Pandemiebedingte Veränderungen in Personenverkehr und Mobilitätsverhalten
Erstellt am: 16.06.2022 | Stand des Wissens: 16.06.2022
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Eine Pandemie ist ein Extremereignis, das sich auf die Gesellschaft und auf jeden einzelnen Menschen auswirkt. Maßnahmen, die zum Schutz der Bevölkerung ergriffen werden, wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Homeoffice-Regelungen oder die Schließung von Kindergärten, Schulen und Universitäten, beeinflussen das menschliche Verhalten in vielen Bereichen, so auch in der Mobilität.
Laut der letzten Erhebung Mobilität in Deutschland (MiD) hatten 2017 etwa zehn Prozent der Erwerbstätigen die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten; eine Erhebung des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) ergibt, dass 66 Prozent der befragten Personen vor der Krise jeden Tag zur Arbeit fuhren. [Foll20, S.7; ADAC21h] Während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie zwischen März und Juni 2020 stieg der Anteil der Erwerbstätigen im Homeoffice auf ein Drittel. Vor allem Erwerbstätige in Haushalten mit hohem Einkommen (mehr als 2.200 Euro pro Kopf) hatten die Chance auf Heimarbeit; unter den Niedrigverdienern konnte lediglich ein Sechstel zu Hause arbeiten (siehe Abbildung 1). [Foll20, S.7]
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Entsprechend der Verringerung von Arbeitswegen nahmen auch Unterwegszeit, Wegelänge und -zahl im Vergleich zur MiD 2017 ab: Im Mai 2020 war die deutsche Bevölkerung im Durchschnitt etwa 75 Minuten pro Person und Tag unterwegs, auf Strecken von durchschnittlich 34 km pro Person und Tag 2017 waren es noch 90 Minuten bei 39 km Tagesstrecke. Im Oktober 2020 wurden noch kürzere Wege zurückgelegt: Durchschnittlich 73 Minuten, auf Strecken von etwa 31 km pro Person und Tag. Das entspricht einer Abnahme von 23 Prozent beziehungsweise 30 Prozent gegenüber der Unterwegszeit und Wegelänge im Referenzmonat Oktober 2017. Die Wegezahl dagegen stieg von durchschnittlich 2,4 Wegen pro Person und Tag im Mai 2020 auf 2,6 Wege im Oktober 2020 und lag damit noch immer 19 Prozent unterhalb der Wegezahl im 2017 (3,2 Wege pro Person und Tag). [WeZe20, S.9]
Die leichte Zunahme der Mobilität im Oktober ging mit einer deutlichen Verschiebung im Verkehrsaufkommen nach Wegezwecken einher: Während im Mai 2020 noch hauptsächlich Freizeitwege zurückgelegt wurden, entfielen im Oktober 2020 wieder mehr Wege auf Arbeits- und Dienstwege (siehe Abbildung 2). Damit war auch ein leichter Anstieg von Wegen für Erledigungen, die zum Teil auf dem Weg zur oder von der Arbeit durchgeführt wurden und während der Homeoffice-Phase im Frühjahr entfielen, verbunden.
![Abbildung 2: Absolutes Verkehrsaufkommen pro Tag nach Hauptwegezwecken (Hochrechnung in Millionen Wegen) [Eintrag-Id:542437, S.11] Verkehrsaufkommen nach Hauptzweck_Mai-Oktober_infas2020-3_S.11.jpg](/servlet/is/553234/Verkehrsaufkommen%20nach%20Hauptzweck_Mai-Oktober_infas2020-3_S.11.jpg)
Gerade zu Beginn der Pandemie veränderten die gravierenden Einschränkungen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Besonders deutlich wurde dies im Mobilitätsradius, in der Zahl der Flugreisen, in der verstärkten Nutzung von Fahrrädern, im zunehmenden Fußverkehr, in der verminderten Pkw-Nutzung und in der verminderten Nutzung des ÖPNV. Diese Trends setzten sich im zweiten Pandemiejahr fort und verstärkten sich. [Köch20; acat2021] Diese Veränderungen machten sich im Modal Split bemerkbar (siehe Abbildung 3). Am deutlichsten zeigte sich das am Anteil des Fußverkehrs, der zu Beginn der Pandemie um 42 Prozent gegenüber 2017 zunahm. Diese Entwicklung relativierte sich jedoch in der zweiten Hälfte 2020; hier glich sich der Fußverkehrsanteil wieder den Werten des Oktobers 2017 an.
