Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Umsetzung des Emissionshandels auf globaler Ebene

Erstellt am: 16.02.2024 | Stand des Wissens: 16.02.2024

Synthesebericht gehört zu:

Ein internationales Emissionshandelssystem, das eine fixe Gesamtemissionsmenge vorgibt und einen einheitlichen Preis für Kohlenstoffdioxid (CO2) bildet, existiert bislang nicht. Dennoch bestehen auf internationaler Ebene Ansätze, internationale Kohlenstoffmärkte zu etablieren und nationale Märkte zu verknüpfen.
Im mittlerweile ausgelaufenen Kyoto-Protokoll wurden im Jahr 1997 erstmals verbindliche Reduktionsziele für Treibhausemissionen festgesetzt und ein umfassendes und strenges Kontrollsystem etabliert [UBA18s; Rodi22]. Statt einer starren Vorgabe, wie die Staaten ihre Reduktionsziele erreichen sollten, gab das Protokoll den Staaten verschiedene Optionen an die Hand: Sie konnten ihre Emissionen senken oder die folgenden flexiblen Mechanismen nutzen [StAr10, S. 12 f.; UBA22j].
So sah der Artikel 17 des Kyoto-Protokolls die Etablierung eines internationalen zwischenstaatlichen Emissionshandelssystems nach dem Ansatz "Cap and Trade" vor [Betz22, S. 2; Rodi22]. Dies ermöglichte Staaten, ihre überschüssigen, ungenutzten Zertifikate an Staaten zu veräußern, die hinter ihren Reduktionszielen zurückblieben [UN23].
Neben dem Emissionshandelssystem in dem Artikel 17 sah das Kyoto-Protokoll zwei projektbezogene Mechanismen vor - den Clean-Development-Mechanismus (CDM) und den Joint-Implementation-Mechanismus (JI) [UBA22j]. Indem Staaten in anderen Ländern Klimaschutzprojekte finanzierten, die Emissionen einsparten, konnten Staaten Gutschriften erhalten. Diese Gutschriften konnten die Staaten nutzen, um ihren eigenen völkerrechtlichen Treibhausreduktionszielen nachzukommen [UBA22j]. Dabei bezog sich CDM auf Projekte in weniger industrialisierten Staaten und JI auf Projekte in anderen Industriestaaten. Sowohl der CDM als auch der JI können unter den Oberbegriff der Crediting-Systeme gefasst werden [Betz22, S. 24]. Anders als bei Emissionshandelssystemen, die einen Cap-and-Trade-Ansatz verfolgen, wird im Rahmen von Crediting-Systemen kein absolutes Mengenziel festgelegt.
Die Umsetzung lief nicht problemlos: Russland sowie die Ukraine und weitere Staaten in Osteuropa hatten lange Zeit einen Überschuss an Zertifikaten zur Verfügung (sogenannte "heiße Luft"), ohne aktive Maßnahmen zur Emissionsreduktion ergreifen zu müssen. Dies lag daran, dass die Volkswirtschaften des früheren Ostblocks, vor allem jene der Sowjetunion, in den 1990er Jahren verhältnismäßig viele Emissionen ausstießen. Daher war die Bilanz nach dem Zerfall der Sowjetunion im Zuge der eingeleiteten Modernisierung nach westlichen Standards leichter zu verbessern als in anderen Industriestaaten [Betz22, S. 24]. Die Zertifikate aus den früheren Ostblockländern konnten an Staaten verkauft werden, die ihre Reduktionsziele nicht erreichten. Aus ökologischer Sicht ist der Transfer von Zertifikaten in diesem Falle problematisch: Ohne Einführung des Emissionshandelssystems hätten die Käuferstaaten weniger emittieren dürfen, als sie mit der Einführung des Emissionshandels durften. Somit ist anzunehmen, dass insgesamt ohne einen Emissionshandel weniger emittiert worden wäre [Woer05, S. 2, S. 6 f.; StAr10, S. 13; Betz22, S. 24]. Weiterhin kann der strenge Top-down-Ansatz des Kyoto-Protokolls und der Versuch global vereinbarter verbindlicher Reduktionsverpflichtungen als gescheitert angesehen werden [Rodi22]. Das Kyoto-Protokoll wurde nur zögerlich ratifiziert, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika ratifizierte das Protokoll als zweitgrößter globaler Emittent nicht [Kana21, S. 279]. Die Geltung der flexiblen Mechanismen waren an die Verpflichtungsperioden des mittlerweile ausgelaufenen Kyoto-Protokolls gebunden [UBA22k].
