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Temperaturüberwachung von Radsätzen und Bremsen im Schienenverkehr

Erstellt am: 14.10.2003 | Stand des Wissens: 05.03.2024
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Die sichere Durchführung des Betriebs im Schienenverkehr ist nicht allein durch wartungstechnischen Aufwand zu gewährleisten. Während einer Zugfahrt treten bei Radsatzlagern immer wieder Lagerschäden auf, die zu Wellenschenkelbrüchen und somit zu schweren Unfällen führen können. Der Grund dafür ist die unzulässige Erwärmung der Lager, wodurch das Schmierfett seine Funktion verliert und das Lager zerstört. Die dadurch entstehenden ungleichen Achsdrücke können Entgleisungen zur Folge haben [ScKa05, S. 805]. Um dennoch eine hohe Betriebssicherheit zu gewährleisten, wurden bereits in den 1970er Jahren Anlagen entwickelt, die schadhafte, sich erhitzende Lager (sogenannte Heißläufer) erkennen können. Ein ähnliches Problem ist bei den Bremsen festzustellen, deren Bremsklötze während der Fahrt an den Laufflächen angelegt bleiben. Dadurch kann es durch Wärmeentwicklung zur Beschädigung der Radreifen kommen.
Für beide Bereiche wurden stationäre und mobile Ortungsanlagen konstruiert, wobei infrastrukturseitige Systeme Radsätze und Bremsen gleichzeitig überwachen können. Ortsfeste Heißläuferortungsanlagen (HOA) sowie Festbremsortungsanlagen (FBOA) werden dabei in einer Anlage kombiniert. Nachdem eine solche im Gleis installierte Anlage von einem entsprechenden Raddetektionssystem angesteuert wurde, registriert diese berührungslos die Betriebstemperaturen der Achslager und Bremsen vorbeifahrender Züge [GrPu14, S. 25]. Sobald die gemessene Temperatur eine sogenannte Alarmschwelle übersteigt, wird der zuständige Fahrdienstleiter informiert. Auf diese Weise können beschädigte Wagen noch in einem betriebssicheren Zustand zurückgestellt werden, bevor der Achslagerschaden zu einem gefährlichen Achsschenkelbruch führt [Eise01, S. 21]. Die Messung erfolgt normalerweise in einem Abstand von 40 bis 70 Kilometern, auf Schnellfahrstrecken alle 35 bis 40 Kilometer. Im Netz der Deutschen Bahn sind ca. 460 solcher Anlagen in Betrieb (Stand 2008). [KlSt08, S. 10]
Die Vorteile stationärer Anlagen (Abbildung 1) lassen sich wie folgt zusammenfassen:
  • Alle Fahrzeuge, auch Fremdfahrzeuge, werden erfasst.
  • Lagerüberwachung wird bei Ausfall einer Anlage durch die nächstfolgende übernommen. Bei mobilen Systemen ist eine Ortung erst wieder nach der Instandsetzung möglich.
  • Störungen und Ausfälle werden automatisch dem Fahrdienstleiter gemeldet.
  • Die Kosten für Beschaffung und Instandhaltung sind vergleichsweise gering.
[HoPa92, S. 348]

heisslaeufer.gifAbb. 1: Multi-Beam-Heißläuferortungsanlage [Eise11, S. 21]

Eine denkbare Alternative stellen mobile, direkt an den Güterwagen befestigte Messsensoren dar. Da Güterwagen in aller Regel über keine eigene Stromversorgung verfügen, muss hier mit energieautarken Systemen gearbeitet werden. Ein solches System wurde vom Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit (LBF) im Rahmen des Forschungsprojekts "Energieautarke Tilger-Sensor-Module (EATSM)" entwickelt (Abbildung 2). [KoKu13, S. 6 ff.]

