Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen
Erstellt am: 24.05.2006 | Stand des Wissens: 15.01.2021
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Raumaneignung ist die Fähigkeit den physikalischen, sozialen und geistigen Raum handelnd zu erschließen, sodass man sich in ihm orientieren kann, worunter Handlungsentwürfe und -realisationen zu verstehen sind [KrGr78, S. 187]. Inhalt der Raumaneignung ist es, den Lebensraum zu nutzen und zu erleben. Dafür ist die Mobilität die Voraussetzung. Es ist zwischen "Gebrauch" und "Aneignung" von Räumen zu unterscheiden. Unter Gebrauch ist die Nutzung eines Raums gemäß seiner Funktionen zu verstehen und unter Aneignung die Veränderung oder Entwicklung von (neuen) Raumnutzungen [Ahre02, S. 34 f.].
Für die kindliche Entwicklung ist es unumgänglich, die Umgebung selbst zu erkunden, um die räumlichen Gegebenheiten kennenzulernen und sich in dieser angepasst zu verhalten. Dabei vergrößern sich der individuelle Ausschnitt der Umgebung, der Differenziertheitsgrad des Wissens über diese Umgebung und die Nutzungsansprüche mit zunehmendem Alter. Die stets neu gewonnenen Erfahrungen in neuen Umgebungen fördern die kognitive Entwicklung des Kindes sowie die Entwicklung zu Autonomie und Selbstständigkeit. Wie Ahrend anhand einer Typologie von drei kindlichen Mobilitätsstrategien zeigt, können nur selten gemachte positive Erfahrungen mit Bewegungskompetenzen und daraus resultierende kritische Raumerfahrungen für Kinder zur Erkenntnis führen, dass Räume nicht selbständig erreichbar und deshalb nur schwer anzueignen sind [Ahre02, S. 198]. Als Folge kann die Entwicklung der eigenständigen Mobilität langfristig gestört werden. Dies gilt es zu verhindern.
Die Entwicklung des Raumverständnisses von Kindern vollzieht sich in drei Phasen [KrSc99, S. 10 f.]:
- topographisches Raumverständnis (zwei bis sieben Jahre): Beginn der Entwicklung der Repräsentation räumlicher Beziehungen; Referenzpunkt des Kindes ist dabei einzig die eigene Position im Raum,
- projektives Raumverständnis (sieben bis elf Jahre): Loslösung von der egozentrischen Raumwahrnehmung; Richtungen und Distanzen werden in Referenz zur Position eines fixen Objektes hergestellt sowie
- euklidisches Raumverständnis (ab zwölf Jahren): Vervollkommnung der räumlichen Repräsentation; es liegt ein abstraktes Koordinationssystem vor, welches auf physikalische Merkmale und Distanzen der Umwelt basiert.
Durch regelmäßige Nutzung öffentlicher und halböffentlicher Räume im unmittelbaren Wohnumfeld werden diese zu einer Art informellen Institution [May02, S. 5].
Neben der Schule ist der öffentliche Raum für also Kinder ebenfalls eine Bildungsstätte. Dieser Ort der informellen Bildung trägt zur Entwicklung sozialer Kompetenzen in wechselnden Gruppen, sowie zum Umgang mit fremden Menschen oder neuen Situationen bei. Der öffentliche Raum ist somit Ausgangsort von Aneignungsprozessen, die von Kindern und Jugendlichen selbst initiiert werden - Bildungslandschaften sollten deswegen weiter gefasst werden als bisher. [Dein12, S. 4]
Diese Orte (beispielsweise Spielplätze oder Fußgängerzonen) weisen für die Kinder insbesondere sinnliche und kommunikative Qualitäten auf. Die kollektive Raumaneignung setzt sich in der Jugend fort. Für Jugendliche haben öffentliche Räume die sozialisierenden Funktionen der Repräsentation und Selbstdarstellung, sowie der Kommunikation und Interaktion. Da Jugendliche öffentliche Räume in Gruppen aufsuchen oder sich in den öffentlichen Räumen Gruppen bilden, sollten diese Gelegenheiten der Kommunikation und Interaktion bieten. Dem Bedürfnis von Jugendlichen nach öffentlichen Räumen, die wenig kontrolliert sind und in denen sie Erfahrungen sammeln können, um sich charakterlich zu entwickeln, steht zum einen das sicherheitsbedingte Verlangen der Eltern nach mehr sozialer Kontrolle und zum anderen Restriktionen beziehungsweise Barrieren unterschiedlicher Art entgegen [Herl03, S. 30 ff.; [BMFSFJ17a, S. 251 f.].
