Sicherheitstechnische Probleme des Nichtmotorisierten Verkehrs
Erstellt am: 25.09.2003 | Stand des Wissens: 27.11.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH
Zufußgehende und Radfahrende können als die ungeschütztesten Verkehrsteilnehmer bezeichnet werden. Innerhalb des Verkehrssystems kommt daher ihrem Schutz insbesondere vor dem Fahrverkehr besondere Bedeutung zu.
Die Hauptprobleme des Fußgängerverkehrs sind das hohe Verkehrsaufkommen, die hohen Geschwindigkeiten des Motorisierten Individualverkehrs (MIV), das zum Beispiel durch Einbauten und parkende Kraftfahrzeuge eingeschränkte Sichtfeld der Kraftfahrzeugführer, fehlende Querungshilfen und die zum Teil gemeinsame Nutzung der Straße von Fußgängern und Fahrzeugen [Krabb98].
Die positiv zu bewertende Zunahme des Radverkehrs hat jedoch auch zu einer Erhöhung der Unfallzahlen geführt. Die meisten Unfälle mit Radfahrerbeteiligung ereigneten sich im Jahr 2020 mit 87 Prozent innerorts [StBu20d, S. 102 f.]. Im Außerortsbereich hingegen ereignen sich die folgenschwereren Unfälle: 40 Prozent der Radfahrunfälle enden tödlich [StBu20d, S.140 f.].
Die Zahl der an Verkehrsunfällen beteiligten Radfahrenden unterlag von 2011 bis 2021 einigen Schwankungen, während die Zahl der verunglückten Fußgänger bis 2019 nahezu konstant blieb. In den Jahren 2020 und 2021 waren weniger Zufußgehende an Verkehrsunfällen beteiligt als in den Vorjahren (siehe Abbildung 1). Der Anteil der beteiligten Zufußgehenden beziehungsweise Radfahrenden an allen beteiligten Personen von Unfällen mit Personenschaden lag im Jahr 2021 bei etwa 5 beziehungsweise 19 Prozent [Dest22s]. Ab dem Jahr 2014 wurden auch Verkehrsunfälle mit Pedelecs in der Statistik berücksichtigt. Dies führte dazu, dass seitdem die Zahl der beteiligten Personen des Radverkehrs auf einem höheren Niveau liegt als in den Jahren davor bis 2013.
![Abbildung 1: Beteiligte an Verkehrsunfällen als Fußgänger oder Radfahrer [Eintrag-Id:412897, S. 29]<br> 57754_Abb_1.png](/servlet/is/57754/57754_Abb1_2021.png)
Eine im Straßenverkehr besonders gefährdete Gruppe sind die Kinder. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie aktiv am Verkehrsgeschehen teilnehmen. Untersuchungen [Holl00] zufolge sind zwei Drittel der verunglücken Kinder Jungen, ein Drittel Mädchen. Im Jahr 2021 kamen 33,2 Prozent der verunglückten Kinder als Insasse in einem Pkw zu Schaden, 38 Prozent auf einem Fahrrad und 21,3 Prozent der verunglückten Kinder war zu Fuß unterwegs, als der Unfall passierte [Stat23a, S. 8]. Um Kinder besser zu sensibilisieren, sind Verkehrserziehungsmaßnahmen sowohl im Elternhaus als auch in der Schule unerlässlich. Übersichtlich gestaltete Knotenpunkte, sichere Fußgängerüberwege, ausreichend dimensionierte und lückenlose Radverkehrsnetze sowie eine Geschwindigkeitsbegrenzung von Tempo 30 Kilometer pro Stunde und deren Überwachung sensibilisieren Autofahrende für die Bedürfnisse der Kinder beziehungsweise der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmenden und tragen somit zur Unfallprävention bei.
Während die Zahl der inner- und außerorts schwerverletzten und getöteten Fußgänger seit 2011 zurückging, stieg die Zahl der Verunglückten im Radverkehr bis zum Jahr 2020 weiter an. Im Jahr 2021 ging die Zahl der vernunglückten Radfahrenden leicht zurück (siehe Abbildung 2 und Abbildung 3) [Dest22s].
