Szenarien der Mobilitätsentwicklung unter Berücksichtigung von Siedlungsstrukturen bis 2050
Erstellt am: 05.04.2007 | Stand des Wissens: 12.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
In Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten mit einer alternden Gesellschaft und einer sinkenden Einwohnerzahl gerechnet. Durch eine verstärkte Zuwanderung kann der Prozess der Bevölkerungsabnahme ggf. abgebremst werden [BMVBS06o, S. 11].
Anhand von zwei Szenarien ("Dynamische Anpassung" und "Gleitender Übergang") wird ermittelt, wie sich diese Entwicklungen auf die Siedlungsstruktur und die Mobilität bis zum Jahre 2050 auswirken könnten. Deutschland wurde auf der Basis bereits abgeschlossener Studien in wachsende, schrumpfende und mittlere Raumordnungsregionen unterteilt. Zu den Fragen Demografie, Wirtschaft und Siedlungsstruktur wurde ein konsistentes Gesamtbild entwickelt. Als Ergebnis werden Mobilitätskennziffern (Verkehrsaufkommen, Modal Split, Verkehrsleistung) für den Personenverkehr der privaten Haushalte bis zum Jahr 2050 differenziert nach Regionstyp und Szenario vorausgeschätzt.
Die Klassifizierung der 97 Raumordnungsregionen Deutschlands ergab 18 schrumpfende Regionen mit geringem Wirtschaftswachstum bevorzugt in Ostdeutschland, 35 wachstumsstarke Regionen in Süddeutschland und um Hamburg sowie 44 Regionen, die sich nicht eindeutig den beiden Gruppen zuordnen lassen und über eine große Heterogenität bezüglich ihrer Daten verfügen [BMVBS06o, S. 12].
Die Kennziffern zum Verkehrsverhalten (tägliche Reisezeit, Wegehäufigkeit u. a.) haben sich über Jahrzehnte hinweg als weitgehend konstant erwiesen. Diese Stabilität wird auch für die Zukunft unterstellt, so dass die Daten auf Basis der für 2002 bekannten Werte für die Zukunft modelliert wurden [BMVBS06o, S. 12].
Die Szenarien wurden durch die Auswertung umfassender Quellen der für die künftige Siedlungs- und Verkehrsentwicklung relevanten Themenkomplexe im Rahmen von Befragungen und zweier Expertenworkshops mit einem 28-köpfigen Expertenkreis aus Wissenschaftlern und Praktikern verschiedener Disziplinen konzipiert [BMVBS06o, S. 11].
Die Szenarien unterscheiden sich in Bezug auf die Annahmen zur Verteilung der Wohnstandorte innerhalb der Raumordnungsregionen sowie der angenommen Preisentwicklung im Verkehr. Beide Szenarien gehen von einer zunehmenden Altersmobilität aus. Das Szenario "Dynamische Anpassung" nimmt Überlegungen stark steigender Verkehrspreise, eines deutlichen Subventionsabbaus sowie Gedanken der Reurbanisierung auf. Dies führt in der Konsequenz zu einer zügigen Konzentration der Wohnstandorte auf dichte Lagen und Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern. Das Szenario "Gleitender Übergang" hingegen geht von moderat steigenden Preisen bei einem moderaten Subventionsabbau und einer langsameren Veränderung der räumlichen Lagen der Wohnstandorte aus. Es ergibt sich ein Prozess der räumlichen Konzentration in wachsenden und stagnierenden Regionen und eine beschleunigte Abwanderung aus raumaufwändigen Standorten in schrumpfenden Gebieten. Somit erfolgt in wachsenden Regionen weiterhin Zersiedlung.
Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Verkehrsleistung der privaten Haushalte in Personenkilometer pro Jahr auf.
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Die schrumpfenden Regionen liegen überwiegend in Ostdeutschland. In Fällen schrumpfender Bevölkerung wird sich der ländliche Raum gegenüber den größeren Gemeinden ab 20.000 Einwohnern deutlich stärker entleeren. Zu den wachsenden Räumen gehören insbesondere die Räume um München, Stuttgart und Hamburg sowie weitere ausgewählte Regionen in Westdeutschland. In den schrumpfenden Regionen kommt es in beiden Szenarien zu einem abnehmenden Pkw-Bestand und zu Rückgängen der Verkehrsleistung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) und des Motorisierten Individualverkehrs (MIV). In den wachsenden Regionen wird es Steigerungen der Verkehrsleistungen geben.
Der Anteil älterer Menschen mit Führerscheinbesitz und Pkw- Verfügbarkeit wird steigen, ebenso der Anteil Hochbetagter innerhalb dieser Gruppe. Die modale Teilung der Verkehrsträger wird sich nicht wesentlich ändern, der MIV behält seine Dominanz. Kfz-Verkehr und Motorisierung werden im Bundesdurchschnitt je nach Szenario noch moderat wachsen und sich dann auf einem stabilen Wert einpendeln. Beim Eintritt starker Preissteigerungen kommt es zu einem Sinken der Verkehrsleistung.
Prägend werden sich bezüglich Richtung und Geschwindigkeit der Wanderungen und der Wohnstandortwahl die steigende Attraktivität urbaner Lebensformen, die Verteuerung der Lebenshaltung an peripheren Standorten und die Knappheit preiswerter Flächen in den Kernorten "wachsender" Regionen auswirken.
Diese stark divergierende Entwicklung zwischen Wachstums- und Schrumpfungsregionen stellt die Infrastruktur- und Verkehrsplanung von Bund, Ländern und Gemeinden vor neue Herausforderungen. Es muss ein Umgang mit der Bewältigung wachsender Verkehrsströme in Wachstumsregionen und einem Nachfragerückgang in den schrumpfenden Regionen gefunden werden. In ländlichen, schrumpfenden Regionen wird der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) bei rückläufigen Schülerzahlen immer schwieriger seine Aufgabe der Daseinsvorsorge erfüllen können. Dies erfordert Änderungen des bisherigen Rechts- und Finanzierungsrahmens zur Mobilisierung effizienter Bedienungskonzepte und das Aufbrechen der bisher durch Gewerbe- und Personenbeförderungsrecht blockierten Möglichkeiten zur Etablierung bedarfsorientierter öffentlicher, halböffentlicher und privater Angebote.