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Hemmende Faktoren für Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr

Erstellt am: 24.05.2004 | Stand des Wissens: 21.06.2019
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die Gründe, aus denen Pendler nicht ansprechbar für Fahrgemeinschaften sind, sind sehr verschieden. Dabei sollte grundsätzlich zwischen strukturellen ("objektiven") und individuellen ("subjektiven") Faktoren unterschieden werden, um die einzelnen Hemmnisse gezielt identifizieren und gegebenenfalls abbauen zu können. Das Projekt "Strategien zur Erhöhung des Besetzungsgrades im Pkw-Verkehr" weist darauf hin, dass für eine Erhöhung des Besetzungsgrades die subjektiven und objektiven Hindernisse gleichermaßen berücksichtigt werden müssen [DHHK98].

Reinke hat auf Basis eines Feldversuches in Rodgau 1981 ermittelt, dass neben den rund 20 Prozent Teilnehmern an Fahrgemeinschaften 41 Prozent aus subjektiven und 39 Prozent aus objektiven Gründen nicht an Fahrgemeinschaften teilnehmen (können) ([Reinke85], vgl. Abbildung 1).
Rein85-50b.jpgAbbildung 1: Ermittlung des Potenzials für Fahrgemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland 1981 [Reinke85, S. 50]



Objektive Hemmnisse

Bei Nutzerbefragungen wurden für eine Nichtteilnahme an Fahrgemeinschaften vor allem folgende objektive Gründe aufgeführt [Reinke85, S. 10, S. 59, Funk06, S. 169 f., RoMe99, S. 111, move98a]:
  • Nutzung von Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) oder Fahrrad,
  • Außendienst oder wechselnde Einsatzstellen,
  • Erledigungen vor oder nach der Arbeit,
  • gleitende Arbeitszeiten,
  • Schichtdienste,
  • ein gutes bestehendes ÖPNV-Angebot,
  • geringe Betriebsgrößen oder Siedlungsdichten,
  • Nichtvorhandensein von Staus,
  • gutes Parkraumangebot und fehlende Parkraumbewirtschaftung sowie
  • hohes Einkommen der Mitarbeiter.
Umstritten ist dagegen der Einfluss der Arbeitszeitregelungen auf das Nachfragepotenzial von Fahrgemeinschaften.

Subjektive Hemmnisse

Nicht zu unterschätzen sind bei der Bildung von Fahrgemeinschaften subjektiv empfundene Abneigungen. Dazu zählen nach [Reink94, S. 54 f.; Schä02; DHHK98, ETH11]:
  • geringere Flexibilität (gebunden an feste Abfahrtszeit),
  • Erfordernis von Absprachen (zeitliche Abstimmung mit Fahrtpartner),
  • Angst vor unbekannten Mitfahrern (vor allem bei Frauen 55 Prozent und Jugend 68 Prozent),
  • Unzuverlässigkeit/-pünktlichkeit von Mitfahrern,
  • unterschiedliche Rauch-, Hygiene- und Musikgewohnheiten sowie
  • Haftungs-/ Versicherungsfragen.

Vor allem eine anonyme (internetgestützte) Vermittlung von Fahrgemeinschaften hat daher größere Erfolgsprobleme als Ansätze, die in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz ansetzen können [Schä02].

In einer Stated-Preference-Untersuchung konnte ermittelt werden, dass bei bekannten Mitfahrern - im Vergleich zu unbekannten Mitfahrern - die Nutzung von Fahrgemeinschaften um etwa einen Prozentpunkt höher liegt [Funk06, S. 213 f.].

Zudem ist der Pkw als Prestigeobjekt von Bedeutung: Eine Teilnahme an einer Fahrgemeinschaft kann daher eventuell mit einem sozialen Abstieg assoziiert werden [Schä02].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr (Stand des Wissens: 21.06.2019)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?56871
Literatur
[DHHK98] H. Dürholt , R. Hamacher , H. Hautzinger , B. Krämer , L. Neumann , Th. Pischner , B. Schaaf Strategien zur Erhöhung des Besetzungsgrades im Pkw-Verkehr, Heilbronn, 1998/06
[ETH11] ETH Zürich - Research Collection (Hrsg.) Potential von Fahrgemeinschaften, 2011
[Funk06] Funke, Torsten Entwicklung von Verkehrsmittelwahlmodellen für komplexere Mitfahrverkehre, Stuttgart, 2006
[move98a] Schäfer-Breede, Klaus Move - Mobilitätsverbund; Service für Arbeitnehmerverkehr - Abschlussbericht, 1998/07
[Reink94] Reinkober, Norbert, Dr. Fahrgemeinschaften und Mobilitätszentralen, veröffentlicht in Schriftenreihe f. Verkehr und Technik, Ausgabe/Auflage 1, Erich Schmidt-Verlag , 1994, ISBN/ISSN 3 503 03503 6
[Reinke85] Reinke, Volkmar Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr - Möglichkeiten und Grenzen der Förderung, Dortmund, 1985, ISBN/ISSN 3-88211-050-3
[RoMe99] Roider, Oliver, Meschnik, Michael, Sammer, Gerd, ICARO - Ein EU-Forschungsprojekt am Beispiel "Fahrgemeinschaften in Salzburg", veröffentlicht in Schnittstellen im Mobilitätsmanagement, Ausgabe/Auflage 1, Dortmunder Vertrieb für Bau- und Planungsliteratur Gutenbergstraße 59, 44139 Dortmund, 2000, ISBN/ISSN 3-929797-60-7
[Schä02] Schäfer, Marco Fahrgemeinschaften im Berufsverkehr - in Deutschland auch in Zukunft nur die Nische in der Nische?, veröffentlicht in Planungsrundschau, Ausgabe/Auflage Ausgabe 05, Cottbus , 2002
Weiterführende Literatur
[UBA20d] Heinitz, Prof. Dr. Florian Potenziale und Hemmnisse für Pkw-Fahrgemeinschaften in Deutschland, Ausgabe/Auflage Texte | 216/2020, 2020/11, ISBN/ISSN 1862-4804
Glossar
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?87609

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 16:06:30