Während die Zahl der inner- und außerorts schwerverletzten und getöteten Fußgänger seit 2011 zurückging, stieg die Zahl der Verunglückten im Radverkehr bis zum Jahr 2020 weiter an. Im Jahr 2021 ging die Zahl der vernunglückten Radfahrenden leicht zurück (siehe Abbildung 2 und Abbildung 3) [Dest22s].
![Abbildung 2: Entwicklung der Unfallschwere bei Verunglückten zu Fuß [Eintrag-Id:519334]<br> 57754_Abb_2.png](/servlet/is/57754/57754_Abb2_2021.png)
![Abbildung 3: Entwicklung der Unfallschwere bei Verunglückten mit dem Fahrrad [Eintrag-Id:519334] 57754_Abb_3.png](/servlet/is/57754/57754_Abb3_2021.png)
Bei den Leicht- beziehungsweise Schwerverletzten zeigt sich insbesondere beim Radverkehr zwischen den Jahren 2017 und 2020 eine überdurchschnittlich steigende Tendenz zu dem im Jahr 2011 gemessenen Niveau (siehe Abbildung 3). Bei den Zufußgehenden geht die Anzahl der Schwerverletzten und Getöteten Fußgänger. Ab dem Jahr 2020 sinkt sinkt auch die Zahl der Leichtverletzten (siehe Abbildung 2) [Dest22sStBu20d]. Auch auf die Anzahl der Verunglückten hatten die Pandemiejahre einen Einfluss. Insbesondere bei den Zufußgehenden sank diese im Vergleich zu den Vorjahren deutlich.
Eine Verschärfung des Unfallgeschehens ist auch bei Radfahrern unter Alkoholeinfluss zu verzeichnen, insbesondere bei mehr als 1 Promille. Alkoholunfälle treten häufiger nachts auf, bewirken häufiger Verletzungen an Kopf und Gesicht, die Verunglückten haben eine höhere Wahrscheinlichkeit an den Unfallfolgen zu sterben und sind Alleinunfälle. Etwa 59 Prozent der Befragten wissen, dass es eine Promillegrenze für Radfahrer gibt. Männer berichten mehr von riskantem Verhalten und der Unvorsichtigkeit. Frauen hingegen unterlaufen häufiger Fahrfehler. Verunfallte geben häufiger an, sich riskant zu verhalten, Wege falsch zu benutzen, unvorsichtig zu sein und Fahrfehler zu begehen [Belo16].
Hinsichtlich der Radverkehrsinfrastruktur stellen die Knotenpunkte für Radfahrer besondere Gefahrenpunkte dar und sind daher unter dem Gesichtspunkt "Sicherheit für Radfahrer" in ihrer planerischen Gestaltung zu verbessern [BTDrs14/6441]. Insgesamt lässt sich feststellen, dass in den überwiegenden Fällen die Radfahrer die Geschädigten und nicht die Unfallverursacher sind: So sind bei 75,3 Prozent der Unfälle Pkw-Fahrrad die Kraftfahrzeugführer Hauptverursacher der Unfälle [StBu20e, S. 8]
Besonders schwere Folgen treten bei Unfällen zwischen rechtsabbiegenden Lastkraftwagen und Radfahrern auf. Zwar kommen diese Unfälle vergleichsweise selten vor, jedoch sind sowohl Rad- als auch Lkw-Fahrer in diesen Fällen chancenlos. Geeignete Maßnahmen, um diese Unfälle einzudämmen, sind beispielsweise die vorgezogene Haltlinie, die Einfärbung der Radverkehrsfurt, Abbiege-Assistenzsysteme sowie Verkehrssicherheitstrainings [Schr16]
Das besondere Konfliktpotenzial von Fahrbahnquerungen wird daran deutlich, dass rund 80 Prozent aller Unfälle mit Fußgängerbeteiligung im Zusammenhang mit Fahrbahnquerungen stehen.
