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Bewertung von Mobilitätsmanagement-Projekten: Wie kann Erfolg gemessen werden?

Erstellt am: 26.11.2002
Autoren:   Schreffler, Erick N.
Serwill, Dirk
Erscheinungsjahr / -datum:   2000
Veröffentlicht in:   Schnittstellen im Mobilitätsmanagement
Verlag / Ort:   Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur Gutenbergstraße 59, 44319 Dortmund
Seiten:   46-53
Zitiert als:   [ScSe00a]
Art der Veröffentlichung:   Beitrag in einem Sammelband (Tagungsband, Handbuch, Jubiläumsschrift, usw.)
Sprache:   deutsch
ISBN oder ISSN:   3-929797-60-7
Review
Erstellt am: 14.11.2002 | Stand des Wissens: 05.07.2016

Ansprechperson:
Ziel / Zweck
Schreffler und Serwill weisen auf Probleme bei Erhebungen und Wirkungsabschätzungen hin und geben Anregungen zu Bewertungsverfahren.

Methodik und Durchführung
  • Literaturauswertung
  • Theoretisch-konzeptionelle Arbeit


Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Def.: "Der Begriff Bewertung beinhaltet [...] Analysen oder Studien, die zum Ziel haben, die Auswirkungen geplanter Projekte abzuschätzen, alternative Strategien anhand gemeinsamer Kenngrößen zu vergleichen, die tatsächlichen Ergebnisse der durchgeführten Projekte zu messen und die Erfüllung festgelegter Ziele zu beurteilen."

Der methodische Hintergrund kann sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten "als eher rudimentär bezeichnet werden".

Bewertungsmethoden und -ergebnisse in den USA:

"In den Vereinigten Staaten neigt man bei der Bewertung von TDM [Transportation Demand Management] dazu, sich auf die Überprüfung der Teilnehmerzahlen [...] und die Anzahl der Informationsanfragen und -auskünfte [...] anstatt auf die Auswirkungen des Projektes [...] zu konzentrieren. Diese Tendenz wird besonders in mit TDM "erfahrenen" Gebieten wie etwa Kalifornien zunehmend umgekehrt. Hier werden nun häufiger aussagekräftigere Kenngrößen [...] und genormte Erhebungsmethoden angewandt.

Mehrere gängige Bewertungspraktiken stellen jedoch die Zuverlässigkeit von Bewertungsergebnissen in Frage. Eine Vorgehensweise, die dazu neigt, wahrscheinliche Auswirkungen zu überschätzen, ist die implizierte Annahme, dass jeder neue "Nutzer" vorher allein in einem Auto fuhr und sich deshalb nun ein Fahrzeug weniger auf der Straße befindet. Wir wissen jedoch, dass viele neue Nutzer umweltfreundlicher Verkehrsmittel nur innerhalb dieser Gruppe verlagert werden. Viele Studien in den USA haben zum Beispiel gezeigt, dass etwas 50 Prozent der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel vorher einen Car-Pool oder Van-Pool nutzten oder mit einem anderen Bus fuhren.

Die angewandten Methoden zur Sammlung von Daten über Verhaltensänderungen leiden häufig unter signifikanten Problemen. Umfragen unter Nutzern und der übrigen Bevölkerung weisen oft starke Verzerrungen auf, wobei die der "Nichtbeantwortung" die häufigste ist. Viele Verkehrserhebungen, wie zum Beispiel Umfragen unter den Arbeitnehmern, sind keine Zufallsstichproben und tendieren zur Selbstauswahl, was bedeutet, dass nur solche Personen, die ihr Verkehrsverhalten entweder verändert haben oder verändern wollen, an der Befragung teilnehmen. Da diese Erhebungsergebnisse häufig auf die Gesamtzahl der Verkehrsteilnehmer hochgerechnet werden, können potentielle Auswirkungen weit überschätzt werden.

Schließlich kann die angewandte Bewertungsmethodik die Ergebnisse signifikant beeinflussen. Bis jetzt beruhte die Bewertung von TDM in den USA in der Regel eher auf vergleichenden Fallstudien als auf Zeitreihen oder genauen Analysen. Wie auch bei der Verzerrung durch Selbstauswahl, können solche Studien unter der Überschätzung des erzielten Nutzens leiden, wenn angenommen wird, dass die Ergebnisse, die bei "erfolgreichen" Programmen erzielt werden, auf andere Situationen verallgemeinert werden können. Darüber hinaus ist auch die Inkonsistenz der Verfahren ein ernstzunehmender Gesichtspunkt. In verschiedenen Regionen und zu verschiedenen Zeitpunkten werden häufig unterschiedliche Bewertungsmethoden angewandt. Dies betrifft z. B. die verschiedenartigen eingesetzten Verfahren, um während der Programmplanung Auswirkungen des TDM vorauszusagen und um tatsächliche Ergebnisse zu messen, sobald das Programm läuft. Hier stellt sich generell die Frage, ob Unterschiede zwischen Projekten oder zwischen Prognosen und gemessenen Ergebnissen auf die Wirksamkeit der Programme und die damit verbundenen Verhaltensänderungen oder einfach auf die unterschiedliche Bewertungsmethoden und die zugrundeliegende Annahmen zurückzuführen sind.

