Lichtsignalanlagen zur Steuerung des Verkehrsablaufs
Erstellt am: 15.12.2003 | Stand des Wissens: 16.12.2019
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Entgegen der Fahrtrichtung des zu regelnden Verkehrs werden gesteuerte Lichtsignale gegeben, die sich nach Form und Farbe unterscheiden. Vor allem dem motorisierten Individualverkehr (MIV), aber auch anderen Verkehrsteilnehmergruppen wird so ein bestimmtes Verhalten angeordnet. In Deutschland richtet sich die Steuerung nach dem technischen Regelwerk "Richtlinien für Lichtsignalanlagen" [RiLSA] und ist konkret in einem Signalzeitenplan festgelegt oder wird verkehrsabhängig umgesetzt, etwa für die Situationen Nacht, Anfahrt (morgendliche Verkehrsspitze), Tag und Abfahrt (abendliche Verkehrsspitze).
In den vergangenen Jahren fand für die Lichtsignalsteuerung sukzessive ein Übergang zur standardisierten Open Communication Interface for Road Traffic Control Systems (OCIT)-Schnittstelle statt. Die Umstellung des LSA-Bestandes auf OCIT ist eine Daueraufgabe, die aus Kostengründen begleitend zur regulären System-Erneuerung erfolgen muss. Mit dieser Entwicklung wächst der Handlungsspielraum für das Verkehrs- und Strategiemanagement zunehmend.
Konkrete Beiträge der LSA-Steuerung zu den operationalisierten Zielen zeigt [BuKe97] mit einigen Beispielen auf:
- Mittels sogenannter Pförtneranlagen wird die Verkehrsnachfrage auf eine für ein bestimmtes Gebiet verträgliche Menge begrenzt.
- Durch Vorrangschaltungen für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) lassen sich für diesen beträchtliche Reisezeitgewinne erzielen, wodurch die Attraktivität und Nutzungsintensität des ÖPNV steigen kann.
- Durch Koordinierung von Lichtsignalanlagen lassen sich Verkehre auf Leistungsachsen bündeln und beschleunigen (in [Schn06] wird ein praktikables Berechnungsverfahren zur Unterstützung der Planung von Koordinierungen vorgestellt und mögliche Auswirkungen der Koordinierungen sowie deren Effizienz beschrieben).
- Negative Einflüsse von Verkehrsstörungen auf den Verkehrsablauf im Netz können mittels Störungsdetektion in Verbindung mit verkehrsadaptiven Netzsteuerungen reduziert werden.
- Optimierte LSA-Schaltungen tragen durch verkürzte Wartezeiten und reduzierte Halte zur umweltschonenden Verkehrsabwicklung bei (Verkehrsbeeinflussung bei erhöhten Schadstoffbelastungen oder sogar zur Vermeidung von Grenzwertüberschreitungen).
Neue Methoden zur Verkehrsdatenerfassung wie z.B. Videodetektion, Floating-Car-Ansätze oder drahtlose Erfassungstechnologien eröffnen Möglichkeiten für neuartige LSA-steuerungsansätze mit netzweitwirkenden, modellbasierten Steuerungsverfahren, welche beispielsweise ihre Freigabe- und Sperrzeiten über eine räumlich-zeitliche Beschreibung der aktuellen Verkehrssituation anpassen. Dementsprechend wandelt sich der Anspruch an LSA von primitiven Festzeitsteuerungen, über verkehrsabhängig regelbasierte Verfahren, hin zu dezentral selbstorganisierten Systemen. [OeEr17]
Durch eine intelligente Verbindung der Steuerung des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) und des ÖPNV lassen sich innovative, im urbanen Verkehrsraum erforderliche LSA-Steuerungen mit einem Gesamtoptimum für den Verkehrsablauf beider Verkehrsträger realisieren. Nach [Krim10] existieren folgende Zielstellungen:
Zielstellungen aus Sicht des ÖPNV
Zielstellungen aus Sicht des ÖPNV
- fahrplanabhängige Bevorrechtigung in mehreren Stufen
- LSA-seitige Unterstützung von dynamischen Anschlüssen
- Realisierung energiesparender Fahrweisen und Vermeidung unnötiger Halte an der LSA
Zielstellungen aus Sicht des MIV
- Sicherung der Leistungsfähigkeit
- Vermeidung unnötiger Unterbrechungen der Grünen Welle durch den ÖPNV
Die Umsetzung solcher sowie weiterführender Zielstellungen wird und wurde in der Vergangenheit durch eine Reihe von Forschungsprojekten verfolgt.
