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Potenziale des Bike and Ride (B+R)

Erstellt am: 25.09.2003 | Stand des Wissens: 02.12.2024

Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH

Eine Verknüpfung des Fahrrades mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV) ist für das Radverkehrssystem von besonderer Bedeutung, da hierdurch Nutzerpotenziale auch für solche Fahrtstrecken zu erschließen sind, die deutlich über den üblichen Entfernungen des Radpendlerverkehrs liegen. Werden die Vorteile des Fahrrads (insbesondere Erschließung und Zubringung)und die des ÖV's (Schnelligkeit und Distanzüberwindung) kombiniert, kann gegenüber dem motorisierten Individualverkehr ein Vorsprung in zeitlicher und räumlicher Hinsicht erreicht werden [BMVBW98h].
Im Rahmen eines vom damaligen Bundesministerium für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) initiierten Forschungsprojektes zur Vernetzung von öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und Fahrrad wurde am Beispiel des Erftkreises (westlich von Köln) untersucht, wie die Wachstumschancen von Bike and Ride bei gezielter Förderung einzuschätzen sind. Von derzeit 2 Prozent der Pendler könnte der Nutzerkreis bei entsprechender Förderung innerhalb von 10 Jahren auf 8 Prozent anwachsen, wodurch rund 7.000 Pkw-Fahrten eingespart werden könnten [BMV97f].
2024 hat der ADAC an 80 Bahnhöfen in den pendlerstärksten Umlandgemeinden im Umland der zehn Großstädte Berlin, Bremen, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Kiel, Köln, Leipzig, München und Stuttgart die Qualität und den Umfang der Nutzung von Fahrradabstellanlagen getestet. Diese Umfrage lieferte Hinweise darauf, dass an vielen Standorten noch nicht ausgeschöpfte Bike and Ride-Kapazitäten vorhanden sind. Nur an gut zehn Prozent der untersuchten Bahnhöfe waren die Anlagen insgesamt stark ausgelastet oder überlastet. Der Großteil hatte noch mindestens 20 Prozent freie Stellplätze, oftmals sogar deutlich mehr. Eine die Untersuchung begleitende Umfrage des ADAC von Fahrradnutzer*innen aus dem Frühjahr 2024 deutet auf ein hohes Potenzial hin, dass die kombinierte Nutzung von Fahrrad und öffentlichem Verkehrsmittel bei der Verlagerung von Autofahrten hat. Sind wohnortnahe Möglichkeiten zur kombinierten Nutzung vorhanden, so konnten sich 50 Prozent der Befragten vorstellen, zumindest gelegentlich diese Art der Mobilität für den Weg zur Arbeit zu nutzen. Für Freizeitwege waren es 63 Prozent, ebenfalls unter der Voraussetzung, dass hierfür die Möglichkeit dazu wohnortnah vorhanden ist.
Die Bedeutung und die Potenziale der Vernetzung des nichtmotorisierten Verkehr (NMV) mit dem ÖV hängt unter anderem von der Struktur der jeweiligen Region ab. Die größten Potenziale sind allerdings in großen Ballungsräumen und den Städten lokalisiert. Im Bereich des Münchener Verkehrsverbundes standen 1993 etwa 33.000 Bike and Ride-Fahrradstellplätze zur Verfügung. 2024 umfasst das Angebot, so der Münchner Verkehrsverbund MVV, rund 50.000 Abstellplätze. Im Großraum Krefeld, für den bereits 1994 ein Bike and Ride-Konzept entwickelt wurde, hat die Vernetzung im Vortransport einen Anteil von 15 Prozent [BMVBW98h].
Neben dem Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen sind mit der Vernetzung beider Verkehrsmittel auch Vorteile für den ÖPNV verbunden. Dies äußert sich unter anderem in der Erschließung neuer Kundenkreise für den ÖPNV, die ohne Fahrrad als Zubringer andere Verkehrsmittel für den Hauptweg nutzen würden. Der Hauptnutzen für die Verkehrsunternehmen liegt demnach in einer verbesserten Ausschöpfung von Kundenpotenzialen. Dies gilt vor allem für die Betreiber von Schnellverkehrslinien [BMV97f]. Der Personennahverkehr konnte beispielsweise im Zeitraum von 1991 bis 1998 eine Verdoppelung der Fahrradmitnahme (von 818.000 auf 1.602.000) verbuchen. Auch wenn keine neueren Zahlen vorliegen, bleibt die Möglichkeit zur Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln ein relevanter Baustein der Verkehrswende. In einer Umfrage der Statista aus dem Jahr 2023 gaben 55 Prozent der befragten Personen an, dass es für sie wichtig sei, in den Zügen des SPNVs das Fahrrad mitnehmen zu können. In den Zügen des Fernverkehrs waren ist knapp über 40 Prozent, im ÖPNV mit Bus, Straßen und Stadtbahn jeweils etwa ein Drittel.  
Die Vernetzung von Fahrrad- und öffentlichem Verkehr (Bike and Ride) kann einen wesentlichen Beitrag zur Entschärfung der kommunalen Verkehrsprobleme leisten. Insbesondere für die Fahrtzwecke
Arbeit-Wochenendfreizeitverkehr, wo besonders lange Wege zurückgelegt werden und der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) traditionell sehr hoch ist, kann auch die Kombination von ÖPNV und Fahrrad eine Alternative zur Pkw-Nutzung sein [BMV97f].
Zur Vermeidung von Fehlinvestitionen sollte das Bike and Ride-Potenzial, das durch Verbesserung in der Infrastruktur erreicht werden kann, ermittelt werden. Das in Abbildung 1 gezeigte Schema kann hierfür zugrunde gelegt werden.

