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Integraler Taktfahrplan als Maßnahme des Verkehrsmanagements

Erstellt am: 30.09.2003 | Stand des Wissens: 24.10.2024

Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky

Generelles Ziel eines integralen Taktfahrplans (ITF) besteht darin, auf einem gegebenen Liniennetz die Anzahl an Verbindungen zu maximieren. Daraus soll eine Minimierung der Wartezeiten (sowohl innerhalb eines Beförderungsmittels als auch innerhalb eines Beförderungsbetriebes) resultieren und es sollen an bestimmten Schnittstellen bei minimalen Wartezeiten Übergänge auf andere Verkehrsträger ermöglicht werden [PRO00].
Ein Integraler Taktfahrplan soll also eine Qualitätssteigerung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) bewirken (Verbesserung des Verkehrs) und ist somit eine Pull-Maßnahme zugunsten des ÖPNV. Damit einher geht eine Attraktivitätssteigerung, welche dem Ziel der Verkehrsverlagerung vom motorisierten Individualverkehr (MIV) zum Umweltverbund zugeordnet werden kann.
Ziel ist es einen Fahrplan für das gesamte Verbundgebiet zu ermitteln, der nicht jede Linie einzeln plant, sondern die Fahrpläne aller relevanten Bahn- und Buslinien integriert und aufeinander abstimmt [Pach00a]. Insbesondere in ländlichen Gebieten, die einen eher unregelmäßigen, dünnen Takt aufweisen, ist es besonders wichtig, dass die Reisezeiten durch kurze Umsteigezeiten möglichst geringgehalten werden
Es lassen sich nach [FGSV01] drei Varianten des ITF differenzieren:
  • Der Ideale ITF koordiniert die Taktfahrpläne von Linien zu einem abgestimmten, vertakteten Gesamtfahrplan. Eine Verknüpfung in Richtung und Gegenrichtung erfolgt in ausgewählten Taktknoten mit der Zielsetzung, die Anzahl optimaler Anschlüsse zu maximieren.
  • Im Modifizierten ITF ist die vollständige Verknüpfung des idealen ITF eingeschränkt. Dabei werden die verkehrlichen, geographischen und wirtschaftlichen Randbedingungen berücksichtigt.
  • Der ITF im erweiterten Sinne umfasst Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität im (Schienen-) Personennahverkehr, die nicht zwangsläufig mit der eigentlichen Definition des ITF abgedeckt sind.
Ziele des ITF aus Nutzersicht sind:
  • regelmäßige und häufige Beförderung,
  • durchgängiges System auf Hauptachsen,
  • vernetztes System aller Verkehrsmittel für untergeordnete Beziehungen,
  • kurze Reisezeit und hohe Pünktlichkeit,
  • möglichst wenig Umsteigevorgänge mit garantierten Übergängen ohne lange Wartezeiten,
  • eindeutige Linienwege in beiden Richtungen mit gleich guten Verbindungen sowie
  • ein einprägsames Angebot und geringer Informationsaufwand.
Die Ziele der Aufgabenträger resultieren im Wesentlichen aus den gesetzlichen Vorgaben und den finanziellen Rahmensetzungen, beinhalten aber auch Ansprüche an ein attraktives Angebot, das nicht nur die Grundversorgung mit öffentlichem Verkehr (ÖV) sichert. Aus Sicht der Betreiber ist ein Angebot mit optimalem Nutzen-Kosten-Verhältnis anzustreben, das sich durch effizienten Einsatz von Personal und materiellen Ressourcen erreichen lässt [FGSV01].
Die Realisierung eines ITF erfolgt durch Betreiber des ÖV und kann im Rahmen des Verkehrsmanagements durch seine attraktivitätssteigernde Wirkung für den ÖPNV modale Verlagerungen hervorrufen.
Es bietet sich an einen ITF stufenweise einzuführen, was bereits ohne Baumaßnahmen zu weitgehenden Verbesserungen führen kann [PRO00].