Im Rahmen mehrerer Forschungs- und Fördervorhaben des Bundes und des Freistaates Sachsen (unter anderem "intermobil Region Dresden", "Verkehrsmanagementsystem Dresden Verkehrsgebiet Dresden-West") wurde das operative Verkehrs-Analyse-, Management- und Optimierungs-System (VAMOS)" entwickelt und als das Verkehrsmanagementsystem für die Landeshauptstadt Dresden schrittweise aufgebaut. VAMOS vernetzt die in der Region verfügbaren Verkehrsdetektoren und die verschiedenen Verkehrssteuerungs- und -leitsysteme des städtischen Straßennetzes sowie der Autobahnen. Zugeordnete Forschungsschwerpunkte sind die optimale Steuerung von Verkehrsprozessen, der Telematik-Einsatz, die koordinierte Steuerung von Verkehrsbeeinflussungsanlagen, die Verkehrslageermittlung aus heterogenen online-Verkehrsdaten, Floating-Car-Daten (FCD), die dynamische Modellierung des Verkehrs in Ballungsräumen, das operative Verkehrsmanagement und die Verkehrsleitsysteme und -zentralen. Im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projektes EFA2014/2 ist als Bestandteil von VAMOS eine Grünzeitprognose koordiniert verkehrsabhängig geschalteter LSA realisiert. Diese Prognosedaten werden vom Projektpartner BMW in die Fahrzeuge eingespielt, um Energie sparende Fahrweisen umzusetzen. Ergänzt werden die Grünzeitprognosen durch einen eigens dafür entwickelten Rückstaulängenschätzer. Eine Teststrecke von insgesamt 17 LSA und einer Länge von etwa 10 Kilometer wurde entsprechend ausgerüstet.
Die Integrierte Verkehrsleitzentrale (IVLZ) in Stuttgart dient der umweltgerechten und verkehrsträgerübergreifenden Verkehrssteuerung und wird aktuell durch den Aktionsplan Nachhaltig mobil in Stuttgart weiterentwickelt. Ziel des Aktionsplans ist die Schaffung von erhöhter Lebensqualität im urbanen Ballungsraum mit der Strategie, stadtplanerische Instrumente mit Verkehrsplanung und Infrastrukturpolitik zu kombinieren. Als Beispiel kann hierfür das Park- und Verkehrsleitsystem NeckarPark angeführt werden. Für dieses attraktive und vielfältig genutzte Veranstaltungsgebiet mit mehreren Millionen Besuchern pro Jahr befinden sich im gesamten Zulaufgebiet 36 dynamische Schilder mit unterschiedlichen Anzeigeelementen zur Steuerung und Lenkung des Individualverkehrs für Veranstaltungen und Besuchergruppen in der Mercedes-Benz Arena, der Wilhelma, der Schleyer-Halle, der Porsche-Arena, des Cannstatter Wasens, des Carl Benz Centers und der SCHARRena. Über diese Leitschilder können die Veranstaltungsbesucher gezielt zu den freien Parkflächen oder Parkhäusern gelenkt werden. Dabei kann in Kombination mit der Fahrstreifensignalisierung Talstraße auf kurzfristige auftretende Verkehrsspitzen dynamisch reagiert werden. Die Strategie zur Befüllung der vorhandenen Parkflächen, die Lenkung von Pkw und Bussen sowie bei Bedarf die getrennte Führung von Fangruppen werden dabei im Vorfeld mit allen Partnern der IVLZ abgestimmt [SaRie14].Das Projekt Nachhaltige Verkehrssteuerung mit integrierter Navigation in der Region Stuttgart (NAVIGAR) schließt die bestehende Lücke zwischen öffentlich betriebenem Verkehrsmanagement und privatwirtschaftlicher Navigation. Dazu werden in einer Grundstufe die IVLZ und Navigationssysteme miteinander verknüpft. Das System berücksichtigt übergeordnete Leitstrategien und vermittelt den Verkehrsteilnehmern politisch gewünschte Routenempfehlungen. Die Zielsetzung des Projekts bezieht sich darauf, eine Verbesserung im regionalen und kommunalen Verkehr zu erreichen. Dies gelingt dadurch, dass Verkehrsempfehlungen der öffentlichen Hand in die Navigationssysteme privater Anbieter übertragen und dort verarbeitet werden [SaRie14].Anfahr- und Bremsvorgänge sowie Standzeiten an LSAs tragen in einem hohen Maß zur Erhöhung des Kraftstoffverbrauchs bei Kraftfahrzeugen in urbanen Gebieten bei. Um diesen Einfluss zu verringern, bieten einige Automobilhersteller bereits Start-Stopp-Automatiken für die Standzeiten oder intelligente Motorsteuerungen bei Hybrid-Fahrzeugen an. Um eine weitere Verringerung des Kraftstoffverbrauchs zu erreichen, gibt es folgende Ansätze:
- Optimierung des Annährungsvorganges an die LSA zur Reduzierung von Brems- und Beschleunigungsvorgängen,
- Vermeidung des Anhaltens an einer LSA und
- Anpassung des Motormanagements bei der Annäherung an eine LSA-gesteuerte Kreuzung.Voraussetzungen für die Realisierung dieser Ansätze sind die Kenntnis der Freigabe- und Sperrzeiten der LSA, die genaue Position des Fahrzeugs und die Darstellung der Fahrhinweise sowie die automatische Anpassung des Motormanagements.
