Evakuierungssituationen
Erstellt am: 26.11.2021 | Stand des Wissens: 17.01.2023
Synthesebericht gehört zu:
Der Eintritt eines Extremereignisses erfordert in manchen Fällen die Evakuierung der Bevölkerung des betroffenen Gebietes. Evakuierungen können freiwillig und selbstständig erfolgen. Je größer beziehungsweise näher die Gefahr, desto wahrscheinlicher ist es, dass Behörden die Bevölkerung zur Evakuierung auffordern. Es kann sogar ein Zwang zur Evakuierung ausgesprochen und diese auch behördlich organisiert werden.
Der Katastrophenschutz, der in Deutschland für Evakuierungen zuständig ist, ist Ländersache. Die Bundesländer sind die oberste Katastrophenschutzbehörde. Die obere Katastrophenschutzbehörde befindet sich beispielsweise auf der Ebene von Bezirksregierungen. Die untere Katastrophenschutzbehörde stellen die Landratsämter beziehungsweise die Bürgermeisterämter dar [Kell14]. Ursachen für Evakuierungen können menschlichen oder natürlichen Ursprungs sein. Der Evakuierungsgrund beeinflusst dabei die Fläche und den Radius, in dem evakuiert werden muss, und damit, wie viele Personen von der Evakuierung betroffen sind [Kell14, S. 25]. Um einen reibungslosen Ablauf während der Evakuierung zu gewährleisten, werden unter Beteiligung aller potenziell involvierten Einrichtungen vorbereitend Evakuierungspläne erstellt. Diese enthalten alle anfallenden Teilaufgaben und benennen die für die Durchführung verantwortlichen Einrichtungen. Evakuierungspläne enthalten meist Handlungsanweisungen zu folgenden Punkten: [BBK06]
- Festlegung des Evakuierungsgebietes
- Warnung und Information der Einwohnerinnen und Einwohner
- Transport der zu evakuierenden Bevölkerung
- Aufnahme der Evakuierten
- Sicherung und Kontrolle
- Unterbringung der Evakuierten
- Betreuung der Betroffenen
- Versorgung und Evakuierung von Tieren
- Rückführung von Evakuierten
- Öffentlichkeitsarbeit
- Organisation der eigenen Verwaltung
Es werden in den Handlungsanweisungen die Aufnahmegebiete und -objekte festgelegt. Evakuierungen werden von Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen begleitet, die gemeinsam mit der Polizei geplant werden müssen. Ist eine Rückführung von Betroffenen über einen längeren Zeitraum nicht möglich, müssen sie in (Not-)Unterkünften untergebracht werden, die zuvor entsprechend eingerichtet werden müssen [BBK06, S. 19]. Für die Durchführung der Evakuierungsmaßnahmen ist Personal erforderlich. Die Verwaltung ist organisatorisch lagebezogen umzustellen [BBK06, S. 20].
In Deutschland treten Evakuierungen, die überregional Beachtung finden, oft in Zusammenhang mit Bombenfunden auf. So sorgte die Entschärfung einer Fliegermine aus dem Zweiten Weltkrieg in Frankfurt am Main im Jahr 2017 für eine der größten Evakuierungen der Nachkriegszeit. Dabei mussten rund 65.000 Anwohnerinnen und Anwohner im Umkreis von 1,5 Kilometern ihre Wohnungen verlassen [ZEON17].
Der Hurrikan Katrina, der im Jahr 2005 die Golfküste der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) traf, war eines der verheerendsten Sturmereignisse der jüngeren Vergangenheit. Insbesondere in New Orleans im US-Bundesstaat Louisiana waren die Auswirkungen des Hurrikans und der anschließenden Überschwemmung immens [MURE15]. Die Behörden gerieten in der Folge des Ereignisses stark in die Kritik. Ihnen wurde eine zu späte Reaktion vorgeworfen, wodurch sich Evakuierungen und Hilfsleistungen verzögert hätten [Fran09]. In Louisiana wurden etwa 1,5 Millionen Menschen evakuiert, bevor der Hurrikan auf das Festland traf. Allerdings verblieben auch zwischen 150.000 und 200.000 Menschen im vom Hurrikan betroffenen Gebiet. Während manche sich bewusst dafür entschieden, fehlte es anderen an Möglichkeiten, das Katastrophengebiet rechtzeitig zu verlassen [IHRM07]. In New Orleans mussten Tausende Betroffene tagelange ohne Notversorgung im Kongresszentrum (New Orleans Morial Convention Center) ausharren. Das Football-Stadion (Caesars Superdome), das auch zunächst als Notunterkunft dienen sollte, musste später geräumt werden. Es konnte keine Versorgung mehr gewährleistet werden und Schäden am Stadion führten dazu, dass es sich um keinen sicheren Ort mehr handelte [NEOR15].
Das individuelle Verhalten privater Haushalte während einer Evakuierungssituation und damit der Ablauf der Evakuierung werden von vielen Faktoren beeinflusst. Einerseits zählen hierzu Art des Ereignisses, Vorlaufzeit und Informationslage. Andererseits spielen persönliche Eigenschaften eine Rolle, beispielsweise die Haushaltszusammensetzung oder ob bereits Erfahrungen mit Evakuierungssituationen gemacht wurden.
Eine Untersuchung zu Evakuierungsverhalten nach einer Überschwemmung [LiPi19] definiert fünf Entscheidungsschritte bezüglich einer Selbstevakuierung: Zunächst muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob man sich evakuieren möchte. Anschließend müssen die Abfahrtszeit, das Ziel der Evakuierung, das Verkehrsmittel, mit dem die Evakuierung durchgeführt werden soll und die vorgesehenen Routen bestimmt werden. Auf der Ebene der Routenwahl, die in dieser Studie Untersuchungsschwerpunkt war, sind Straßentyp, Routenlänge und wahrgenommene Nutzbarkeit entscheidend. Neben persönlichen Eigenschaften haben die Gefahrenerkennung und die Kommunikation von Warnhinweisen dabei Einfluss auf das Evakuierungsverhalten.
Eine andere Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Haushaltszusammensetzung eine große Rolle für das individuelle Evakuierungsverhalten spielt. Personen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, verlassen in Evakuierungssituationen häufig nicht direkt das betroffene Gebiet. Sie versammeln sich zunächst mit ihren Haushaltsangehörigen, um anschließend gemeinsam die Evakuierung vorzunehmen. Dies ist insbesondere bei Haushalten mit Kindern zu beobachten [GoSh20].
Einige Studien untersuchten spezielle Bevölkerungsgruppen. Bezogen auf die Personengruppe ohne Zugang zu einem privaten Fahrzeug [SaUk14] konnte beobachtet werden, dass Frauen seltener Evakuierungsbusse und alleinstehende Personen seltener Taxen nutzten als andere Personengruppen. Haushalte mit hohem Einkommen verwendeten oft Taxen zur Evakuierung. Haushalte, in denen Personen über 65 Jahre wohnten, verließen häufig gemeinsam mit anderen Haushalten das Gebiet. Evakuierungen besonders anfälliger Personen [NgDi15], zum Beispiel chronisch Kranker, finden überproportional häufig tagsüber statt und frühzeitiger als beim Durchschnitt der Haushalte.