Bedarfsermittlung_B_R.pngAbb. 1: Bedarfsermittlung für B+R [BMVBW04g]

Eine weitere Art der Flexibilisierung mit Vorzüge für das Verkehrsunternehmen ist die Einbindung eines Fahrradverleihsystems in das ÖV-System einer Stadt oder Region. 
Ansprechperson
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Vernetzung des nichtmotorisierten Verkehrs mit dem ÖPNV (Stand des Wissens: 05.02.2025)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?301025
Literatur
[BMV97f] Fromberg, Andrea, Hoevel, Rene, et al. Fahrrad und ÖPNV / Bike & Ride - Empfehlungen zur Attraktivitätssteigerung des Fahrradeinsatzes für Zu- und Abbringerfahrten sowie Fahrradmitnahme im ÖPNV, veröffentlicht in direkt, Ausgabe/Auflage 50, Fach Media Service Verlagsgesellschaft (FMS) mbH / Bonn, 1997/01, ISBN/ISSN 3-926181-30-3
[BMVBW04g] Thiemann-Linden, Jörg, Gwiasda, Peter, Miller, Gernot, Fromberg, Andrea Fahrradverkehr - Erfahrungen und Beispiele aus dem In- und Ausland, veröffentlicht in Schriftenreihe direkt, Ausgabe/Auflage 59, Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH, Bremerhaven, 2004, ISBN/ISSN 3-86509-205-5
[BMVBW98h] o.A. Erster Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 1998/03
[BTDrs00a] o.A. Bundestagsdrucksache 14/3445, 2000/05/23
[INZE09] Forum Öffentlicher Verkehr der INZELL-Initiative (Hrsg.) Mit dem Rad zum Bahnhof - Planung, Bau und Unterhalt von Bike + Ride - Anlagen, 2009
Weiterführende Literatur
[Vred07] Vreden, Marcel, Kohlhaas, Michael, Lengling, Wolfgang, Dr. rer. pol Bikey stärkt intermodale Wegeketten - Der VRR bietet seinen Kunden einen neuen Fahrrad-Service, veröffentlicht in Der Nahverkehr, Ausgabe/Auflage 3/2007, 2007
[SRL97] o.A. Integration von ÖPNV und Radverkehr in der kommunalen Verkehrsplanung, Ausgabe/Auflage Nr. 38, Berlin, 1997/07, ISBN/ISSN 0936-0778
[Interde10] TU Dresden, Lehrstuhl Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Prof. Dr.-Ing. G.-A. Ahrens, Ahrens, Gerd-Axel, Aurich, Tanja, Böhmer, Thomas, Klotzsch, Jeannette, Pitrone, Anne Interdependenzen zwischen Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung. Analysen, Strategien und Maßnahmen einer integrierten Förderung in Städten, 2010
[LeitfInterde10] TU Dresden, Lehrstuhl Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Prof. Dr.-Ing. G.-A. Ahrens, Ahrens, G.-A., Aurich, T., Böhmer, T., Klotzsch, J. Leitfaden Interdependenzen zwischen Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung , 2010/01
[BMVBS12q] Bundesministerium für Digitales und Verkehr Nationaler Radverkehrsplan 2020, Berlin, 2012/10
Glossar
Bike & Ride Prinzip der Verkehrslenkung durch Bereitstellung von Fahrradständern oder -boxen in der Nähe von Haltestellen des öffentlichen Verkehrs bereits im Außenbereich von Ballungsräumen, um damit einen Umstieg auf den öffentlichen Verkehr zu ermöglichen mit dem Ziel den motorisierten Individualverkehr zu verringern
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
NMV Nichtmotorisierter Verkehr (NMV): Nichtmotorisierte Verkehrsmittel zur individuellen Nutzung wie Fahrrad und die eigenen Füße werden als Nichtmotorisierter Verkehr bezeichnet.
Motorisierter Individualverkehr Als motorisierter Individualverkehr (MIV) wird die Nutzung von Pkw und Krafträdern im Personenverkehr bezeichnet. Der MIV, als eine Art des Individualverkehrs (IV), eignet sich besonders für größere Distanzen und alle Arten von Quelle-Ziel-Beziehungen, da dieser zeitlich als auch räumlich eine hohe Verfügbarkeit aufweist. Verkehrsmittel des MIV werden von einer einzelnen Person oder einem beschränkten Personenkreis eingesetzt. Der Nutzer ist bezüglich der Bestimmung von Fahrweg, Ziel und Zeit frei (örtliche, zeitliche Ungebundenheit des MIV).
ADAC = Allgemeine Deutsche Automobil Club e. V.. Der ADAC nimmt für sich in Anspruch, die Interessen deutscher Auto-, Motorrad- und Bootfahrer zu vertreten. Er bietet - direkt oder über Tochterfirmen - Dienstleistungen an und produziert Stadtpläne sowie Straßenkarten. Außerdem betreibt er mehrere Fahrsicherheitszentren. Die ursprüngliche und bekannteste Dienstleistung des Clubs ist die Pannenhilfe.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Verkehrswende
Mit der Verkehrswende in Deutschland wird das Ziel verfolgt, den Verkehrssektor bis spätestens 2050 klimaneutral zu gestalten. Dazu sollen die anfallenden Treibhausgasemissionen möglichst vollständig vermieden und verbleibende Restemissionen durch die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Die Verkehrswende lässt sich in zwei parallellaufende Entwicklungen gliedern: die Mobilitätswende und die Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt).
BMDV
Bundesministerium für Digitales und Verkehr (bis 10/2005 BMVBW, bis 12/2013 BMVBS und bis 11/2021 BMVI)
BMVBW Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (1998-2005)

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?57823

Gedruckt am Samstag, 22. Februar 2025 18:51:19