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Mängel bei der Straßeninfrastruktur

Erstellt am: 12.09.2022 | Stand des Wissens: 24.10.2024

Synthesebericht gehört zu:

Das grundlegende Prinzip der Planung einer verkehrssicheren Straße basiert auf der Kohärenz zwischen den baulichen Eigenschaften der Infrastruktur und der zugehörigen Betriebsform. Zu den baulichen Eigenschaften zählen beispielsweise die Anzahl und Breite der Fahrstreifen, die Längs- und Querneigung, die Gestaltung von Knotenpunkten sowie deren bauliche Umsetzung, wie etwa in Form von Kreisverkehren oder Kreuzungen mit Lichtsignalanlagen. Ein weiterer entscheidender Faktor bei der baulichen Umsetzung und im Betrieb ist die Berücksichtigung der Flächen für den sicheren Fußgänger- und Radverkehr. Die Betriebsform umfasst unter anderem Regelungen zur Vorfahrt, zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, Lichtsignalsteuerung und Halteverboten.
Die Straßeninfrastruktur in Deutschland weist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen hohen Sicherheitsstandard auf [EuKo14a]. Dennoch treten immer wieder Unfälle auf, die auf Defizite in der Straßeninfrastruktur zurückzuführen sind. In der Vergangenheit wurde der Verkehrssicherheit eine andere Bedeutung beigemessen als heute. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Rahmen des Wiederaufbaus das Leitbild der autogerechten Stadt verfolgt, was über Jahrzehnte hinweg zur kontinuierlichen Erweiterung von Straßen führte. Diese historisch gewachsene Infrastruktur basiert in vielen Bereichen auf veralteten Baustandards, die den aktuellen Anforderungen nicht mehr genügen. Infolgedessen entstehen Unfallsituationen, die nach heutigen (Forschungs-)Erkenntnissen hätten vermieden werden können.
Defizite in der Infrastruktur müssen daher im Zuge des kontinuierlichen Erneuerungsprozesses anhand des aktuellen Stands der Forschung und Technik evaluiert und behoben werden. Dabei sind auch die sich ändernden Bedürfnisse und Anforderungen der Verkehrsteilnehmenden zu berücksichtigen [DVR12d, S. 34].
Neben den historisch bedingten Defiziten stellen Fehlentscheidungen im Planungsprozess aufgrund von falscher Priorisierung und daraus resultierenden Pfadabhängigkeiten ein weiteres Unfallrisiko dar. Die Priorisierung des motorisierten Verkehrs führte zur Planung des öffentlichen Raums zu Ungunsten anderer Verkehrsteilnehmender, unabhängig von deren tatsächlichen Nutzungs- und Raumansprüchen. Dies erhöht das Gefahrenpotenzial und widerspricht dem Ziel der Vision Zero, einer fehlerverzeihenden Straße [DVR12d, S. 35]. Um sicherzustellen, dass Unfälle nicht auf die Infrastrukturgestaltung zurückzuführen sind, muss diese so konzipiert werden, dass Planungsfehler berücksichtigt und minimiert werden. Dies wird durch die kontinuierliche Anpassung von Empfehlungen und Richtlinien sowie den Einsatz von Instrumenten des Sicherheitsmanagements, wie etwa das Sicherheitsaudit, gewährleistet.
Durch Abnutzung und Verschleiß verschlechtert sich im Laufe der Zeit der Zustand der Straßeninfrastruktur, was die Verkehrssicherheit negativ beeinflussen kann. Instandhaltungsmaßnahmen, also die bauliche Straßenunterhaltung, tragen durch eine Verbesserung der Infrastrukturqualität zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei. Um Defiziten rechtzeitig entgegenzuwirken, schreibt das Verkehrssicherheitsmanagement regelmäßige Audits und Verkehrsschauen vor, um die Sicherheit und Qualität der Straßen kontinuierlich zu überwachen.
Neben den infrastrukturellen Defiziten stellt die Anpassung der Infrastruktur an die sich wandelnden Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmenden eine besondere Herausforderung für die Stadt- und Verkehrsplanung dar. Die angestrebte Verschiebung des Modal Split hin zu den Verkehrsträgern des Umweltverbundes sowie der demografische Wandel in Deutschland sind treibende Faktoren. Die Sicherheitsbedürfnisse einer zunehmenden Zahl an Radfahrenden erfordern andere Maßnahmen als die von zu Fuß Gehenden im Allgemeinen und älteren Menschen im Besonderen. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein für Barrierefreiheit und Verkehrssicherheit für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Einen ausgewogenen Kompromiss zu finden, stellt eine besondere Herausforderung dar. Zudem führt der Klimawandel zu verschärften Vorschriften und angepassten Anforderungen an die Infrastruktur, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen [UBA17j].
Ansprechperson
Bauhaus-Universität Weimar, Professur Verkehrssystemplanung, Prof. Dr.-Ing. Plank-Wiedenbeck
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Vision Zero: Herausforderung Straßeninfrastruktur (Stand des Wissens: 24.10.2024)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?575672
Literatur
[DVR12d] Deutscher Verkehrssicherheitsrat (Hrsg.) Vision Zero. Grundlagen und Strategien, 2012
[EuKo14a] Europäische Kommission Commission publishes first EU Transport Scoreboard, 2014
[UBA17j] Aichinger, Wolfgang, Dr. Frehn, Michael Straßen und Plätze neu denken, 2017
Glossar
Barrierefreiheit
Barrierefreiheit bedeutet, dass bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
Modal Split
Modal Split wird in der Verkehrsstatistik die prozentuale Verteilung des Personen- und Güterverkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel (Modi) genannt. Der Modal Split ist Folge des Mobilitätsverhaltens der Menschen und der wirtschaftlichen, insbesondere der verkehrlichen Entscheidungen von Unternehmen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?557013

Gedruckt am Sonntag, 23. Februar 2025 09:47:50