Ab dem Jahr 2016 trat das Übereinkommen von Paris in Kraft. Dieses verfolgt eine andere Strategie: Statt verbindlicher Reduktionsziele für Treibhausemissionen legen die Staaten selbst im Rahmen von Selbstverpflichtungen fest, welchen Beitrag sie zum Schutz der Erdatmosphäre leisten können und melden die nationalen Beiträge in einem Fünfjahreszyklus (National Determined Contribution, NDC) an das Klimasekretariat. Dieser Bottom-up-Ansatz bezieht die beschränkte Durchsetzbarkeit des Völkerrechts und starke Angewiesenheit des Völkerrechts auf konsensbasierte Lösungen stärker mit ein [Rodi22, S. 32 ff., S. 22 ff.]. Jedoch sieht auch der Artikel 6 den internationalen Gebrauch von marktbasierten Mechanismen vor [UBA22k]. Der Artikel 6.4 des aktuell geltenden Pariser Übereinkommens normiert einen Crediting-Mechanismus, der in der Tradition des Clean-Development-Mechanismus steht [Betz22, S. 3]. Auch hier können Emissionsreduktionen, die in einem Land geleistet wurden, in ein anderes Land übertragen und auf das dortige Reduktionsziel gutgeschrieben werden [BMWK23c]. Besonders hervorzuheben ist, dass eine zentrale Stelle die Ausführung des Mechanismus überwacht und so die ökologische Treffsicherheit und Glaubwürdigkeit der Gutschriften zur Emissionsminderung (sogenannte Emission Reduction, ER) absichern soll [OxEn22, S. 5]. Weiterhin wird ein kleiner Anteil der Gutschriften von 2 Prozent je Transaktion gelöscht, um eine Verringerung des weltweiten Emissionsausstoßes zu erreichen (sogenannte Overall Mitigation of Global Emission, OMGE). Auch werden Private zur Teilnahme am Mechanismus ermutigt [BMWK23c].
Erwähnenswert ist ferner der Artikel 6.2 des Übereinkommens von Paris aus dem Jahr 2015. Dieser sieht die Möglichkeit vor, dass Staaten direkt zusammenwirken, um ihre Klimaziele zu erreichen. Auch hier ist der Transfer einer erwirkten Emissionsreduktion (sogenannte internationally transferred mitigation outcomes, ITMO) von einem Land in ein anderes Land möglich. Zwar ist keine zentralisierte Aufsicht vorgesehen, jedoch gibt der Artikel 6.2 des Pariser Übereinkommens Regelungen zur Buchhaltung, Bilanzierung und Transparenz vor [OxEn22, S. 3; BMWK23c]. Der Artikel 6.2 des Übereinkommens legt die Basis dafür, existierende nationale oder regionale Emissionshandelssysteme miteinander zu verknüpfen [BMWK23c; EuKo23c]. So ist das europäische Emissionshandelssystem seit Januar des Jahres 2020 mit dem Schweizer System CH-EHS verlinkt [EuKo23c; UBA20af; EuRat19]. Ob diese Verknüpfung in Zukunft international Beachtung finden wird, ist jedoch fraglich. Bisher wird ein solches Unterfangen nur dort in Betracht gezogen, wo die Regularien fast identisch sind. Zudem wird die Gefahr gesehen, die Schwachstellen eines Emissionshandelssystems in das andere zu übertragen [Betz22, S. 40, 41].
Nach langen Verhandlungen wurde während der Klimaschutzkonferenz der Vereinten Nationen in Glasgow (COP 26) im Jahr 2021 ein Regelwerk für den Artikel 6 beschlossen und dessen Operationalisierung weiter vorangebracht [UNFCCC23; Held22, S. 223; BMWK23c].
