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Chancen für die Stadtgesundheit durch pandemiebedingte Mobilitätsveränderungen

Erstellt am: 16.06.2022 | Stand des Wissens: 16.06.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky

Bebauungsdichte, Populationsdichte und globale Mobilität haben die rasante Ausbreitung des Corona-Virus gefördert. Gleichzeitig hat die Auseinandersetzung mit der Pandemie die eigene Gesundheit in den Vordergrund gerückt. Dieses neue Bewusstsein wirkt sich auch auf das Mobilitätsverhalten und die Verkehrsmittelwahl aus (siehe Abbildung 1): Während vor Pandemiebeginn vor allem eine kurze Fahrtzeit, ein günstiger Fahrpreis und Komfort die Wahl des Verkehrsmittels beeinflussten, steht nun die Angst vor Ansteckung an erster Stelle. [McKi20, S. 4]
Gruende fuer Verkehrsmittelwahl_McKinsey2022.pngAbbildung 1: Hauptgründe, aus denen ein Verkehrsmittel gewählt wird, Gegenüberstellung zwischen der Zeit vor und während COVID-19 (eigene Darstellung basierend auf [McKi20, S. 4]).
Der private Pkw erscheint weiterhin als bevorzugtes Fortbewegungsmittel, doch die neue Sicht auf einen gesunden Lebensstil und den Erhalt der eigenen Gesundheit gibt vor allem den aktiven Mobilitätsformen einen Aufschwung. Erhebungen während der Pandemie ergaben, dass bis zu 36 Prozent der Befragten häufiger zu Fuß unterwegs sind und bis zu 32 Prozent mehr Rad fahren. Entsprechend nutzen 29 Prozent der Befragten seltener das Auto. [acat2021; SINUS21] Etwa ein Viertel der Befragten will auch in Zukunft häufiger mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs sein, etwas mehr als ein Sechstel möchte zukünftig weiterhin weniger Auto fahren. [acat2021] Die vermehrte Nutzung des Fahrrads wurde vor allem gesundheitsbezogen begründet etwa mit dem Wunsch, die eigene Fitness zu erhalten, andere (während der Lockdowns untersagte) Freizeitaktivitäten durchzuführen, der häuslichen Enge zu entkommen oder etwas für die Umwelt zu tun. Auch der Schutz vor einer Corona-Infektion wurde von zwei Dritteln der Befragten als Grund genannt. Damit erscheint den Befragten das Fahrrad 2020 als unverzichtbarer als noch im Jahr zuvor. 2021 gewinnt dagegen das Auto wieder an Bedeutung. [Köch20; acat2021]
Die gesundheitlichen Vorteile, die sich Nutzende von der Wahl des Fahrrads versprechen, bestätigt auch die Forschung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen ein moderates Bewegungspensum von 150 bis 300 Minuten pro Woche (im Schnitt also etwa 20 bis 45 Minuten am Tag), um Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht, Depressionen oder Krebs entgegenzuwirken. [WHO20b, S. 15] In Deutschland erreicht fast die Hälfte der Bevölkerung diese Pensum nicht. [GuSt20, S. 1083] Hier kann an das gestärkte Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung angeknüpft werden: Ein Arbeitsweg, dessen 15-minütige Hin- und Rückfahrten mit dem Rad zurück gelegt werden, genügen bereits für das empfohlene Bewegungspensum ebenso wie regelmäßige Fahrten zum Einkaufen, zu Freizeitbeschäftigungen oder zum Abholen der Kinder von Schule oder Kindergarten. Die Förderung aktiver Mobilität, etwa durch Infrastrukturmaßnahmen, betriebliches Mobilitätsmanagement oder Anreizsysteme, kann die Gesundheit der Bevölkerung erheblich verbessern. Denn selbst wenn ein wöchentliches Bewegungspensum nicht erreicht wird, hat jede Form körperlicher Aktivität nachweislich positive Auswirkungen auf Lebenserwartung und Gesundheitszustand. [WHO20b, S. 33]
Die Coronapandemie hat einen neuen Blick auf Homeoffice und Telearbeit eröffnet: Während 2017 nur jeder zehnte Erwerbstätige außerhalb des Büros arbeitete, war es Anfang 2020 jeder Dritte [Foll20, S.7]. In Verbindung mit pandemiebedingten Einschränkungen, wie Kontaktbeschränkungen und einem stark reduzierten Freizeit- und Kinderbetreuungsangebot, führte das plötzliche, teilweise ausschließliche Arbeiten von zu Hause bei vielen zu unterschiedlichen Herausforderungen. [NeLi20, S. 26; NiBo22, S. 9] Doch mit den richtigen Voraussetzungen, wie einem eigenen, sinnvoll und ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz, Möglichkeiten zum persönlichen Austausch und Unterstützung durch Vorgesetze, bergen neue Regelungen für Homeoffice und Telearbeit große Chancen. Mehr Individualität und Flexibilität schaffen Raum für Ausgleich im Arbeitsalltag, was sich wiederum positiv auf die geistige Gesundheit auswirkt und Burn-Out-Erkrankungen vorbeugen kann. [NeLi20, S. 22]
Ansprechpartner
Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Chancen und Potenziale durch veränderte Mobilitätsstrukturen (Stand des Wissens: 18.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?553487
Literatur
[acat2021] Acatech - Konvent für Technikwissenschaften der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e.V. (Hrsg.) Mobilitätsmonitor 2021: Alle Ergebnisse, 2021
[Foll20] Follmer, Rober Mobilitätsreport 01. Ergebnisse aus Beobachtungen per repräsentativer Befragung und ergänzendem Mobilitätstracking bis Ende Mai, Bonn/Berlin, 2020/05
[GuSt20] Guthold, Regina , Stevens, Gretchen A , Riley, Leanne M, Bull, Fiona C Worldwide trends in insufficient physical activity from 2001 to 2016: a pooled analysis of 358 population-based surveys with 1.9 million participants, veröffentlicht in The Lancet Global Health, Ausgabe/Auflage Band 6, Ausgabe 10, 2018/09/04, Online-Referenz doi:10.1016/S2214-109X(18)30357-7
[Köch20] Köcher, Renate Mobilitätsmonitor 2020. Ergebnispräsentation, 2020/10/13
[McKi20] McKinsey and Company (Hrsg.) From no Mobility to Future Mobility: Where COVID-19 has accelerated change, 2020/12/15
[NeLi20] Neumann, Jana , Lindert, Lara, Seinsche, Laura, Zeike, Sabrina, Pfaff, Holger Homeoffice- und Präsenzkultur im öffentlichen Dienst in Zeiten der Covid-19-Pandemie. Ergebnisbericht August 2020, 2020/08
[NiBo22] Niebuhr, Fiona , Borle, Prem , Börner-Zobel, Franziska , Voelter-Mahlknecht, Susanne , Healthy and Happy Working from Home? Effects of Working from Home on Employee Health and Job Satisfaction , veröffentlicht in International Journal of Environmental Research and Public Health, Ausgabe/Auflage 19(3) , 2022/01/22, Online-Referenz doi:10.3390/ijerph19031122
[SINUS21] Bundesministerium für Digitales und Verkehr, SINUS Markt- und Sozialforschung (Hrsg.) Fahrrad-Monitor Deutschland Corona-Befragung 2020, 2021/04/14
[WHO20b] World Health Organization (WHO) (Hrsg.) WHO Guidelines on Physical Activity and Sedentary Behaviour, Genf, 2020, ISBN/ISSN ISBN 978-92-4-001512-8

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?553266

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