an Produktinnovationen führten zu komplexeren, globalen Wertschöpfungsketten in der Chemieindustrie. Diese neuen Strukturen, Standorte und Absatzwege erhöhten die logistische Komplexität bei gleichzeitig gestiegenem Kostendruck. Folglich ist die Logistik auch hier zu einem strategischen Wettbewerbsfaktor geworden und die Kontraktlogistik rückte in den Fokus [KlPr07, S. 641].

Neben logistischem Know-how benötigen die Kontraktlogistiker besondere fachliche Qualifikationen für den Umgang mit gefährlichen Gütern, um den sicheren Transport, Umschlag und Lagerung der chemischen Stoffe zu gewährleisten. In der Chemieindustrie hat die Abwicklung standortbezogener Logistikleistungen einen besonderen Stellenwert. Viele logistische Leistungen erfordern beispielsweise den Einsatz von Ausrüstung, die speziellen Sicherheitsanforderungen entspricht, und die auch technisch auf Güter verschiedener Gefährdungsklassen ausgerichtet ist. Der Dienstleister sollte zum Beispiel in der Lage sein, seinen Kunden den Einsatz von explosionsgeschützten Gabelstaplern im produktionsrelevanten Bereich anzubieten oder die Abfüllung und Lagerung brennbarer, giftiger oder kanzerogener Flüssigkeiten zu übernehmen [KlPr07, S. 642f.]. Aus den speziellen Ausrüstungsanforderungen ergeben sich für die Dienstleister notwendige höhere Investitionen sowie höhere Wartungskosten im laufenden Betrieb. Zudem existieren in der Chemiebranche eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, zum Beispiel aus dem Umwelt-, Entsorgungs-, oder Gefahrstoffrecht, die besonderen Kompetenzen der Logistikdienstleister erforderlich machen.
Viele Chemiekonzerne haben in den letzten Jahren große Unternehmensteile in eigene Logistikgesellschaften ausgegliedert. Dies verstärkt den Wachstumstrend der Kontraktlogistik in der Branche weiter. Der Bedarf auf Verladerseite ist vorhanden, doch es gibt bislang nur wenige Logistikdienstleister, die sich konsequent auf die speziellen Bedürfnisse der Chemiebranche ausgerichtet haben. Sie sollten auch offen sein für die Übernahme von Aufgaben, die nicht traditionell zu den Logistikaufgaben zählen. Dazu zählen in der Chemieindustrie unter anderem fachgerechte Entsorgungsdienste von Reststoffen, die bei der Produktion anfallen. Der steigende Bedarf auf Kundenseite nach solchen Zusatzleistungen wird dazu führen, dass die Kompetenz und damit auch das Angebot der Dienstleister in diesem Bereich der Chemieindustrie zunehmen wird [KlPr07, S. 654f.].

Zu den Gründen für das Insourcing von Logistikfunktionen in der Chemieindustrie gehören der große Erfahrungsschatz im Bereich der Chemielogistik, die Sicherung des Logistik-Know-hows und der Verbleib der Prozesshoheit im Chemieunternehmen. Dadurch können zum Beispiel eigene Qualitätsstandards leichter umgesetzt und gesichert werden. Grundlegend geht es darum, "inwieweit das Insourcing der Logistikfunktionen die Kernkompetenzen des Unternehmens stärkt." [Lühr17]. Bei einer starken Ausschöpfung des Insourcing-Potenzials kann es zu stark differenzierten, hochkomplexen Supply-Chains kommen. Zusätzlich besteht die Gefahr von hohen Kosten, sowie einer fehlenden strategischen Positionierung der Logistik in der Chefetage [Lühr17]. Die Motive für das Outsourcing von Logistikfunktionen können in fünf Sparten nach Lührs [Lühr17] unterteilt werden: finanzielle, leistungs-, personal-, strategiebezogene und sonstige Motive. Zu sonstigen Motiven zählen beispielsweise politische Gründe. Schwächen des Outsourcings von Logistikfunktionen in der Chemieindustrie stellen vor allem die hohen Sicherheitsbestimmungen dar. Hinzu kommen hohe Investitionen, die in der Chemielogistik zur Realisierung der Aufgaben notwendig sind, sowie das Image des Logistikdienstleisters [Lühr17].
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Kontraktlogistik (Stand des Wissens: 01.09.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?285349
Literatur
[Gill15a] Gillar, Johannes Einsparpotenziale durch Outsourcing, 2015
[Hemb05] Hemberger, M. Effizientere Supply Chains durch Outsourcing, veröffentlicht in Logistik für Unternehmen, 2005
[KiRe18] Kille, Christian, Reuter, Constantin, Erfolgsfaktoren 4PL, LLP und 3PL in der Chemielogistik, 2018
[KlPr07] Rudolph, T.; , Pfohl, H.; , et. al., Klaus, Peter, Prof., Prockl, Günter, Dr. Handbuch Kontraktlogistik - Management komplexer Logistikdienstleistungen, Ausgabe/Auflage 1.Auflage, WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA/Weinheim, 2007, ISBN/ISSN 978-3-527-50203-5
[Lühr17] Lührs, Rebecca Chancen und Risiken durch die Aus- und Einlagerung von Logistikfunktionen in der Chemieindustrie, 2017
Glossar
Kernkompetenz Die Fokussierung auf Kernkompetenzen (engl. Core competence) ist die Beschränkung der Unternehmensaktivitäten auf das wesentliche Geschäft, in der Regel verbunden mit dem Herauslösen gewinnreduzierender Aktivitäten, die auf spezialisierte Unternehmen übertragen werden, z. B. die Übertragung (Outsourcing) der Logistikfunktionen auf einen Dienstleister.
Logistikdienstleister Logistikdienstleister (abgekürzt: LDL; Englisch: logistics service provider) bezeichnet die Weiterentwicklung des traditionellen Speditionsgeschäfts. Über Transport, Umschlag und Lagerung (TUL) hinaus bietet der LDL weitere Leistungen und Lösungen an, zum Beispiel kundenbezogene Lagerung, Kommissionierung, Assemblierung, Fakturierung usw. LDL und 3PL werden häufig synonym verwendet.
Outsourcing Beim Outsourcing (Fremdvergabe) werden Aufgaben oder Dienstleistungen, die nicht zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören, ausgelagert, das heißt an externe Unternehmen abgegeben. Die Ausgliederung von Logistikaktivitäten ist die häufigste Form des Outsourcings. Das Wort leitet sich von 'outside' und 'resourcing' ab.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?248783

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 09:16:30