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Chancen und Potenziale durch veränderte Mobilitätsmuster

Erstellt am: 16.06.2022 | Stand des Wissens: 16.06.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky

Vor allem im ersten Jahr der Coronapandemie verkürzten neue Arbeitsgegebenheiten, wie Homeoffice oder Telearbeit, die pro Tag zurückgelegte Weglänge, verringerten die Anzahl der zurückgelegten Wege und ermöglichten so mehr Tagesfreizeit. Gleichzeitig führten Kurzarbeit und Arbeitsplatzverlust im Jahr 2020 zu Verdiensteinbußen und damit zu weniger verfügbarem Budget. Hinzu kamen lockdownbedingte Einschränkungen und die Angst vor einer Infektion. All diese Einflussfaktoren trugen zu einer Veränderung des Bewusstseins für die eigene Verkehrsmittelwahl bei.
Noch immer wird das Auto als unverzichtbar angesehen, doch der Blick für das Radfahren hat sich geöffnet: 2020 wollten weniger Menschen auf das (eigene) Rad verzichten als noch 2019. Auch der Fernzug hat deutlich an Bedeutung gewonnen, während die Reise mit dem Flugzeug an Attraktivität verlor [Köch20]: Umfragen des ADAC und des DLR zeigen, dass sich rund ein Drittel der Befragten beim Fliegen, sowohl während als auch nach dem ersten Lockdown, unwohl fühlten und sich vorstellen konnten, auch in Zukunft weniger zu fliegen. [ADAC21h]
Hinsichtlich des Inlandsflugverkehrs kann gerade der Schienenverkehr an diese positive Entwicklung anknüpfen. Mit dem Zug lassen sich Fahrten auf kürzeren, landgebundenen Fernstrecken deutlich flexibler durchführen als per Flugzeug. Außerdem entfiel vor Corona ein Großteil der Inlandsflüge auf geschäftliche Reisen sowie auf Anschlüsse für internationale Flugreisen [Öko20, S. 6]. Während der Pandemie fielen viele dieser Reisegründe weg, Inlandsflüge wurden von der Bevölkerung kaum noch benötigt. Auch für die Zeit nach der Pandemie zeichnet sich ab, dass viele Unternehmen Geschäftsreisen einschränken und berufsbedingte Termine und Veranstaltungen vor Ort durch digitale Konferenzen ersetzen. [RaIf20] Die Legitimierung von Inlandsflugstrecken entfällt. Gleichzeitig werden längere Zugreisen attraktiver, indem häufiger neue Nachtzugverbindungen innerhalb Deutschlands und in das europäische Ausland angeboten und ehemalige Verbindungen wieder aufgenommen werden. [DBAG21e]
Auch Zubringerverkehre zu Langstreckenflügen lassen sich vermehrt auf die Schiene verlegen. In Frankreich sind bereits heute Passagierflüge auf Strecken verboten, die mit dem Zug in unter zweieinhalb Stunden zurückgelegt werden können. In Deutschland hat die Lufthansa im Frühjahr 2021 in Kooperation mit der Deutschen Bahn das Direktzubringernetz zu internationalen Flughäfen ausgebaut. [WaSc21]
Das Institut für Demoskopie (IfD) Allensbach erhob 2020 im Rahmen des Mobilitätsmonitor repräsentativ das Verkehrsverhalten der deutschen Bevölkerung. Unter den Befragten wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass sich die Rahmenbedingungen für individuelle Mobilität in Zukunft ändern werden. Besonders ausschlaggebend seien neue Homeoffice-Standards, eine stärkere Ausrichtung der Städte auf den Umweltverbund, der technologische Fortschritt sowie die wachsende Bedeutung von Mobilität. [Köch20] Während der Coronapandemie arbeiteten mehr als ein Drittel der Befragten zumindest zeitweise im Homeoffice in Stadtregionen etwas häufiger als in ländlichen Regionen. [DLR20c; DLR20e] Dies wird hauptsächlich positiv bewertet und mehr als zwei Drittel der Befragten kann sich vorstellen, auch zukünftig häufiger mobil zu arbeiten. [DLR20e] Diesem Wunsch kommen viele Unternehmen nach und gehen davon aus, weiterhin vermehrt die Möglichkeit der Heimarbeit anzubieten. [ZEW20] Diese neue Flexibilität hat einen unmittelbaren Einfluss auf das lokale und regionale Mobilitätsgeschehen: Indem das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit individuell eingeteilt und gestaltet wird, werden Stoßzeiten im Verkehrsaufkommen geglättet und die Anzahl von Arbeits- und Pendelwegen verringert sich. Dies führt zu einer Reduktion der Gesamtfahrzeuge auf den Straßen, einer gleichmäßigeren Entlastung vielgenutzter Verkehrsachsen.
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Chancen und Potenziale durch veränderte Mobilitätsstrukturen (Stand des Wissens: 18.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?553487
Literatur
[ADAC21h] Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e. V. (ADAC) (Hrsg.) Corona und Mobilität: Mehr Homeoffice, neue Freizeit- und Urlaubsziele, 2021/11/08
[DBAG21e] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Mehr Nachtzüge für Europa: Zwei neue Nightjet-Linien gehen an den Start , 2021/12/11
[DLR20c] Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität?, 2020/05/05
[DLR20e] DLR - Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrsforschung (Hrsg.) Zweite DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität?, 2020/09/28
[Köch20] Köcher, Renate Mobilitätsmonitor 2020. Ergebnispräsentation, 2020/10/13
[Öko20] Öko-Institut e.V. Institut für angewandte Ökologie (Hrsg.) Factsheet Fliegen und das Klima - Klimaschädliche Wirkung des Luftverkehrs, 2020
[RaIf20] ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Randstad Deutschland (Hrsg.) Randstad-ifo-Personalleiterbefragung, 2020
[WaSc21] Wadewitz, Felix , Schwietering, Caspar Lufthansa und Bahn setzen auf Zubringer-Züge, veröffentlicht in Der Tagesspiegel, 2021/03/08
[ZEW20] Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) (Hrsg.) Unternehmen wollen auch nach der Krise an Homeoffice festhalten, 2020/08/06
Glossar
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
ADAC = Allgemeine Deutsche Automobil Club e. V.. Der ADAC nimmt für sich in Anspruch, die Interessen deutscher Auto-, Motorrad- und Bootfahrer zu vertreten. Er bietet - direkt oder über Tochterfirmen - Dienstleistungen an und produziert Stadtpläne sowie Straßenkarten. Außerdem betreibt er mehrere Fahrsicherheitszentren. Die ursprüngliche und bekannteste Dienstleistung des Clubs ist die Pannenhilfe.
Verkehrsaufkommen Das Verkehrsaufkommen beschreibt die Anzahl der zurückgelegten Wege, beförderten Personen oder Güter pro Zeiteinheit. Im Unterschied dazu bezieht sich das spezifische Verkehrsaufkommen auf zurückgelegte Wege und beschreibt die mittlere Anzahl der Ortsveränderungen pro Person und Zeiteinheit.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?553286

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 12:06:30