Abb.2.JPGAbb. 2: Energieautarkes Heißläufer-Detektionssystem, Versuchsanordnung [KoKu13, S. 7]

Es gibt mehrere Varianten von Heißläuferortungsanlagen; deren Systeme unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl an Messstrahlen (sogenannte single, dual und multi-beam systems) [Eise11, S. 16 ff.]. Die Systeme übermitteln im Alarmfall eine Reihe von Informationen an den verbundenen Server, darunter mindestens Details zur Schwere der Störung, der Temperatur, zum Ort der Messung am Fahrzeug sowie zur Fahrtrichtung des Zuges. Zusammen mit dem Standort der Anlage kann dem Alarm die Zugnummer und damit die genaue Achse zugeordnet werden. Darüber hinaus können bei einigen Systemen weitere Informationen übertragen werden, sofern dies gefordert wird. [Schö11a, S. 35 ff.]
Die Analysen auf Basis der oben genannten Daten in Kombination mit praktischen Beobachtungen haben ergeben, dass die Temperatur als Indikator ausreichend ist, um ein Entgleisungsrisiko festzustellen. Die Betreiber von Infrastrukturanlagen haben also durch die Datenanalyse die Möglichkeit, mit Hilfe einer Kosten-Nutzen-Rechnung den optimalen Ausbaugrad für Heißläuferortungsanlagen zu ermitteln [ScKa05, S. 806 ff.]. Im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe "Tank- und Fahrzeugtechnik" des damaligen Bundesverkehrsministeriums (BMVBS) wird festgestellt, dass sich die Installation von Heißläuferortungsanlagen bewährt habe. Der deutliche Rückgang an Schadensfällen ist u. a. auf den Einsatz der HOA zurückzuführen [BMVBS02, S. 12].
Die HOA werden jedoch nicht flächendeckend eingesetzt. Zudem erschweren neue Drehgestellkonstruktionen die ortsgebundene Heißläuferortung. In diesen Fällen wird eine telematikgestützte mobile Achslagertemperaturüberwachung empfohlen [BMVBS02, S. 12]. Auch Hecht et al. sehen in den zu weit voneinander entfernten Heißläuferortungsanlagen ein Problem für den Gefahrguttransport auf der Schiene. Nach ihren Ausführungen wiesen die heute verwendeten Radlager über lange Zeit ein ausgesprochen langsames Erwärmungsverhalten auf. Allerdings komme es nach einer Schädigung schnell zu einem sehr starken Temperaturanstieg. Dadurch sei die Entdeckungswahrscheinlichkeit vor dem Versagen gering [HeJa99a, S. 842]. So bestehe die Möglichkeit, eines vollständigen Versagens des Bauteils nach Erhitzungsbeginn innerhalb einer Wegstrecke von drei Kilometern [ETSC03, S. 41].
Ansprechpartner
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Literatur
[BMVBS02] o.A. Abschlussbericht der Arbeitsgruppe "Tank- und Fahrzeugtechnik" , 2002/02
[Eise01] Eisenbrand, Erich, Dr.-Ing. Phoenix MB: Die neue Dimension in der Heißläuferortung, veröffentlicht in Signal + Draht, Ausgabe/Auflage 5, Tetzlaff Verlag, Hamburg, 2001/5, ISBN/ISSN 0037-4997
[Eise11] Eisenbrand, Erich Hot box detection in European railway networks, veröffentlicht in Railway Technical Review Special, Ausgabe/Auflage 2011, DVV Media Group GmbH, Hamburg, 2011, ISBN/ISSN 0079-9548
[ETSC03] o.A. Cost effective EU transport safety measures, 2003, ISBN/ISSN 90-76024-16-2
[GrPu14] Grundnig, G., Pucher, C. Anwendungsmöglichkeiten von Raddetektionssystemen mit induktiven Radsensoren, veröffentlicht in Signal und Draht, Ausgabe/Auflage 06, DVV Media Group GmbH Eurailpress , Hamburg, 2014/06
