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Human Factors in der Flugsicherung

Erstellt am: 17.05.2004 | Stand des Wissens: 19.09.2018
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike

Die menschlichen Faktoren, oder auch Human Factors genannt , sind als wichtiger Faktor bei sicherheitskritischen Anwendungen der Flugverkehrskontrolle zu sehen. Sie können unter Umständen zu menschlichen Fehlern, auch Human Errors genannt, führen. Um aus menschlichen Fehlern Rückschlüsse auf die begünstigenden Faktoren zu ziehen sind Verfahren zur Analyse menschlicher Fehler erforderlich. EUROCONTROL entwickelte die sogenannte HERA - Methode (Human Error in ATM) [ECTR02b]. Diese Methode soll eine Analyse weg vom Individuum hin zum Gesamtsystem führen. So wird vorrangig nicht nach individuellen Fehlern, sondern auf deren Entstehung im Gesamtkontext abgezielt. Eine ähnliche Methode wurde durch die FAA mit dem Namen HFACS (Human Factor Analysis and Classification System) entwickelt [ECTR02b]. In Zusammenarbeit zwischen der EUROCONTROL und FAA hat man gemeinschaftlich ein Verfahren zur Analyse menschlicher Fehler in ATM (Air Traffic Management)-Systemen geschaffen [ECTR02b].
Zum Verständnis der Human Factors soll Wissen über Menschen am Arbeitsplatz gesammelt werden und dieses in Beziehung zu den vorhandenen Aufgaben, der verwendeten Technologie und der Arbeitsumgebung gesetzt werden. Human Factors umfassen die Bereiche der Verarbeitung, Verhalten, Befähigung und Leistung.

86745_Human_factor_bereiche.PNGAbbildung 1: Human Factor-Bereiche: Verarbeitung, Verhalten, Befähigung und Leistung [ECTR98f]

Im Wesentlichen sind die Human Factors in zwei Teilbereiche zu untergliedern, die sich dadurch unterscheiden, dass der Mensch nur mit dem System arbeitet oder aber mit anderen Menschen durch Kommunikation oder Aufgabenteilungen in Verbindung steht.
Abbildung 2: Human Factors an der Mensch-Maschine-Schnittstelle und bei der Arbeit im Team [ECTR98f]

Daher ist die ergonomische Auslegung der Mensch-Maschine-Schnittstelle Teil der Human Factor-Forschung. Der Bedienkomfort und die Darstellungsart haben einen wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsleistung des Lotsen. Um die Arbeitssituation für den Fluglotsen zu verbessern ist man bemüht, durch Nutzung neuer Technologien [Sekundärradar-Antwortgerät Mode-S] zusätzliche Informationen zur Flugverkehrskontrolle darzustellen. Zudem hat die Einführung großer Bildschirmsichtgeräte, die Anpassung verschiedener Bedieneinheiten und die Darstellungsform der Fluginformation zu einer höheren Benutzerfreundlichkeit beigetragen. In diesem Bereich hat die EUROCONTROL zahlreiche Untersuchungen vorgenommen. Dazu wurden die Einflüsse der Buchstaben- und Bildschirmdarstellungen [ECTR00e] sowie die Situation Awareness [ECTR99e] bei der Flugsicherungsarbeit untersucht. Daraus resultieren Empfehlungen für die Entwicklung zukünftiger Lotsenarbeitsplätze. Es wird als notwendig angesehen, die Auslegung frühzeitig an den Bedienerfordernissen des Menschen auszurichten und nicht nur die technisch effizienteste Lösung zu berücksichtigen. Eine gut ausgebildete Schnittstelle erhöht die Effizienz und Produktivität des Personals und hat zudem eine positive Wirkung auf die Sicherheit.