Neben der Schule ist der öffentliche Raum für also Kinder ebenfalls eine Bildungsstätte. Dieser Ort der informellen Bildung trägt zur Entwicklung sozialer Kompetenzen in wechselnden Gruppen, sowie zum Umgang mit fremden Menschen oder neuen Situationen bei. Der öffentliche Raum ist somit Ausgangsort von Aneignungsprozessen, die von Kindern und Jugendlichen selbst initiiert werden - Bildungslandschaften sollten deswegen weiter gefasst werden als bisher. [Dein12, S. 4]
Diese Orte (beispielsweise Spielplätze oder Fußgängerzonen) weisen für die Kinder insbesondere sinnliche und kommunikative Qualitäten auf. Die kollektive Raumaneignung setzt sich in der Jugend fort. Für Jugendliche haben öffentliche Räume die sozialisierenden Funktionen der Repräsentation und Selbstdarstellung, sowie der Kommunikation und Interaktion. Da Jugendliche öffentliche Räume in Gruppen aufsuchen oder sich in den öffentlichen Räumen Gruppen bilden, sollten diese Gelegenheiten der Kommunikation und Interaktion bieten. Dem Bedürfnis von Jugendlichen nach öffentlichen Räumen, die wenig kontrolliert sind und in denen sie Erfahrungen sammeln können, um sich charakterlich zu entwickeln, steht zum einen das sicherheitsbedingte Verlangen der Eltern nach mehr sozialer Kontrolle und zum anderen Restriktionen beziehungsweise Barrieren unterschiedlicher Art entgegen [Herl03, S. 30 ff.; [BMFSFJ17a, S. 251 f.].
Bisher gibt es nur wenige Studien zu Raumaneignungspraktiken von Jugendlichen, jedoch weisen diese ähnliche Ergebnisse auf. Es werden folgende Raumaneignungsmuster beschrieben:
- mobile Raumpraktiken: fixe Treffpunkte sind weniger wichtig, vielmehr jedoch das Durchstreifen des öffentlichen Raumes, was eine gewisse Selbstbestimmung und Kontrollfreiheit ermöglicht,
- dynamische Ortswechsel: Treffpunkte sind nur eine Zeit lang fix und ändern sich aufgrund eigener Wünsche oder externer Zwänge (beispielsweise Graffitikünstler),
- statische Raumpraktiken: fixe Treffpunkte, bei denen es jedoch verstärkt zu Konflikten mit Erwachsenen oder anderen Jugendgruppen kommen kann und
- funktionsorientierte Nutzung: Treffpunkte im Hinblick auf vordefinierte Handlungsmuster, zur Erprobung von Erwachsenenrollen und als Demonstration von Selbständigkeit und Verantwortungsübernahme (beispielsweise Cafés oder Bars).
Generell sind diese Verhaltensmuster nicht auf bestimme Kinder und Jugendliche beschränkt, können aber parallel vorkommen und sich mit dem Alter verändern [BMFSFJ17a, S. 252 ff.].
Mithilfe von Kinder- und Jugendarbeit können Gelegenheiten im öffentlichen Raum geschaffen werden, sich unter den gewünschten Bedingungen zu treffen, sowie verschiedene Gruppen und Szenen miteinander zu verknüpfen beispielsweise könnte neben einem Volleyballfeld eine Freifläche für Skater und BMX-Fahrer liegen. Die Beteiligung von Jugendlichen zum finden geeigneter Räume ist hierbei von großem Vorteil. [Dein12], S. 4]
Mithilfe von Kinder- und Jugendarbeit können Gelegenheiten im öffentlichen Raum geschaffen werden, sich unter den gewünschten Bedingungen zu treffen, sowie verschiedene Gruppen und Szenen miteinander zu verknüpfen beispielsweise könnte neben einem Volleyballfeld eine Freifläche für Skater und BMX-Fahrer liegen. Die Beteiligung von Jugendlichen zum finden geeigneter Räume ist hierbei von großem Vorteil. [Dein12], S. 4]
Bei der Betrachtung von Unterschieden zwischen den Geschlechtern zeigt sich, dass sich weibliche Kinder und Jugendliche zu einem geringeren Anteil in öffentlichen Räumen aufhalten. Besonders in Räumen mit vielen kreativen und aktiven Handlungen sind sie unterrepräsentiert. In Räumen mit überwiegend introvertierten und passiven Aktivitätenkategorien ist hingegen ein erhöhter Anteil weiblicher Jugendlicher festzustellen. Männliche Jugendliche tätigen mehr spiel- und sportbetonte Handlungen wie Skaten oder Fußball spielen), während weibliche Jugendliche häufiger ruhebetonte Aktivitäten (wie Sonnen oder Lesen) ausführen. Die beobachteten geschlechtertypischen Muster verdeutlichen eine gewisse Beständigkeit traditioneller Verhaltensrollen. [Herl03, S. 234; Ahre02, S. 42 ff.; May02].
Schlussendlich macht die Einbeziehung des öffentlichen Raumes als informelle Bildungsinstitution, sowie die Einbindung der Raumaneignung als Entwicklungsgrundlage für Kinder und Jugendliche eine interdisziplinäre Sichtweise notwendig. Es ist eine Zusammenarbeit von Politikern, Planern, aber auch Eltern und Kindern erforderlich, um beispielsweise öffentliche Räume neu zu definieren, sowie eine Umstrukturierung von Zwischen- und Freiräumen im Sinne der Kinder und Jugendlichen als Nutzer anzustoßen. Bei den bereitgestellten Strukturen müssen auf Besonderheiten der Raumaneignung im Generellen, aber auch auf geschlechterspezifische Unterschiede eingegangen werden. Kinder und Jugendliche selbst in diese Vorhaben einzubeziehen ist äußerst wichtig, da sie letztlich die Initiatoren ihrer eigenen körperlichen, geistlichen und mobilen Entwicklung im öffentlichen Raum sind. [Dein12, S. 4 f.]