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Neue Mobilitätskonzepte und Resilienz

Erstellt am: 26.11.2021 | Stand des Wissens: 17.01.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Neue Mobilitätskonzepte sind eine tragende Säule für die von der Bundesregierung angestrebte Verkehrswende. Im Privatverkehr verspricht man sich hiervon insbesondere eine Reduzierung der Anzahl an Pkw-Fahrten. Dazu müssen alternative Angebote, die für potenzielle Nutzergruppen attraktiv genug sind, geschaffen werden. Eine allgemeingültige Definition, was unter neuen Mobilitätskonzepten verstanden wird, existiert nicht. Man versteht darunter in aller Regel innovative und neuartige Mobilitätsformen und -dienstleistungen, wie beispielsweise Carsharing-Angebote oder Fahrradverleihsysteme. [BBSR15b, S. 5] Man kann dazu aber auch zum Beispiel die Nutzung von E-Scootern zählen. Häufig liegt diesen neuen Mobilitätsangeboten das Prinzip Nutzen statt Besitzen zu Grunde.

Die Smartphone-Nutzung in Deutschland ist über die vergangenen Jahre stark angestiegen. [BITKOM19] Neuartige Mobilitätskonzepte haben von der stark gewachsenen Verbreitung der Smartphones besonders profitiert, da sich damit die Möglichkeit bietet, über Apps schnell, bequem und flexibel auf eine Reihe von Angeboten zugreifen zu können. Die zuvor aufgeführten Mobilitätskonzepte sind vorrangig in städtischen Gebieten zu finden, da ihre Anbieter eine gewisse Bevölkerungsdichte benötigen, um wirtschaftlich agieren zu können. Zu neuen Mobilitätskonzepten lassen sich auch alternative Antriebskonzepte, wie Elektrofahrzeuge oder E-Bikes zählen, die deutschlandweit, also auch in kleineren Gemeinden oder in Vorstädten, beliebter werden. Der Absatz von E-Bikes beispielsweise stieg von 2016 bis 2020 von 605.000 auf 1,95 Millionen. [ZIV21a]

Im Zuge der Resilienzbetrachtung stellt sich die Frage, wie krisenresilient die neuen Mobilitätsformen sind und wie sich ein Mobilitätswandel auf die Resilienz insbesondere des Stadtverkehrs insgesamt auswirkt. Für den Personenverkehr von Bedeutung sind Straßen, Schienen und die Infrastrukturelemente des Flugverkehrs. Es ist davon auszugehen, dass bezüglich der Zuverlässigkeit individuelle Mobilitätsformen angesichts ihrer flexibleren Nutzungsmöglichkeiten meist einen Vorteil gegenüber kollektiven Verkehrsmitteln haben. Aufgrund der Einzelnutzung ist die Routenwahl nicht a priori festgelegt. Dies bringt den Vorteil mit sich, dass im Straßennetz, wo viele Redundanzen existieren, ein Ziel mit einem individuellen Verkehrsmittel eher als mit einem kollektiven Verkehrsmittel erreicht werden kann (solang das Ziel nicht selbst massiv von der Krise betroffen ist). Dies gilt unabhängig davon, ob man traditionelle oder neuartige Mobilitätsformen betrachtet. Im Schienenverkehr, der kollektiven Verkehrsmitteln vorbehalten ist, sind weniger Redundanzen vorhanden. Die Nutzung von E-Scootern, Fahrrädern und E-Bikes ist auf Fahrradwegen beziehungsweise auf Straßen möglich. Sie weisen daher grundsätzlich eine vergleichsweise hohe Resilienz auf. Darüber hinaus sind diese Fahrzeuge für das untergeordnete Straßennetz konzipiert, wo noch mehr Redundanzen als im übergeordneten Netz zu finden sind.

Oft fahren Fahrzeuge, die innerhalb innovativer Mobilitätskonzepte genutzt werden, mit Strom. Daher sind sie auf eine zuverlässige Stromversorgung angewiesen. Bei einem Langzeitstromausfall wären diese Mobilitätsformen nicht oder nur eingeschränkt nutzbar. Allerdings ist die Stromversorgung in Deutschland sehr zuverlässig, sodass es selten zu längeren Stromausfällen kommt.

Durch eine plötzlich auftretende sehr hohe Nachfrage kann sich bei Mobilitätsformen, die lediglich von Fahrt zu Fahrt gebucht werden, ein weiterer Nachteil ergeben. Dies ist der Fall, wenn die Nachfrage die Angebotskapazität überschreitet. Sharing-Fahrzeuge sollen im Alltag selten genutzte Privatfahrzeuge ersetzen und von vielen Gelegenheitsnutzern regelmäßig gefahren werden. Die durch die Nutzung von Sharing-Fahrzeugen eingesparten privaten Fahrzeuge können im Krisenfall jedoch zu einer verringerten Verfügbarkeit von individuellen Verkehrsmitteln führen, die dann besonders vorteilhaft wären. Im Alltag erzielt man durch Sharingkonzepte eine bessere Auslastung von Fahrzeugen als dies bei privaten Fahrzeugen der Fall ist. Im Krisenfall kann das Teilen von Fahrzeugen zu einer geringeren Verfügbarkeit und damit zum Problem werden. Das Ziel einer effizienteren Auslastung von Fahrzeugen im Alltag stellt sich damit als gegenläufig zur im Krisenfall benötigten Redundanz an Fahrzeugen dar.