Im Folgenden sind einige deutsche Beispiele zur Einrichtung eines ITF beschrieben.
  • Der Integrale Taktfahrplan Nordrhein-Westfalen wurde 1998 nach nur zwei Jahren und einer landesweiten Studie in die Tat umgesetzt. Dieses Großprojekt, von dem 5.000 Züge betroffen waren, verringerte die durchschnittliche Reisezeit innerhalb des Landes um 5 Prozent, wobei die Zahl der Zugkilometer um 9 Prozent anstieg. Dadurch stiegen die Fahrgastzahlen teilweise deutlich an, weshalb das Konzept konsequent verbessert und weiterentwickelt wurde [KCITF12].
  • Beim Bau und der Umsetzung des Rhein-Ruhr-Express (RRX), einer Schnellbahn, wird das Konzept des landesweiten ITF Nordrhein-Westfalens fortgeführt. Existierende Verbindungen auf Strecken wie nach Aachen werden beibehalten und gleichzeitig der neue RRX eingebunden. Dies geschieht durch eine fahrplantechnische Abstimmung und unter Berücksichtigung regionaler Wünsche, um eine reibungslose Umsetzung des Projektes zu garantieren. Ziel des Projektes ist es zwischen Köln und Dortmund einen 15-Minuten Takt herzustellen und das in Abbildung 1 dargestellte Liniennetz zu erfüllen [Fehler in 'zlise'-Referenz: falsche Kategorie des Zieleintrags].
Zielnetz RRX.jpgAbb. 1: Zielnetz RRX [zlise584380] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)