Im Forschungsprojekt "Kooperative und optimierte Lichtsignalsteuerung in städtischen Netzen (KOLINE) wird die Kooperation zwischen LSA-Steuerung und Fahrerassistenzsystemen untersucht. Ziel ist die Erstellung und automatisierte Umsetzung einer optimalen Anfahrstrategie unter Berücksichtigung der Signalzeiten, der Rückstaus, fahrzeuginterner Sensordaten sowie der Car-to-Infrastructure (C2I)-Kommunikation.
Im Forschungsprojekt "Cool Energy Car Communication (CECC I/II) soll ebenso ein energieeffizientes LSA-Assistenzsystem geschaffen werden. Wesentliches Ziel ist, durch die Steuerung anderer elektrischer Verbraucher gleichzeitig energetische Einspareffekte bei gleicher Funktionalität zu erhöhen.
Echtzeit-Daten aus der Lichtsignalsteuerung sind für die Weiterentwicklung von Fahrerassistenzsystemen im Rahmen kooperativer Systeme von Interesse. Ein Beispiel hierfür ist der von Audi, BMW und der Stadt Frankfurt am Main im Rahmen des Forschungsprojekts Sichere Intelligente Mobilität Testfeld Deutschland (SIM-TD) entwickelte Ampelphasenassistent. Auch die Ergebnisse aus den Forschungsprojekten Urbaner Raum: Benutzergerechte Assistenzsysteme und Netzmanagement (UR:BAN) sowie Maßnahmen zur Gewährleistung der Interoperabilität zwischen öffentlichem Verkehrsmanagement und individuellen Navigationsdiensten (FE 03.0484/2011/IRB) werden von großem Interesse bei der weiteren Entwicklung sein [SaRie14].
Da es sich angesichts der komplexen und variablen Einflüsse schwierig gestaltet, Verkehrsnetze als Ganzes zu regeln, gibt es Ansätze, die eine Selbst-Steuerung der einzelnen Netzknoten anstrebt. Die Durchfahrtszeiten werden so angepasst, dass die geschätzten Wartezeiten an den Netzknoten für den vorgegebenen Zeitbereich minimal sind. Für welche Zeitperiode und mit welchem Verkehrsstrom der Verkehrsteilnehmer gemeinsam Grün bekommt, entscheidet die Selbst Steuerung ad hoc in Abhängigkeit der aktuell erfassten Verkehrssituation. An zwei Knotenpunkten in Dresden wurde die Praxistauglichkeit des Systems nachgewiesen . [Lämm15]Um die Steuerung des Verkehrsablaufs permanent zu gewährleisten, sollte die Qualität der Lichtsignalanlagen laufend überprüft und auf Fehler oder Schwachstellen hin untersucht werden. Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) hat in ihrer RiLSA-Ausgabe 2010 ein Kapitel über das Qualitätsmanagement von LSA beschrieben. Auch die Open Traffic Systems City Association e. V. (OCA), ein Verband von öffentlichen Baulastträgern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, hat dazu einen Leitfaden mit dem Titel Praktischer Leitfaden zur Beurteilung der Qualität an Lichtsignalanlagen erarbeitet, der den Einstieg in das Qualitätsmanagement erleichtern soll. Darüber hinaus verweist [bast06b] auf die hohe Bedeutung eines Qualitätsmanagements in Form einer systematischen Überprüfung und Bewertung von Lichtsignalanlagen.