[HeJa99a] Hecht, Markus, Prof. Dr.-Ing., Janik, Marcus, Dipl.-Ing., Rieckenberg, Thomas, Dipl.-Ing., Salz, Dorothea, Dipl.-Ing. Telematik im Schienengüterverkehr - Anwendung bei Gefahrguttransporten, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau (ETR), Ausgabe/Auflage 12, 1999, ISBN/ISSN 0013-2845
[HoPa92] Hohnstädt, Klaus, Dipl.-Ing. , Pachnicke, Jörg, Dipl.-Ing. Heißläuferortungsanlagen für Schnellfahrstrecken der Deutschen Bundesbahn, veröffentlicht in Eisenbahningenieurkalender, Tetzlaff Hamburg, 1992, ISBN/ISSN 3-87814-501-2
[KlSt08] Klima, Wolfram, Stern, Markus Heißläufer- und Festbremsortungslagen bei der DB Netz AG, veröffentlicht in Bahn Praxis, Ausgabe/Auflage 03/2008, Bahn Fachverlag GmbH / Mainz , 2008
[KoKu13] Koch, M., Kurch, M., Mayer, D. Energieautarke Sensoren zur Überwachung von Güterwagen, veröffentlicht in Der Eisenbahningenieur, Ausgabe/Auflage 09, DVV Media Group GmbH Eurailpress, Hamburg, 2013/12
[Schö11a] Schöbel, Andreas Wayside train monitoring systems - an overview, veröffentlicht in Signal + Draht, Ausgabe/Auflage 7+8/2011, DVV Media Group GmbH, Hamburg , 2011/07, ISBN/ISSN 0037-4997
[ScKa05] Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Schöbel,, Johannes Karner Optimierungspotenziale bei der Stationierung von Heißläuferortungsanlagen, veröffentlicht in Eisenbahntechnische Rundschau, Eurailpress Tetzlaff-Hestra GmbH & Co. KG, Hamburg, 2005/12, ISBN/ISSN 0013-2845
Glossar
Schnellfahrstrecke
Eine Schnellfahrstrecke (SFS) ist eine Eisenbahnstrecke, die mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h oder mehr befahren werden kann. Der Begriff entstand im Rahmen der technischen Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs (HGV). Er ist nicht geschützt beziehungsweise einheitlich definiert. Die obere Geschwindigkeitsgrenze von SFS schwankt daher zwischen 160 und 200 km/h. Zu beachten ist, dass ab einer Geschwindigkeit von 160 km/h statt der punktförmigen (PZB) eine linienförmige Zugbeeinflussung (LZB) zur Zugsicherung notwendig ist!
Heißläuferortungsanlage Eine Heißläuferortungsanlage (HOA) ist eine im Gleisbett eingebaute Einrichtung, die dazu dient, eine übermäßige Erwärmung von Radsatzlagern von Schienenfahrzeugen festzustellen. Eine unzulässig erhöhte Temperatur von Radsatzlagern kann einen Achsbruch hervorrufen oder zu einer gefährlichen Funkenbildung führen.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
Instandsetzung
Im Kontext der Straßenerhaltung versteht man unter "Instandsetzung" bauliche Maßnahmen zur Substanzerhaltung oder zur Verbesserung von Oberflächeneigenschaften von Verkehrsflächen, die auf zusammenhängenden Flächen in der Regel in Fahrstreifenbreite bis zu einer Dicke von 4 cm ausgeführt werden. Bei der Bauwerkserhaltung beschreibt der Begriff diejenigen Erhaltungsmaßnahmen an Bauteilen oder Bauteilgruppen, die keine Erneuerungsmaßnahmen sind.
Instandhaltung
Im Kontext des Erhaltungsmanagements bezeichnen die Begriffe "Instandhaltung" und "bauliche Unterhaltung" bauliche Maßnahmen kleineren Umfangs zur Substanzerhaltung von Verkehrsflächen, die mit geringem Aufwand in der Regel sofort nach Auftreten eines örtlich begrenzten Schadens ausgeführt werden.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?60723

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 09:27:42