Gefahrenpotenziale bestehen auch an lichtsignalgesteuerten Querungshilfen, bei denen es häufig zu Rotlichtmissachtungen der Fußgänger kommt. Eine Anzeige der restlichen Fußgängerwartezeit an der Lichtsignalanlage (LSA) kann dazu beitragen, derartige Missachtungen zu verhindern. In Hamburg wurde der Einsatz eines solchen Systems erstmals in Deutschland untersucht. Dabei zeigte sich eine deutliche Verringerung der Rotläuferanteile, besonders in den Abendstunden um bis zu ein 25 Prozent [Celi08]. Eine Herausforderung stellt jedoch die Koordinierung der Restrotzeiten mit der ÖPNV-bevorrechtigten Signalisierung an Knotenpunkten dar. Mit einer festzeitgesteuerten Lichtsignalisierung lässt sich die Anzeige der Restrotzeiten realisieren.
Eine Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer in Berlin hat den Einfluss einer Fahrradstaffel auf die Verkehrssicherheit untersucht. Im Ergebnis zeigte sich, dass das Fehlverhalten (zum Beispiel Rotlichtverstoß, Fahren in falscher Richtung) der Radfahrer abnimmt und ein positiver Einfluss auf Unfallhäufigkeit und Unfallschwere zu verzeichnen ist [Brock15]. Allerdings sind die Unfallzahlen dennoch weiter angestiegen.
Die Erzielung höherer Geschwindigkeiten mit Elektrofahrrädern und deren zunehmende Verbreitung lässt erwarten, dass das Sicherheitsrisiko für den Radverkehr in den kommenden Jahren steigen wird. Davon sind nicht nur die älteren Bevölkerungsgruppen betroffen [bfu17a].
Die Bundesstelle für Unfallverhütung der Schweiz hat hinsichtlich der Verkehrssicherheit der E-Bikes unter anderem folgende Erkenntnisse gewonnen: Die meisten Fahrradlenker sind sich der Gefahren des E-Bikes bewusst. Dies gilt insbesondere auch für die Unterschätzung der Geschwindigkeit durch andere Verkehrsteilnehmer. Das Risiko für Selbstunfälle wird jedoch unterschätzt. Die Geschwindigkeit des Fahrrads und des E-Bikes wird gleichermaßen unterschätzt. Dabei nimmt die Unterschätzung der Geschwindigkeit mit zunehmender Geschwindigkeit zu [Sieg16].
Die Unfallforschung der Versicherer hat die Verkehrssicherheit von Pedelecs und E-Bikes analysiert. Pedelecs sind im Durchschnitt etwas schneller als Fahrräder. Dabei werden Pedelecs eher von Älteren gefahren. Infolgedessen nimmt der Anteil älterer Fahrer am Zweiradunfallgeschehen zu. Das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit, das traditionell eher der jüngeren Generation als Unfallursache zugeordnet wird, tritt immer häufiger bei älteren Radfahrern auf, die damit als eine neue Risikogruppe in Erscheinung treten. Verkehrssicherheitsfördernd sind demnach spezielle Fahrsicherheitstrainings, bei denen die Fahrdynamik und das Fahren bei höherer Geschwindigkeit mit dem Pedelec trainiert werden. Die konsequente Nutzung des Fahrradhelmes sollte zur Selbstverständlichkeit werden [UDV17a].
Aus den genannten Studien resultiert einerseits die Forderung nach einem stärkeren Bewusstsein der Radfahrer hinsichtlich ihrer Einhaltung der Verkehrsregeln. Andererseits wird der Bedarf an einer Verkehrsinfrastruktur deutlich, die ein zügiges und sichereres Vorankommen auch bei unterschiedlichen Fahrgeschwindigkeiten ermöglicht. Radverkehrsanlagen sind dafür so zu dimensionieren, dass sichere Überholvorgänge unter Zweirädern möglich sind [ERA10]. Dabei ist die Kombination von Mindestwerten zu vermeiden und stattdessen eine großzügigere Planung anzustreben.
Verkehrssicherheitskampagnen, die verstärkte Überwachung und Sanktionierung, die sinnvolle und sichere und vor allem regelkonforme Anlage von Radverkehrsanlagen und technische Fahrzeugeinrichtungen erweisen sich als fördernd im Sinne der Verkehrssicherheit [Belo16].