Resilienz durch kompakte städtische Strukturen
Erstellt am: 15.11.2021 | Stand des Wissens: 18.12.2024
Synthesebericht gehört zu:
Das Leitbild der resilienten Stadt ist eng mit der Idee der kompakten, dezentralisierten Raumentwicklung verbunden. Die "Stadt der kurzen Wege", in Paris etwa als "ville du quart d'heure" (15-Minuten-Stadt) gedacht [Eise21], zeichnet sich durch die effiziente Durchmischung von Versorgungseinrichtungen, Arbeitsplätzen, Wohngebieten und Grünräumen aus. Die Versorgungwege sind kurz, die Nahversorgungsmöglichkeiten vielfältig. Anhand dieses kompakten Stadtbildes lassen sich Kriterien nachzeichnen, die grundlegend für die Erreichung resilienter Strukturen sind [Grei18, S. 2067]:
Diversität: Eine gut durchmischte Siedlungsstruktur verkürzt Alltags- und Transportwege und trägt durch ein visuell abwechslungsreiches Stadtbild zur Aufenthaltsqualität bei. Dies macht aktive Mobilitätsformen wie Rad- und Fußverkehr attraktiver und fördert die Mobilität, bei gleichzeitiger Reduktion des Verkehrsaufkommens. Dezentralisierung vermeidet eine hohe Konzentration von Infrastrukturen und verringert deren Anfälligkeit. Zusätzlich fördert der Wechsel zwischen Gebäuden, Infrastruktur und Grünräumen durch Schattenwurf, Vegetation und Frischluftschneisen ein positives Stadtklima.
Effizienz: Die Verkürzung von Alltags- und Transportwegen ermöglicht zunehmende Unabhängigkeit von fossilen Verkehrsträgern. Gleichzeitig kann dem ÖPNV Vorrang gegenüber dem motorisierten Individualverkehr (MIV) eingeräumt werden. Beides vermeidet den übermäßigen Einsatz von Ressourcen und verringert lokale CO2-Emissionen.
Exposition: Durch die Umsetzung kompakter Siedlungsstrukturen lässt sich die Exposition der Siedlungsflächen gegenüber Extremereignissen und Klimaveränderungen reduzieren. Grünräume, die aktiv mitgeplant werden, bieten Sickerflächen zur Entlastung der versiegelten Straßenräume.
Redundanz: Obwohl vielerorts bereits im Sinne der kompakten Siedlungsentwicklung gedacht wird, sind Infrastrukturen wie Verkehrswege oder Versorgungsleitungen häufig gebündelt. Dies erhöht deren Anfälligkeit. Alternative Versorgungswege und redundante Wegenetze minimieren die Auswirkungen von Extremereignissen, indem nur einzelne Systemteile zeitweise ausfallen und die Systemkapazität schnellstmöglich wiederhergestellt werden kann.
Um verkehrsträgerunabhängige und damit resiliente Mobilität zu fördern, müssen Verkehrswege so angelegt sein, dass sie vielfältig und mehrere von ihnen parallel genutzt werden können. Noch immer ist die Großzahl der Straßen in und außerhalb von Städten auf die vorrangige Nutzung durch den MIV ausgelegt - was nicht zuletzt auch auf dessen Bevorzugung in der Straßenverkehrsordnung zurückzuführen ist: Straßenbegleitende Fahrradinfrastruktur wird in der StVO noch immer als "Beschränkung" oder "Verbot" des fließenden Verkehrs geführt und deren Einrichtung muss ausdrücklich von einer entsprechenden rechtlichen Behandlung ausgenommen werden. [StVO §45 Abs. 9] Dabei wird mit der Anlage von attraktiver Rad- und Fußinfrastruktur nicht nur die Kapazität des Straßennetzes erhöht, indem der Verkehr kleinteiliger wird, sondern auch die Mobilität derjenigen gewährleistet, die durch körperliche Einschränkungen oder ihre finanzielle Situation von der MIV-Nutzung ausgeschlossen sind. Eine inklusive Infrastruktur ermöglicht außerdem die individuelle Wahl unterschiedlicher Verkehrsträger und damit die Anpassung an klimatische, soziale oder infrastrukturelle Krisensituationen. Das (temporäre) Ausweichen auf aktive Mobilitätsformen bietet Entlastung für betroffene Infrastrukturen; das Freihalten von Hauptrouten für die Grundversorgung ermöglicht es außerdem, die Versorgung im Krisenfall aufrecht zu erhalten und sie flexibel und individuell zu gestalten.
Die COVID-19-Pandemie im Sommer 2020 hat gezeigt, wie schnell sich das gesellschaftliche Mobilitätsverhalten an veränderte Verhältnisse anpasst: Flächendeckende Homeoffice-Regelungen resultierten in leereren Straßen, der Wegfall von Pendelstrecken verkürzte die Alltagswege. Das allgemein wachsende Bewusstsein für die eigene Gesundheit förderte den Wunsch nach aktiver Mobilität - kurze Alltagsstrecken wurden häufiger per Rad oder zu Fuß zurückgelegt, die Verkaufszahlen von Fahrrädern, E-Bikes und Lastenrädern stiegen deutlich [ZIV20a]. Der zunehmende Bedarf an Fahrradinfrastruktur veranlasste viele große Städte (Berlin, Paris, Mailand, Innsbruck [HERE21]) zur Umgestaltung einzelner Pkw-Fahrspuren zu Pop-up-Radwegen. Auf diese Weise kann sich durch kurz-, mittel- oder langfristige Anpassung der gebauten Infrastruktur auf Extremereignisse und ihre Auswirkungen vorbereitet und auf ihre Folgen reagiert werden. Gleichzeitig erleichtern es temporäre Lösungen auch über den akuten Ereigniszeitraum hinaus, nachhaltige Verkehrsinfrastrukturen zu implementieren. Dies sichert und fördert zum einen die kontinuierliche Entwicklung in Richtung einer resilienten Stadt, zum anderen begegnen die Kommunen damit den Bedarfen ihrer Bürgerinnen und Bürger.