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Vulnerabilität und Resilienz des Verkehrs

Erstellt am: 05.06.2022 | Stand des Wissens: 05.06.2022
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Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Ursprünglich stammt der Fachbegriff Resilienz (zurückgehend auf lateinisch resilire = zurückspringen; englisch resilience = Widerstandsfähigkeit, Elastizität) aus der Psychologie. Eine Person gilt als resilient, wenn sie sich trotz bereits im frühen Kindesalter erlebter starker Belastungen und schwieriger Lebensumstände psychisch gesund entwickelt. [FrRö19] In der Psychologie kann Resilienz, die die Widerstandsfähigkeit ausdrückt, als Gegenbegriff zu Vulnerabilität (lateinisch: vulnus = Wunde, vulnerare = verwunden) verstanden werden. Auch der Begriff Vulnerabilität stammt ursprünglich aus der Psychologie und ist dort gleichbedeutend mit Verwundbarkeit oder Verletzlichkeit. Menschen, die beispielsweise unter Erkrankungen leiden, besitzen eine höhere Vulnerabilität. [Lehm18]

Um die Vulnerabilität des Verkehrssektors bezüglich einer Pandemie zu beschreiben, ist die Bedeutung der Begriffe Resilienz und Vulnerabilität im Kontext von Systemen zu klären. Bezogen auf den Verkehr beschreibt Resilienz die Fähigkeit eines Verkehrssystems, mit äußeren Störungen umgehen zu können und nach einem Leistungsverlust wieder die eingangs vorhandene Leistungsfähigkeit zu erreichen. Die Vulnerabilität von Verkehrssystemen bezeichnet die Verletzbarkeit eines Systems bei äußeren Störungen. Diese Verletzbarkeit, man spricht auch häufig von Anfälligkeit, hängt von technischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Faktoren ab.

Die Auswirkungen einer Pandemie auf das Verkehrssystem sind vielfältig. Jeder Verkehrsträger hat unterschiedliche Schwachstellen, die ihn im Falle einer Pandemie vulnerabel machen können. Als sich die COVID-19-Pandemie in Deutschland ausgebreitet hatte, konnte man beobachten, dass viele Menschen anstelle von öffentlichen Verkehrsmitteln (ÖV) (im Fern- und Nahbereich) den privaten Pkw oder das Fahrrad nutzten, da eine Angst vor Ansteckung bestand. Hierbei könnte die Pandemie auch zu Langzeitfolgen für den Schienenverkehr führen. Menschen könnten auch in Zukunft zum Beispiel bei Grippe Angst vor Ansteckungen haben, den Pkw benutzen und auf den ÖV verzichten.

In der Passagierluftfahrt führten Einreisebeschränkungen zu einem massiven Einbruch der Anzahl an Flügen und im Fluggastaufkommen. Im Dezember 2020 lag das Gesamtverkehrsaufkommen an den beiden wichtigsten Flughäfen in Deutschland Frankfurt und München 82 Prozent beziehungsweise 93 Prozent unter dem Vorjahreswert. [ADV23a] Allerdings ist seit dem Frühjahr/Frühsommer 2021 wieder ein Aufwärtstrend des Flugverkehrs zu beobachten. Dieser lässt sich durch Veränderungen in der Einstufung von Ländern als Risikogebiete erklären. [DFS21] Im März 2022 besuchten etwa 1,75 Millionen Passagiere den Flughafen München. Das entspricht ungefähr der Hälfte der Passagiere im März des Vorkrisenjahres 2019. [ADV23a]

Im Güterverkehr traten durch Lockdown und Schließung der Grenzen Lieferschwierigkeiten auf, da ganze Lieferketten abrissen. Durch den Einbruch der Passagierluftfahrt standen auch die Frachträume für Gütertransport in den Passagiermaschinen nicht in gewohnter Weise zur Verfügung.