  • Mit dem im Jahre 2017 beschlossenen Deutschland-Takt soll in den nächsten Jahrzehnten etappenweise eine Verbesserung der Anschlüsse innerhalb des Regional- und Fernverkehrs erreicht werden. Nachdem der zuständige Sprecher der Bundesregierung im Jahr 2023 davon sprach, dass die bundesweite Vertaktung aller Fahrpläne noch bis zum Jahr 2070 andauern wird, gab es Pressemitteilungen die suggerierten, dass damit das Ziel eines Deutschlandtaktes im Jahre 2030 verfehlt wurde. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) stellte daraufhin klar, dass der Deutschlandtakt ein fortlaufendes Projekt ist, dass stetig weiterentwickelt und an die Modernisierung des Schienennetzes angepasst wird. Man habe in einer eigesetzten Beschleunigungskommission Vorschläge für eine schnellere Umsetzung des Deutschlandtaktes erarbeitet [BMDV23s]. Die Allianz pro Schiene kritisiert Stand Februar 2024 noch immer ein fehlendes langfristiges Konzept zur schrittweisen Umsetzung. Hierzu wurde vom BMDV ein Forschungsvorhaben ausgeschrieben, bei dem man Anfang 2025 mit Ergebnissen rechne [ApS24b]. Unsicherheiten in der Umsetzung einzelner Schieneninfrastrukturprojekte, wie zum Beispiel bei den Neubaustrecken Bielefeld-Hannover und Hannover-Hamburg, lassen Zweifel an einer erfolgreichen Umsetzung von sowohl dem Deutschlandtakt als auch dem NRW-Takt zu. Die Allianz pro Schiene sieht gerade diese beiden als Schlüsselprojekte für eine Entlastung der bestehenden Schieneninfrastruktur und somit einer erfolgreichen Umsetzung von Kapazitätssteigerungen des Schienennetzes wie es die Bundesregierung vorsieht [ApS23a].
Ansprechperson
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Verkehrsträgerspezifische Maßnahmen und Instrumente des Verkehrsmanagements (Stand des Wissens: 22.10.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?33559
Literatur
[ApS23a] Allianz pro Schiene e.V. (Hrsg.) Deutschlandtakt nicht in Gefahr bringen, 2023/07/25
[ApS24b] Allianz pro Schiene e.V. (Hrsg.) Ampel-Check - Deutschlandtakt umsetzen, 2024/02
[BMDV23s] Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) BMDV-Klarstellung zu aktueller Berichterstattung Deutschlandtakt, 2023/03/03
[BMVI118] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Zielfahrplan Deutschland-Takt Vorstellung des ersten Gutachterentwurfs im Rahmen des Zukunftsbündnisses Schiene, 2018/10/09
[DtTa] Deutschland-Takt(Initiative) (Hrsg.) Deutschland-Takt, 2012/11
[FGSV01] Arbeitsgruppe Verkehrsplanung der FGSV Merkblatt zum Integralen Taktfahrplan, FGSV-Verlag GmbH Köln, 2001
[KCITF12] Kompetenzcenter Integraler Taktfahrplan NRW (KC ITF NRW) (Hrsg.) Integraler Taktfahrplan Nordrhein-Westfahlen, 2012
[Pach00a] Pachl, Jörg Integraler Taktfahrplan, veröffentlicht in Systemtechnik des Schienenverkehrs, Vieweg+Teubner Verlag, 2000, Online-Referenz doi:10.1007/978-3-322-96776-3_7, ISBN/ISSN 978-3-519-16383-1
[PRO00] Dipl. Geophys. Holger Busch, Dr. rer. nat. Hartmut Buyken, Dipl. Volkswirt Joachim Kemnitz Der letzte Fahrplanwechsel - PRO BAHN Konzept für einen bundesweiten Integralen Taktfahrplan mit schnellem Fernverkehr, 2000
[RRX12] Ministerium für Bauen und Verkehr (Hrsg.) Rhein-Ruhr-Express (RRX), 2012
Glossar
ITF Integraler Taktfahrplan Nach dem Merkblatt zum Integralen Taktfahrplan lassen sich drei verschiedene Formen des ITF unterscheiden: Der Begriff des idealen ITF umfasst die Koordination der Taktfahrpläne von Linien zu einem abgestimmten, vertakteten Gesamtfahrplan, wobei eine Verknüpfung in Richtung und Gegenrichtung in ausgewählten Taktknoten mit dem Ziel erfolgt, die Anzahl optimaler Anschlüsse zu maximieren. Der modifizierte ITF schränkt die vollständige Verknüpfung entsprechend des idealen ITF ein und berücksichtigt dabei die verkehrlichen, geographischen und wirtschaftlichen Randbedingungen. Der ITF im erweiterten Sinne umfasst Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität im (Schienen-)Personennahverkehr, die nicht zwangsläufig mit der eigentlichen Definition des ITF abgedeckt sind.
Aufgabenträger
Aufgabenträger bestellen bei den Verkehrsunternehmen die im Rahmen der Daseinsvorsorge gewünschten Nahverkehrsleistungen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und dem straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Im SPNV sind seit Bahnreform und ÖPNV-Regionalisierung im Jahr 1995/96 anstelle des Bundes die Länder für die Planung, Organisierung und Finanzierung verantwortlich. In einigen Ländern sind die Aufgabenträger für das gesamte Land zuständig, wie in Bayern, in anderen betreuen sie regional abgegrenzte Gebiete, wie in Nordrhein-Westfalen. Teilweise wird die Aufgabenträgerschaft den Verkehrsverbünden zugewiesen, wie in Hessen.
Die Aufgabenträgerfunktion für den straßengebundenen ÖPNV ist den Landkreisen oder kreisfreien Städten zugeordnet.
Neubaustrecke Als Neubaustrecken bezeichnet man gänzlich neu errichtete Verkehrswege, die einem bestehenden Netz hinzugefügt werden. Im Eisenbahnwesen findet der Begriff zumeist auf für den Hochgeschwindigkeitsverkehr gebaute Strecken Anwendung, wobei diese entweder exklusiv durch Personenbeförderungsangebote oder gemeinsam mit dem Güterverkehr genutzt werden. Das konstruktive Anforderungsniveau von Neubaustrecken reicht dabei gemeinhin über die für Ausbaustrecken (ABS) geltende Anforderungen hinaus.
Deutschland-Takt Der Deutschland-Takt ist ein Ansatz zur netzweiten Optimierung des Schienenpersonenverkehrs in Deutschland. Den Kernpunkt bildet hierbei die Einführung eines Integralen Taktfahrplans (ITF), die notwendigerweise mit koordinierten Infrastrukturverbesserungen verbunden ist. Das Ziel soll eine Steigerung der Fahrgastzahlen durch ein attraktiveres, vertaktetes und gut verknüpftes Verkehrsangebot sowohl im Schienenpersonenfernverkehr als auch Schienenpersonennahverkehr sein.
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?58479

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 09:36:36