Die Mobilitätsreserven sind bei kleinen Sharing-Fahrzeugen (E-Scootern, Leihfahrrädern) aufgrund ihrer geringeren Kosten höher als bei Sharing-Pkw. Laut Bundesverband CarSharing beläuft sich die Sharing-Pkw-Flotte in Deutschland auf etwa 30.000 Fahrzeuge. [BCS22] Allein schon der Leihrad-Anbieter Deutsche Bahn spricht von etwa 16.000 Fahrrädern. [DBAG20i, S. 18] Bereits in Berlin, Hamburg, Köln und München wurden im Jahr 2019 über 30.000 E-Scooter gezählt. [CIVI19] Die kleinen Fahrzeuge haben zudem den Vorteil, dass sie auch bei massenhafter Nutzung, zum Beispiel im Fall von Evakuierungen, weniger stauverursachend bei Straßenengpässen sind. Andererseits können diese Fahrzeuge auch schneller an ihre Leistungsfähigkeitsgrenze kommen als Pkw. So können leicht überflutete Straßenabschnitte mit Pkw (insbesondere SUV) vielleicht noch gemeistert werden, während E-Scooter dort nicht mehr fahren können.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Resilienz von Verkehrssystemen unter besonderer Berücksichtigung des Klimawandels (Stand des Wissens: 26.11.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?543869
Literatur
[BBSR15b] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) Neue Mobilitätsformen, Mobilitätsstationen
und Stadtgestalt
Kommunale Handlungsansätze
zur Unterstützung neuer Mobilitätsformen durch die Berücksichtigung
gestalterischer Aspekte, 2015
[BCS22] bcs - Bundesverband CarSharing e.V. (Hrsg.) Aktuelle Zahlen und Fakten zum CarSharing in Deutschland, 2022
[BITKOM19] Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Hrsg.) Smartphone-Markt:
Konjunktur und Trends, 2019
[CIVI19] Civity (Hrsg.) E-Scooter in Deutschland, 2019
[DBAG20i] Deutsche Bahn AG Konzern (Hrsg.) Deutsche Bahn
Daten&Fakten 2020, 2020
[ZIV21a] Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) (Hrsg.) Wirtschaftspressekonferenz am 10. März 2021
Zahlen -Daten -Fakten zum Fahrradmarkt in Deutschland 2020, 2021
Glossar
SUV SUV ist die Abkürzung von Sports Utility Vehicle (einige Automobilhersteller verwenden auch die Bezeichnung Sports Activity Vehicle SAV). In den USA werden Geländewagen so genannt. In Deutschland werden auch Pkw so bezeichnet, die äußerlich einem Geländewagen ähneln, jedoch ähnliche Fahreigenschaften wie die einer Limousine haben.
Carsharing
Der Begriff CarSharing stammt aus dem Englischen (car= Auto, to share= teilen) und kann sinngemäß mit der Bedeutung "Auto teilen" übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Kraftfahrzeugen, die meist von Unternehmen gegen Gebühr bereitgestellt werden.
Durch einen Rahmenvertrag oder eine Vereinsmitgliedschaft erhalten Kunden flexiblen Zugriff auf alle Kfz eines Anbieters. Die Fahrzeuge können über eine Webseite oder über eine Smartphone-App gebucht werden. Geöffnet werden sie in der Regel mit Hilfe von Chipkarten oder durch einen über die Smartphone-App vermittelten Zugangscode .
Bei dem System des stationsbasierten CarSharing stehen die Fahrzeuge auf reservierten Stellplätzen und werden nach der Nutzung auch wieder dorthin zurückgebracht. Ein anderes Modell ist das free-floating CarSharing. Hier stehen die Fahrzeuge in einem definierten Operationsgebiert verteilt. Sie können per Smartphone geortet werden und nach der Nutzung auf einem beliebigen Stellplatz innerhalb des Operationsgebiets zurückgegeben werden.
Verkehrswende
Mit der Verkehrswende in Deutschland wird das Ziel verfolgt, den Verkehrssektor bis spätestens 2050 klimaneutral zu gestalten. Dazu sollen die anfallenden Treibhausgasemissionen möglichst vollständig vermieden und verbleibende Restemissionen durch die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Die Verkehrswende lässt sich in zwei parallellaufende Entwicklungen gliedern: die Mobilitätswende und die Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt).

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?543785

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 00:34:24