Die Resilienz eines Systems ist die Fähigkeit, Störungen zu bewältigen und nach einem Leistungsverlust wieder seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit zu erlangen. [CaSn18] Als Reaktion auf die gesunkenen Fahrgastzahlen, die während der Hochphase der Ausgangsbeschränkungen um etwa 80 Prozent eingebrochen waren, startete der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen gemeinsam mit Bund und Ländern die #BesserWeiter Kampagne. Durch die Kampagne und zahlreiche Hygienekonzepte und Sicherheitsmaßnahmen sollte das Vertrauen in die öffentlichen Verkehrsmittel wieder gestärkt werden. Beispiele hierfür sind neue Oberflächenbeschichtungen, die antimikrobiell wirken, und ein digitaler Haltewunschknopf, den man in der ZÄPP App auf dem Smartphone betätigen kann, um so für mehr Hygiene sorgen und Abstände besser einhalten zu können. [DEUM21] Die ZÄPP App wurde auf der Ruhrbahn eingeführt. Ebenso wurden Fahrgäste sensibilisiert, Masken zu tragen. Einige Monate nach dem Ablauf der ersten Welle der COVID-19-Pandemie waren circa 50 bis 60 Prozent der Fahrgäste zurückgekehrt. [TAZ] Mit einer vollständigen Erholung der Fahrgastzahlen rechnet die ÖPNV-Branche nicht vor 2023. [OMNI22]

Zur Gestaltung eines resilienten Verkehrssystems wird ein umfassender und ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der die Grundlage für das Resilienzmanagement im Verkehr bildet. Der sogenannte Resilienzkreislauf ist ein flexibles und iteratives Managementkonzept, das in vielen Bereichen anwendbar ist und fünf Schritte umfasst. Diese sind in der nachfolgenden Abbildung dargestellt:
Resilienzkreislauf.pngAbb. 1: Der Resilienzkreislauf [BAST18] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
Durch eine höhere Resilienz kann zum einen eine höhere Systemleistung im Ereignisfall zur Verfügung stehen, zum anderen kann die Dauer, in der nur eine eingeschränkte Systemleistung zur Verfügung steht, verringert werden. Diesen Sachverhalt verdeutlicht die nachfolgende Abbildung.
Nutzengewinn Resilienz.pngAbb. 2: Nutzengewinn aus höherer Resilienz [BAST18] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)
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Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Auswirkungen von Pandemien auf Mobilität und Verkehr (Stand des Wissens: 09.08.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?553478
Literatur
[ADV23a] Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) e.V. (Hrsg.) ADV Monatsstatistik , 2023
[BAST18] Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg.) Das Verkehrssystem resilient gestalten: Wie können
wir eine ungewisse Zukunft meistern?, 2018
[CaSn18] Simeon C. Calvert, Maaike Snelder A methodology for road traffic resilience analysis and review of related concepts, 2018
[DEUM21] Deutschland mobil 2030 GmbH (Hrsg.) Das machen Verkehrsunternehmen zum Schutz der Fahrgäste, 2021/04
[DFS21] DFS Deutsche Flugsicherung GmbH (Hrsg.) Luftverkehr auf niedrigem Niveau, 2021
[FrRö19] Klaus Fröhlich-Gildhoff, Maike Rönnau-Böse Resilienz , 2019
[Lehm18] Lehmeyer, Sonja Vulnerabilität, 2018
[OMNI22] Omnisbusrevue (Hrsg.) ÖPNV: Erholung der Fahrgastzahlen nicht vor 2023, 2022/01
[TAZ] tageszeitung (Hrsg.) Corona erschwert die Verkehrswende, 2021
Glossar
ÖV
Der öffentliche Verkehr (ÖV) ist sowohl im Personen-, Güter- sowie Nachrichtenverkehr für jeden Nutzer in einer Volkswirtschaft öffentlich zugänglich. Dazu zählen sowohl die öffentliche Personenbeförderung, der öffentliche Gütertransport als auch die öffentlichen Telekommunikations- und Postdienste. Der ÖV wird dabei von Verkehrsunternehmen nach festgelegten Routen, Preisen und Zeiten durchgeführt. Der ÖV ist somit im Gegensatz zum Individualverkehr (IV) örtlich und zeitlich gebunden.
Vor dem Hintergrund der verkehrspolitisch geförderten Multimodalität wird der ÖV zunehmend breiter definiert, indem auch alternative Bedienformen, Taxen bis hin zu öffentlichen Fahrrädern und öffentlichen Autos als Teil eines neuen individualisierten ÖV gesehen werden.
App
Ist eine Abkürzung für den Fachbegriff Applikation (App) und bezeichnet eine Anwendungssoftware, die für mobile Endgeräte, wie Smartphone oder Tablet-PC entwickelt wurde. Apps können als Zusatzsoftware auf mobilen Endgeräten installiert werden und erweitern dadurch deren Funktionsumfang. Je nach Betriebssystem kann der Nutzer auf eine Vielzahl von mobilen Applikationen auf dem vom Betriebssystem bereitgestellten Marktplatz kostenpflichtig oder kostenlos zugreifen.
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?552749

Gedruckt am Freitag, 29. März 2024 09:16:44