Auswirkungen von Lastzugkombinationen auf Brücken
Erstellt am: 09.08.2007 | Stand des Wissens: 03.01.2024
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. Dr. h.c. W. Kersten
Um Brücken für die Belastungen aus dem Verkehr mit der erforderlichen Sicherheit bemessen zu können, müssen zunächst die maßgeblichen Verkehrsmengen und die Zusammensetzung des Verkehrs in Erfahrung gebracht werden. Grundlage hierfür sind Verkehrsmessungen an repräsentativen Straßenquerschnitten über eine längere Zeit [BASt07c, S. 49]. Hieraus werden Ersatzlasten abgeleitet, die entsprechend den Ansätzen aus der zugrunde gelegten Sicherheitsphilosophie mit Sicherheitsbeiwerten beaufschlagt werden und dann den Berechnungen und Bemessungen zugrunde gelegt werden. Die Ersatzlasten bestehen aus der Kombination von Bemessungsfahrzeugen auf der Haupt- und Nebenspur mit Flächenlasten auf der gesamten Brückenfläche. Aus dem fiktiven Schwerlastwagen (SLW) von 60 Tonnen auf dem Hauptfahrstreifen und dem SLW von 30 Tonnen auf dem Nebenfahrstreifen leitet sich die Brückenklasse 60/30 gemäß DIN 1072, Ausgabe 1985 ab (siehe Abbildung 1) [BASt07c, S. 49f.].
![Abbildung 1: Verkehrslasten für Brücken entsprechend der DIN 1072, Ausgabe Dez. 1985 für die Brückenklasse 60/30 [Eintrag-Id:215909, S. 50]<br> ../233401/BK6030.JPG](/servlet/is/233401/Auswirkungen%20von Lastzugkombinationen_Tabelle_Bruecke_233401.png)
Die Verkehrsmenge, die Verkehrszusammensetzung und auch die Belastung und Auslastung der Fahrzeuge verändern sich im Laufe der Zeit, sodass in bestimmten Abständen die Bemessungslastannahmen überprüft und gegebenenfalls an neue Randbedingungen angepasst werden müssen [BASt07c, S. 50].
Grundlage für die Bemessung, beziehungsweise für die Belastungsannahmen, war bis zum Ende April 2003 die DIN 1072, Ausgabe 1985. Anschließend wurden im Zuge der Entwicklung der neuen europäischen Regelungen für Bauwerke die Verkehrslastannahmen für den Brückenbau völlig neu erarbeitet und der europäisch harmonisierte Eurocode EC 1 mit dem DIN Fachbericht 101 "Einwirkungen auf Brücken" für den Bereich der Bundesfernstraßen in nationales Recht umgesetzt [BASt07c, S. 49].
Um die Auswirkungen einer Zulassung von 60-Tonnen-Lastzügen auf die circa 26.500 Brücken im Bundesfernstraßennetz abschätzen zu können, wurden Verkehrslastsimulationsrechnungen für verschiedene statische Systeme und Stützweiten durchgeführt. Zugrunde gelegt wurde dabei ein 25,25 Meter langer Lastkraftwagen mit Sattelauflieger auf Dolly mit 60 Tonnen Gesamtgewicht, wobei die Berechnungen davon ausgingen, dass durch die Lastzugkombination jeweils 1,5 Sattelauflieger ersetzt werden können. Zur Bemessung der Brückenbauwerke wurde ein Gesamtverkehrskollektiv unterschiedlicher Fahrzeuge statistisch verteilt zusammengestellt und daraus abgeleitete Kräfte und Momente aus der Verkehrslastsimulation an unterschiedlichen statischen Brückensystemen ermittelt [BASt10a].
Die vorliegenden Ergebnisse der Simulationsrechnung sollen hier nur kurz zusammengefasst dargestellt werden, detaillierte Angaben finden sich im Kapitel 4.6 der Studie der BASt [BASt07c, S. 54-58]. Die Studie kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass durch 60-Tonnen-Lastzugkombinationen die Tragreserven des Brückenbestandes deutlich reduziert würden und es sowohl für den fließenden Verkehr als auch für Verkehr mit höherem Stauanteil zu größeren Extremwerten der Verkehrslastmomente kommen würde [BASt07c, S. 57]. Bei größeren Stützweiten würden zudem für alle nach DIN 1072 bemessenen Brücken Beanspruchungen auftreten, die oberhalb der Bemessungswerte liegen (insbesondere bei Bauwerken der Brückenklasse 30, 30/30 und 45). Besonders bei mehrfeldrigen Brücken mit einem erhöhten Stauanteil können kritische Bemessungssituationen eintreten (bei den Brückenklassen 60 und 60/30 oberhalb einer Stützweite von 30 beziehungsweise 40 Meter) [BASt07c, S. 57]. Bei vor 1980 erbauten mehrfeldrigen Spannbetonbrücken sind größere Defizite zu erwarten als bei neueren Konstruktionen, da bei Ersteren Zwängungsbeanspruchungen aus Temperaturunterschieden bei der Bemessung noch nicht beachtet wurden [BASt07c, S. 57].
Einer Studie der OECD zufolge, können Schäden an Brücken durch den Einsatz von Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen bei hochbelasteten Streckenzügen mit neuen 60-Tonnen-Fahrzeugkonzeptionen reduziert werden [OECD10, S. 27]. Mit Hilfe von Beschilderungen (Geschwindigkeiten, Lasten, Mindestabstände et cetera) sowie dem Einsatz von automatischen Zähl- und Wiegeeinrichtungen zur Erfassung des Verkehrslastkollektivs könnten kritische Verkehrslastzusammensetzungen für Brückenbauwerke rechtzeitig erkannt und bei entsprechender Überwachung vermieden werden [OECD10, S. 27]. BASt stimmt dieser Aussage in ihrer Stellungnahme zu, weist jedoch darauf hin, dass es sich hierbei um keine allgemeingültige Aussage und unproblematisch umsetzbare Lösung handelt. So wird angefügt, dass eine Brückenzugangsüberwachung bei der Vielzahl an Brücken und dem hohen Schwerlastverkehr illusorisch für Deutschland erscheint [BASt10a].
An dieser Stelle sei angemerkt, dass es sich bei den in der BASt-Studie untersuchten Lastzugkombinationen in Bezug auf die Brückenbauwerke ausschließlich um 60-Tonner handelt. Aufgrund der oben genannten Ergebnisse scheint eine Zulassung dieser 60-Tonnen-Lastzugkombinationen als eher unwahrscheinlich. Daher wurden Lang-Lkw für bis zu 25,25 Metern zugelassen, wobei das zulässige Gesamtgewicht von 40 Tonnen beziehungsweise 44 Tonnen im Kombinierten Verkehr nicht überschreiten darf [BMVI17v]. Als weiterführende Literatur gilt unter anderen die Norm DIN EN 1991-2 "Auswirkungen auf Tragwerke Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken" [DIN1991] und das ADAC Positionspapier [StHesWi15].