Epidemien/Pandemien und Verkehr
Erstellt am: 05.06.2022 | Stand des Wissens: 05.06.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Eine Pandemie hat weitreichende Auswirkungen auf alle Bereiche des Verkehrs. Die Funktionsfähigkeit des Personenverkehrs ist von immanenter Bedeutung für die Versorgung des Landes mit Gütern und Dienstleistungen. Längerfristige Engpässe im Personenverkehr können zu Schäden der Wirtschaft in einzelnen Regionen oder sogar der Gesamtwirtschaft führen, beispielsweise, wenn Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz nicht mehr erreichen können. Der Güterverkehr beliefert Betriebe mit Rohstoffen, Gütern und Waren und damit mit den materiellen Voraussetzungen, um am wirtschaftlichen Handel teilzuhaben. Ausfälle im Güterverkehr und damit Verzögerungen beim Transport von lebenswichtigen Gütern, zum Beispiel beim Transport von Lebensmitteln zu Supermärkten oder auch von Medikamenten an Apotheken und Krankenhäuser, können zu einer massiven Beeinträchtigung anderer kritischer Infrastrukturen führen.
Als sich die COVID-19-Pandemie in Deutschland ausgebreitet hatte, konnte man beobachten, dass viele Menschen anstelle des öffentlichen Verkehrs den privaten Pkw oder das Fahrrad nutzten, da eine Angst vor Ansteckung bestand. So waren während der Hochphase der Ausgangsbeschränkungen die Fahrgastzahlen um etwa 80 Prozent eingebrochen. [TAZ]
Die COVID-19-Pandemie führte auch in der Passagierluftfahrt zu erheblichen Auswirkungen. Einreisebeschränkungen sorgten für einen massiven Einbruch der Anzahl an Flügen und der Passagierzahlen. Die nachfolgende Abbildung 1 zeigt beispielsweise die Entwicklung der monatlichen Passagierzahlen am Flughafen München. Im Jahr 2022 lässt sich eine deutliche Erholung erkennen, indem im März über 1,7 Millionen Passagiere am Flughafen München verkehrt sind. [ADV23a]
![Abb. 1: Monatliche Anzahl der Passagiere am Flughafen München, November 2019 bis März 2022 [Eintrag-Id:552690] Monatliche Passagiere.png](/servlet/is/552739/Monatliche%20Passagiere.png)
Der Personenverkehr auf der Straße ist vergleichsweise resilient gegenüber Pandemien. Im Jahr 2020 ging der Pkw-Verkehr im Vergleich zum Vorjahr zurück. Es kam zu 513.500 Staus auf Autobahnen, ein Minus von 28 Prozent, und die Gesamtlänge der Staus betrug 679.000 Kilometer, ein Rückgang von 52 Prozent. Auch das Verkehrsaufkommen sank; so lag die Zahl der Pkw, die im April 2020 auf den Autobahnen gezählt wurden, mehr als 50 Prozent unter dem Vorjahresniveau (siehe Abbildung 2). Grund hierfür war, dass viele Menschen von zu Hause arbeiteten. Im Jahr 2021 hingegen gab es 685.000 Staus auf deutschen Autobahnen, was einen Anstieg von ungefähr einem Drittel gegenüber 2020 entspricht. Damit waren es 2021 allerdings immer noch 3 Prozent weniger Staus als im Vorkrisenjahr 2019. [ADAC22a]
![Abb. 2: Veränderung des Verkehrsaufkommens 2020 auf Autobahnen gegenüber 2019 [Eintrag-Id:552692] Verkehrsaufkommen.png](/servlet/is/552739/Verkehrsaufkommen.png)
Im Güterverkehr führten Lockdown und Schließung der Grenzen zu Lieferschwierigkeiten. Durch den Einbruch der Passagierluftfahrt standen auch die Frachträume in den Passagiermaschinen für Güter nicht zur Verfügung. Auch die sogenannten Hamsterkäufe der Bevölkerung führten zu kurzfristigen Versorgungsschwierigkeiten und Güterknappheiten.
Die Resilienz (zurückgehend auf lateinisch resilire = zurückspringen; englisch resilience = Widerstandsfähigkeit, Elastizität) eines Systems ist die Fähigkeit, Störungen zu bewältigen und nach einem Leistungsverlust wieder seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit zu erlangen. [CaSn18] Demzufolge ist ein resilientes Verkehrssystem so beschaffen, dass es selbst im Falle einer Störung in der Lage ist, den Verkehrsfluss zu ermöglichen, auch wenn dies auf einem niedrigeren Leistungsniveau geschieht, und es nach Auftreten der Störung möglichst schnell wieder seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit erreicht.
Zur resilienten Gestaltung des Verkehrssystems ist es wichtig zu verstehen, welche Bereiche besonders störungsanfällig sind beziehungsweise wo im Störungsfall besonders starke Auswirkungen auf den Verkehrsfluss zu erwarten sind. Man spricht in diesem Zusammenhang von Vulnerabilität (lateinisch: vulnus = Wunde, vulnerare = verwunden). Der Begriff Vulnerabilität stammt, wie der Begriff Resilienz, ursprünglich aus der Psychologie. Vulnerabilität ist dort gleichbedeutend mit Verwundbarkeit oder Verletzlichkeit. Menschen, die beispielsweise unter psychischen oder physischen Erkrankungen leiden, besitzen eine höhere Vulnerabilität. [Lehm18]