Begriffe und Konzepte zur Resilienz
Erstellt am: 25.11.2021 | Stand des Wissens: 17.01.2023
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Ein Verkehrssystem ist dann resilient, wenn es gegenüber Extremereignissen unempfindlich ist oder sich von den Folgen schnell wieder erholt. Zur Beschreibung und Untersuchung von Resilienz spielen weitere Begriffe eine Rolle, insbesondere die Begriffe Extremereignis und Vulnerabilität.
Extremereignisse sind Vorkommnisse, die aufgrund ihres Ausmaßes besonders hervorstechen und daher selten sind. Eine einheitliche Definition des Begriffs existiert nicht. Oft hängt eine verwendete Definition vom Untersuchungskontext ab, beispielsweise von der räumlichen Auflösung der Daten. Eine Möglichkeit, Ereignisse als extrem zu klassifizieren, besteht in der Definition von Schwellenwerten [ZAMG11a]. So werden beispielsweise Tage, an denen die maximale Lufttemperatur über dem Schwellenwert von 30 Grad Celsius liegt, oft als heiße Tage und damit als extrem definiert. Der Weltklimarat (IPCC) definiert ein Wetterereignis als extrem, wenn es sich nicht innerhalb der mittleren 10 bis 90 Prozent der laut Wahrscheinlichkeitsverteilung auftretenden Ausprägungen befindet [IPCC07c]. Eine solche Definition ist hauptsächlich dann hilfreich, wenn Ereignisse betrachtet werden, bei denen sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige Ausprägungen problematisch sein können, beispielsweise bei Niederschlagshöhen.
Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses wird auf einen Zeitraum bezogen angegeben. Umgekehrt kann sie als wahrscheinliche Wiederkehrperiode oder Jährlichkeit ausgedrückt werden [OCCC03]. Beispielsweise spricht man bei einem Hochwasserereignis, das statistisch betrachtet bisher nur alle 100 Jahre zu erwarten war, von einer Wiederkehrperiode oder Jährlichkeit von 100 Jahren (sogenanntes Jahrhunderthochwasser). Extreme Naturkatastrophen treten sehr selten auf, können jedoch sehr große Schäden anrichten. Zudem besteht große Unsicherheit bezüglich der Häufigkeit, des Ausmaßes und der räumlichen Ausbreitung. [DKKV11]
Extremereignisse haben häufig einen natürlichen Ursprung, zum Beispiel Naturereignisse oder Pandemien, sie können aber auch auf technisches beziehungsweise menschliches Versagen zurückgeführt werden. Darüber hinaus sind gezielt ausgeführte Taten (Terrorismus, Cyberattacken oder Krieg) zu nennen.
In einer weit verbreiteten Definition beschreibt der dem Lateinischen entlehnte Begriff der Vulnerabilität (lateinisch: vulnus = Wunde, vulnerare = verwunden), wie verletzlich eine Person, ein Lebensraum (wie zum Beispiel eine Stadt) oder ein System (wie zum Beispiel ein Verkehrssystem) gegenüber Störungen von außen ist. Vulnerabilität kann daher mit Verletzlichkeit oder Anfälligkeit übersetzt werden. Die Anfälligkeit hängt von technischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Faktoren ab [CEDIM20]. Um sie zu beschreiben werden weitere Begriffe verwendet, nämlich Exposition, Sensitivität, Anpassungsfähigkeit und Kritikalität. Exposition beschreibt, ob und wie stark ein System von einem Extremereignis getroffen werden kann; dies beinhaltet auch die (bedingte) Wahrscheinlichkeit, dass es getroffen wird. Zum Beispiel kann eine Brücke bei einer Flussüberflutung getroffen werden. Sensitivität beschreibt, wie empfindlich das System auf ein Ereignis reagiert. So kann eine Brücke im Fall einer Flut unbeschädigt bleiben, oder aber Schaden nehmen. Unter Anpassungsfähigkeit oder -kapazität versteht man die Fähigkeit eines Systems, mit den äußeren Einflüssen zurechtzukommen und damit einen gewissen Grad an Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Dies passt zu komplexeren Systemen, zum Beispiel zum Verkehrssystem einer ganzen Stadt mit ihrer Organisation. Wenn im Fall einer Flut durch Schutz- und organisatorische Maßnahmen wie Umleitungen der Verkehr im Wesentlichen aufrechterhalten werden kann, dann hat er eine hohe Anpassungskapazität. Die Kritikalität beschreibt, wie wichtig die Funktionsfähigkeit eines bestimmten (Teil-)Systems ist, und damit auch indirekt, wie schwerwiegend Schäden zu bewerten sind. Wenn beim Ausfall einer Brücke ganze Stadtteile für längere Zeit abgeschnitten wären, so hat diese Brücke eine hohe Kritikalität.
Extremereignisse können großflächig und längerfristig für Probleme sorgen. Das räumliche und zeitliche Ausmaß von Ereignissen und deren Auswirkungen variiert sehr stark. So waren Auswirkungen der COVID-19-Pandemie weltweit und über Monate zu beobachten, während zum Beispiel Hagelereignisse meist nur sehr kleinräumig und kurzzeitig auftreten, Auswirkungen von Hagelereignissen jedoch auch langanhaltend sein können. Die Folgen sind auch von Vorhersagbarkeit und Vorlaufzeit des Ereignisses abhängig. Bezüglich der Vorhersagbarkeit reicht die Bandbreite von relativ spontan auftretenden Ereignissen wie Hagel oder Stürmen bis zu langfristig vorhersehbaren Veränderungen, die das Potenzial für Extremereignisse beeinflussen. Ein Beispiel wäre die Entwicklung der durchschnittlichen jährlichen Temperaturen und Niederschlagsmengen in der nahen und fernen Zukunft. Darüber hinaus ist die Vorlaufzeit sehr bedeutend für das Schadensausmaß, da sie die Vorwarnzeit betrifft. Auch hier reicht die Bandbreite von fehlenden oder sehr kurzen Vorlaufzeiten, zum Beispiel bei Stromausfällen, bis zu sich langfristig abzeichnenden Auswirkungen, beispielsweise Folgen des Klimawandels.
Der Begriff der Resilienz (Lateinisch für Widerstandsfähigkeit), der in verschiedenen Disziplinen Anwendung findet, beschreibt bezogen auf den Verkehr die Fähigkeit eines Verkehrssystems, mit äußeren Störungen umgehen zu können und nach einem Leistungsverlust wieder die ursprüngliche Leistungsfähigkeit zu erlangen. Unter Resilienzkreislauf versteht man einen iterativen Prozess im Umgang mit Störungen, mit dem Ziel, zunächst die Effekte eines Ereignisses auf das betrachtete System gering zu halten und dann im Nachgang aus den Erfahrungen zu lernen, um beim nächsten Ereignis (noch) besser vorbereitet zu sein.