Europäische Bewertungspraktiken:

"Es existiert [.] bisher kein systematischer oder weit verbreiteter Ansatz zur Bewertung von Mobilitätsmanagement. Die meisten bisher durchgeführten Bewertungen oder Beurteilungen haben eher das Ziel, die Kenntnisse über Möglichkeiten des Mobilitätsmanagements beim potentiellen Nutzer zu überprüfen, als die Verhaltensänderungen oder die Auswirkungen auf das Verkehrssystem oder die Umwelt zu ermitteln.

Der Bedarf an Bewertungsmethoden wird jedoch immer deutlicher. So wurde z. B. für alle MOSAIC-Pilotprojekte ein gemeinsamer Bewertungsrahmen entwickelt, der die folgenden fünf Bewertungsstufen beinhaltet.
  • Bewusstsein: Überprüfung, ob der Begriff des Mobilitätsmanagements im Allgemeinen und welche Dienste im Besonderen bekannt sind.
  • Nutzung: Überprüfung, ob die Dienste des Mobilitätsmanagements überhaupt in Anspruch genommen werden und, wenn ja, welche Dienste wie häufig genutzt werden.
  • Akzeptanz: Überprüfung, ob die Vorschläge des Mobilitätsmanagements befolgt werden und, wenn ja, mit welchen Diensten die Nutzer am zufriedensten sind.
  • Individuelles Verhalten: Überprüfung, ob die Nutzer ihr individuelles Verkehrsverhalten geändert haben und, wenn ja, wie es geändert wurde (Verkehrsmittelwahl, Tageszeit, Routenwahl, Zielort, Reisehäufigkeit, usw.).
  • Systemauswirkungen: Überprüfung, inwieweit sich die Kenngrößen wie Verkehrsfluss, Verkehrsmittelwahl, Emissionen, Energieverbrauch, usw. verändert haben.
Anforderungen an die Bewertung:
  • Umfang: Je größer der geographische Geltungsbereich von Mobilitätsmanagement-Programmen ist, desto schwieriger sind die Auswirkungen abzuschätzen. Die Reduzierung der Fahrtenzahlen ist an einzelnen Firmenstandorten leichter zu messen und auf ein spezifisches Mobilitätsmanagement-Projekt zurückzuführen, als bei Programmen, die sich auf größere Gebiete beziehen, wo die Veränderung der Fahrtenzahlen in allgemeinen Trends des Verkehrswachstums, induzierten Verkehrs oder äußerer Einflüsse "untergehen" kann.


  • Kausalität: Ein Hauptproblem jeder sozialwissenschaftlichen Forschung ist die Kausalität anders ausgedrückt, wie können wir wissen, ob die gemessenen oder beobachteten Veränderungen des Verkehrsverhaltens auf das Mobilitätsmanagement oder auf andere Faktoren, wie Verkehrpolitik, anderer Dienste, lokale Wirtschaftseinflüsse, veränderte Benzinpreise usw. zurückzuführen sind. Obwohl einige dieser Faktoren "kontrolliert" werden können, wird die Bestimmung der Kausalität auch in der Zukunft eine Herausforderung für Mobilitätsmanagement- und TDM-Programme sein.



  • Sekundäre Effekte: Wenn die Anzahl der Fahrten im Berufsverkehr reduziert wird, was geschieht dann mit dem zu Hause verbleibenden Auto? Wird es von anderen Haushaltsmitgliedern genutzt? Wenn ja, kann vielleicht der Stau zu Spitzenzeiten vermindert, schädliche Emissionen aber dennoch von einem Familienmitglied, das jetzt Zugang zum Auto hat, produziert werden. Auch langfristige Auswirkungen sind zu berücksichtigen. In den USA wird etwa die Anfangsbegeisterung über Heimarbeit jetzt leicht gedämpft, da deutlich wird, dass die Strategie auch zur Zersiedlung betragen kann, da Arbeitnehmer weiter vom Stadtzentrum und der Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur entfernt leben können.