Eine etwas genauere Betrachtung verdient der Radverkehrsanteil. Prozentual unterschied er sich im Pandemiejahr kaum von den MiD-Werten von 2017, wenngleich das Fahrrad gerade zu Pandemiebeginn zahlreiche Stadtbilder prägte und in den nationalen und internationalen politisch-planerischen Fokus rückte. Es hat sich gezeigt, dass sich die Steigerung des Radverkehrsaufkommens vorwiegend auf die Nachmittagsstunden konzentrierte und zu dieser Zeit mehr Radfahrer unterwegs waren, als im Referenzmonat Mai 2017. Außerdem wurden die Wege länger die Verkehrsleistung nahm gegenüber der Vor-Corona-Zeit um etwa ein Viertel zu. [Foll20, S.14]Deutlicher Verlierer ist der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Zu Beginn der Pandemie betrug sein Anteil am Modal Split lediglich 5 Prozent, was einer Abnahme von 50 Prozent gegenüber 2017 entspricht. Im Oktober 2020 nutzten wieder mehr Menschen Bus und Bahn, der Anteil am Modal Split von 8 Prozent blieb jedoch unter jenem im MiD-Jahr 2017 (11 Prozent). Häufigster Grund für das Vermeidungsverhalten war die Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus, aber auch bekannte Probleme, wie überfüllte Fahrzeuge oder neue Arbeitsbedingungen durch Homeoffice gewannen an Relevanz. [WeZe20, S.18; ADAC21h] Einen Einfluss darauf, wer im Oktober 2020 trotz Pandemiegeschehen weiterhin den öffentlichen Verkehr (ÖV) nutzt, hat offenbar der ökonomisch Status: Der Anteil derjenigen, die täglich mit Bus und Bahn fahren und zur mittleren oder höheren Einkommensgruppe gehören, sank zwischen Frühjahr und Herbst 2020. Nutzten zu Beginn der Pandemie noch 11 und 10 Prozent der Durchschnittlich- und Besserverdienenden den ÖV, so waren es im Oktober 2020 lediglich 7 und 4 Prozent. Menschen mit niedrigem Einkommen dagegen nutzen den ÖV im Herbst sogar mehr als im Frühjahr: Der Anteil stieg von 10 Prozent auf 20 Prozent. Dies impliziert, dass etwa 55 Prozent der täglich im ÖV zurückgelegten Personenkilometer auf Menschen mit niedrigem Einkommen entfallen und lediglich 32 beziehungsweise 13 Prozent auf Mittel- und Vielverdienende [WeZe20, S.20].
Anders verhält es sich mit dem Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV): Während im Frühjahr 2020 nur knapp die Hälfte aller Wege (48 Prozent) von Selbstfahrern im MIV zurückgelegt wurden, stieg der Anteil im Oktober auf 55 Prozent und übersteigt damit deutlich den MiD-Wert von 2017. Gleichzeitig nahm der Anteil der MIV-Mitfahrer auf lediglich 6 Prozent (von 10 Prozent in 2017) ab. Eine Beobachtung, die einhergeht mit der Vermeidung kollektiv genutzter Verkehrsmittel, unter der auch der ÖV litt. [WeZe20, S.15f.] Es zeigt sich, dass die Verfügbarkeit eines Pkw die Nutzung des ÖV bedingt: 40 Prozent derjenigen, die keinen ständigen Zugang zu einem Pkw hatten, fuhren nahezu täglich mit Bus und Bahn. Dagegen lag der Anteil von ÖV-Nutzern mit Pkw-Zugang bei lediglich 5 Prozent. [WeZe20, S.20]
![Abbildung 3: Modal Split im Zeitvergleich der Monate Mai und Oktober in den Jahren 2017 und 2020 [Eintrag-Id:542437, S.15] Modal Split Zeitvergleich_Mai-Okt2017-2020_infas2020-3_S.15.jpg](/servlet/is/553234/Modal%20Split%20Zeitvergleich_Mai-Okt2017-2020_infas2020-3_S.15.jpg)