Ansprechperson
IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Handel mit CO2-Emissionszertifikaten (Stand des Wissens: 29.02.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?580558
Literatur
[Betz22] Regina Betz, Axel Michaelowa, Paula Castro, Raphaela Kotsch, Michael Mehling, Katharina Michaelowa, Andrea Baranzini The Carbon Market Challenge - Preventing Abuse Through Effective Governance, veröffentlicht in Cambridge University Press, 2021/09/12
[BMWK23c] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (Hrsg.) Internationale Kooperation unter Artikel 6, 2023
[EuKo23c] Europäische Kommission (Hrsg.) International carbon market, 2023
[EuRat19] Europäischer Rat (Hrsg.) Verknüpfung der Emissionshandelssysteme der Schweiz und der EU - Inkrafttreten am 1. Januar 2020, 2019/12
[Held22] Christian Held, Victoria Harsch, Simon Schäfer-Stradowsky, Jonathan Metz, Greta Reeh, Alexander Dietzel, Fanny Knoll Energierecht und Energiewirklichkeit - Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis nicht nur für Juristen, 2022, ISBN/ISSN 978-3-933283-01-6
[Kana21] Takashi Kanamura Carbon market analysis and risk management, veröffentlicht in Handbook of Energy Economics and Policy, 2021
[OxEn22] The Oxford Institute For Energy Studies (Hrsg.) Article 6 and Voluntary Carbon Markets, 2022/05
[Rodi22] Martin Altrock, Johannes Antoni, Christian Buchmüller, Hannes Doderer , Elias Eickelmann, Dr. Dörte Fouquet, Claudio Franzius, Christian Held, Maximilian Hemmert-Halswick , Ekkehard Hofmann, Michael Kalis, Jan Henrik Klement, Christine Kliem, Stefan Klinski, Matthias Knauff, Fanny Knoll, Charlotte Kreuter-Kirchhof, Michael Mehling, Christoph Paul, Friederike Pfeifer, Prof. Dr. jur. Johann-Christian Pielow;, Jan Reshöft, Thomas Roller, Johannes Saurer,, Michael Sauthoff, Judith Schäfer, Simon Schäfer-Stradowsky, Claudio Seis, Carsten Telschow, Miriam Vollmer, Jens Vollprecht, Roman Weidinger, Hartmut Weyer, Martin Wickel, Anja Widmann, Susan Wilms, Cathrin Zengerling, Ines Zenke Handbuch Klimaschutzrecht, C.H.BECK., 2022, ISBN/ISSN 978-3-406-76789-0
[StAr10] Wolfgang Sterk, Christof Arens Investitionen für den Klimaschutz - die projektbasierten Mechanismen CDM und JI, 2010/01
[UBA18s] DEHSt - Grundlagen Der Europäische Emissionshandel, 2018/08/27
[UBA20af] Umweltbundesamt (Hrsg.) Factsheet: Linking, 2020/11
[UBA22j] Umweltbundesamt (Hrsg.) Internationale Marktmechanismen im Klimaschutz, 2022/12/05
[UBA22k] Umweltbundesamt (Hrsg.) Ausblick, 2022
[UN23] United Nations (Hrsg.) Emissions Trading, 2023
[UNFCCC23] United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) (Hrsg.) Article 6.4 Mechanism, 2023
[Woer05] Woerdman, E. Hot Air Trading under the Kyoto Protocol: An Environmental Problem or Not?, veröffentlicht in European Environmental Law Review, 2005
Glossar
EU-Emissionshandelssystem Das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) ist ein 2003 vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament beschlossenes marktwirtschaftliches Instrument, die im Kyoto-Protokoll gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Anlagenbetreiber (zur Zeit sind etwa 11.000 Fabriken und Kraftwerke erfasst) müssen bei Überschreiten der ihnen fest vorgegebenen Emissionsberechtigungen Strafen bezahlen (100 Euro pro Tonne CO2), sofern keine Zertifikate zur Tilgung vorgelegt werden können. Diese Zertifikate vergeben solche Betreiber, die die o.g. Grenzwerte unterschritten haben. Die Nachweispflicht liegt in jedem Fall bei dem Anlagenbetreiber.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?579933

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 09:42:07