  • Verallgemeinbarkeit: Umfragen sind die gebräuchlichste Methode zur Erfassung von Verhaltensänderungen (im Gegensatz zu direkter Beobachtung). Sind diese Ergebnisse auch zuverlässig? Mit anderen Worten, sind die Ergebnisse der erhobenen Daten statistisch signifikant oder liegen die gemessenen Veränderungen im Fehlerbereich des Messinstruments? Können die Ergebnisse für die Gesamtzahl potentieller Nutzer verallgemeinert werden? Erhebungen sind, solange sie nicht in Form von Zufallsstichproben durchgeführt werden, für die Gruppe von Verkehrsteilnehmern, auf die ein Mobilitätsmanagement-Programm abzielt, nicht repräsentativ. Selbstgewählte Stichproben können also nicht generalisiert werden.



  • Übertragbarkeit: Da die europäischen Erfahrungen mit Mobilitätsmanagement derzeit noch größtenteils auf Pilotprojekte begrenzt sind, besteht weiterhin die Frage der Übertragbarkeit auf andere Gebiete und andere Situationen. Mit anderen Worten, können wir erwarten, dass die Auswirkungen, die in der Stadt A erzielt werden, auch in der Stadt B oder sogar in anderen Ländern, in einer anderen Situation oder bei einem andern Verkehrsproblem erreicht werden?
Empfehlungen:

  • Standardisierter Ansatz: Um Auswirkungen konsistent projekt- und raumübergreifend über die Zeit zu messen, sollte eine standardisierte Methode entwickelt werden, die stringent, akkurat und dennoch erschwinglich und praktikabel ist. So könnten allgemeingültige Verfahren zur Messung der Wirksamkeit (Erhebungsmethodik, Berechnungsverfahren, Bewertungsansätze) entwickelt und von zuständigen Organisationen und Geldgebern unterstützt werden. Der standardisierte Ansatz sollte flexibel und auf verschiedene Situationen und finanzielle Rahmenbedingungen anwendbar sein. Daher sollten Mindestkriterien für eine akzeptable Bewertung entwickelt werden, die zum Beispiel typische Fragestellungen bei Erhebungen beinhalten könnten. Für Gebiete, in denen keine umfassenden Bewertungen durchgeführt werden können, sollten plausible Annahmen aus vergleichenden Datenbanken abgeleitet werden können. So könnte beispielsweise der durchschnittliche Anteil der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel, der vorher die gleiche Strecke allein im eigenen Fahrzeug zurücklegte, abgeleitet werden. Die Kausalität kann wie folgt angesprochen werden: Wenn Ergebnisse auf der Grundlage von Zeitreihen (vorher und nachher) oder vorsichtigen rückblickenden Befragungen ermittelt werden, dann kann mit einer ceteris-paribus-Annahme aus einer allgemeinen Prüfung exogener Faktoren auf die Auswirkungen geschlossen werden. Besser jedoch sollten Pilotprojekte mit Kontrollgruppen, denen keine Mobilitätsmanagement-Dienste angeboten werden, arbeiten, um "natürliche" Veränderungen des Reiseverhaltens zu messen.

  • Vergleichende Forschung: Eine Standardisierung wird eine Vergleichbarkeit im Hinblick auf Projekte, Länder, Jahre und Ansätze ermöglichen. Verantwortliche im Bereich des Mobilitätsmanagements und des TDMs sollten diese Vergleichbarkeit anstreben, um das Lernen aus Erfahrungen zu erleichtern. Zur Gewährleistung der Objektivität sollten Bewertungen von unabhängigen Dritten durchgeführt werden, die weder Projektbeteiligte noch Geldgeber sind. Diese Organisationen haben ein klares "Interesse" am Ergebnis. Bewertungskomponenten sollten in Mobilitätsmanagement-Projekte so eingebaut werden, dass eine angemessene Finanzierung der Bewertung möglich ist und mit der Erhebung grundlegender Daten frühzeitig begonnen werden kann. Die Bewertung darf keine nachträgliche Maßnahme sein. Im Bemühen um Übereinstimmung und Vergleichbarkeit kann eine internationale Datenbasis für Methoden und Ergebnisse geschaffen werden, die es Planern, Projektleitern und Forschern im Mobilitätsmanagement ermöglicht, das Spektrum von Auswirkungen und Erfahrungen jener zu bewerten, die schon Programme durchgeführt haben. Nationale, europäische und internationale Archive könnten aufgebaut werden, um Bewertungsergebnisse zu sammeln und um durch die Veröffentlichung grundlegende Anleitungen zu Bewertungsmethoden und Bewertungsinstrumenten anzubieten.


Einordnung in die Forschung / Relevanz für die Politikberatung
Die Bewertung wird bisher nicht systematisch angegangen. Es besteht Handlungsbedarf zur sauberen Erfassung der Wirkungen von MM.

Zitiert in Synthesebericht

Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?21843

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 12:52:42