Bei der weiteren Automatisierung ist insbesondere darauf zu beachten, dass die Systeme von den Lotsen akzeptiert werden. Nur wenn Fluglotsen neuer Technik vertrauen, wird sie wirksam einzusetzen sein. Aus diesem Grund muss trotz der Automatisierung gewährleistet bleiben, dass die Prozesse nachvollziehbar sind und das Situationsbewusstsein erhalten bleibt (engl.: Situation and System Awareness). Insbesondere bei Ausfällen der Systeme müssen Rückfallsysteme vorhanden sein. Der Erhalt der Fähigkeit der Lotsen, ohne umfangreiche Unterstützungssysteme sicher zu arbeiten, ist dabei ebenso in Betracht zu ziehen. Die Ausrichtung auf den Nutzer neuer Systeme, in der englischen Fachsprache als Human-Centered Design bezeichnet, ist bereits bei der Entwicklung neuer ATM-Systeme zu berücksichtigen. Ein zu großes Vertrauen und eine Verschlechterung der eigenen Fähigkeiten, wären Folgen einer schlecht konzipierten Mensch-Maschine-Schnittstelle. Dieser Fehler, der mit den Problemen bei der Einführung der ersten Generation von Luftfahrzeugen mit Glas-Cockpit vergleichbar ist, muss vermieden werden. Die Human Factors spielen in der Flugsicherung einerseits im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation, andererseits an der Mensch-Maschine-Schnittstelle eine wesentliche Rolle. Die Kommunikation und Koordination muss zwischen dem Flugsicherungspersonal am Arbeitsplatz innerhalb des Controller-Teams und bei der Übergabe an andere Kontrollstellen sicher und eindeutig vollzogen werden. Uneindeutige Aussageformen von Fluglotsen oder Piloten können unterschiedlich aufgefasst werden.
Mit Kommunikation und Koordination zwischen dem Flugsicherungspersonal am Arbeitsplatz innerhalb des Controller-Teams und bei der Übergabe an andere Kontrollstellen beschäftigt sich ein zweiter Teilbereich der Human Factors. Die Kommunikation muss immer sicher und eindeutig vollzogen werden, da uneindeutige Aussageformen von Fluglotsen oder Piloten unterschiedlich aufgefasst werden könnten.
In der Luftfahrt zählt Teamwork daher zu den wichtigsten Human Factors, um eine Verbesserung der Sicherheit und Erhöhung der Effizienz zu erzielen. Als Ableitung des Crew Resource Management (CRM) im Cockpit ist das Team Resource Management (TRM) für die Flugsicherungsarbeit zu sehen. Dazu sollte das TRM-Konzept durch Flugsicherungslotsen in Zusammenarbeit mit Human Factor-Experten entwickelt werden und auf den erfolgreichen Elementen des CRM basiert sein. Zudem sollten Erkenntnisse der Untersuchungen von Zwischenfällen und Unfällen mit ATM-Zusammenhang Einfluss finden. Die wichtigsten Verbesserungen sieht man in folgenden Bereichen:
  • Verminderte Teamwork-bezogene Vorfälle,
  • Verbesserte Aufgabenerfüllung,
  • Verbesserte Nutzung der Personalressourcen,
  • Verbesserte Kontinuität und Stabilität der ATM-Teamarbeit,
  • Gesteigertes Teambewusstsein.
Um diese Ziele zu erreichen müssen innerhalb der Personalschulung Verhaltensstrategien gelehrt werden. Teile des Team Ressource Managements sind dabei das Situationsbewusstsein, die Entscheidungsfindungsprozesse, die Kommunikation, die Führungsqualitäten und das Stressmanagement. In einer Studie untersuchte die EUROCONTROL den Einfluss des Alters, der Erfahrung und der Automation in der europäischen Flugsicherung. Die Alterung im Arbeitsprozess hat nach eigener Einschätzung der Befragten einen Einfluss auf das Verhalten gegenüber Veränderungen bei der Einführung neuer Systeme. Dabei gab es am ehesten Bedenken gegenüber der Menge der Veränderungen in kurzen Zeiträumen. Außerdem sahen die Personen eine mit zunehmendem Alter verringerte Verarbeitungsgeschwindigkeit bei komplexen Prozessen bei der Luftverkehrskontrolle als feststellbare Veränderung [ECTR03i].
Ansprechpartner
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Sicherheitsaspekte der Flugsicherung (Stand des Wissens: 19.09.2018)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?87935
Literatur
[ECTR00e] k.A. Font Requirements for Next Generation Air Traffic Management Systems, Eurocontrol, Brüssel, Belgien, 2000/08/31
[ECTR02b] Pounds, J., Isaac; A. Development of an FAA EUROCONTROL Technique for the Analysis of Human Error in ATM, Eurocontrol, Brüssel, Belgien, 2002/07
[ECTR03i] k.A. Age, Experience and Automation in European Air Traffic Control, Eurocontrol, Brüssel, Belgien, 2003/08/22
[ECTR98f] k.A. Human Factors in the Development of Air Traffic Management Systems, Eurocontrol, Brüssel, Belgien, 1998/03/27
[ECTR99e] k.A. Proceedings of the Third EUROCONTROL Human Factors Workshop Integrating Human Factors into the Life Cycle of ATM Systems, Eurocontrol, Brüssel, Belgien, 1999/11/30
Weiterführende Literatur
[CAA00b] k.A. ACCESS-Aircraft Call sign Confusion Evaluation Safety Study CAP 704, Safety Regulation Group, Civil Aviation Authority, Aviation House, Gatwick Airport South, West Sussex, RH6 0YR., 2000/04, ISBN/ISSN ISBN 0 86039 787 4
[CAA03j] o.A. Air Traffic Services Safety Requirements (CAP670), ATS Standards Department, Safety Regulation Group, CAA, Aviation House, Gatwick Airport South, England, 2003/06/17, ISBN/ISSN ISBN 0 86039 907 9
[ECTR96a] k.A. Guidelines for Developing an Implementing Team Resource Management, Eurocontrol, Brüssel, Belgien, 1996/03/15
[CAA02b] o.A. Manual of Air Traffic Services Part 1, ATS Standards Department, Safety Regulation Group, CAA, Aviation House, Gatwick Airport South, England, 2002/05/10, ISBN/ISSN ISBN 0 86039 860 9
[ECTR98e] k.A. Proceedings of the Second EUROCONTROL Human Factors Workshop-Teamwork in Air Traffic Services, Eurocontrol, Brüssel, Belgien, 1998/01/30
[CAA02k] o.A. Radar Control - Collision Avoidance Concepts, ATS Standards Department, Safety Regulation Group, CAA, Aviation House, Gatwick Airport South, England, 2002/01/18, ISBN/ISSN ISBN 0 86039 833 1
Glossar
FAA Die Federal Aviation Administration (FAA) ist die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten von Nordamerika (USA).

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?86745

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 10:08:56