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Ursachen des fehlenden intramodalen Wettbewerbs im Schienenpersonenverkehr

Erstellt am: 29.07.2021 | Stand des Wissens: 29.07.2021
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Im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist es jederzeit möglich, dass Wettbewerber auch ohne Subventionen in den Markt eintreten und andere Angebote als die subventionierten Verkehre oder sogar direkte Konkurrenzangebote zu den subventionierten Verkehren anbieten. Das hat jedoch bisher nicht stattgefunden. Die Ursachen sollte man sich kurz vor Augen führen, da sie auch in Hinblick auf die Wettbewerbsaussichten für den Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) im Kontext eines zukünftigen Deutschland-Taktes von Interesse sein können.
Im SPNV gibt es nur wenige Relationen, die aufkommensstark genug sind, um eigenwirtschaftliche, also unsubventionierte Verkehre zu ermöglichen. Das ist ja der Grund für die Subventionierung des Nahverkehrs. Aber einige Relationen zwischen großen Städten könnten durchaus eigenwirtschaftlich angeboten werden, wie zum Beispiel die Verbindung Hamburg - Lübeck.
Im SPNV sind folgende Ursachen für die Abwesenheit von freiem Wettbewerb zu den subventionierten Verkehren zu nennen. Der Hauptgrund ist die dichte Marktabdeckung durch die subventionierten Verkehre. Diese sind zeitlich und räumlich eng geplant, so dass für potenzielle Wettbewerber weder eine ausreichende Residual-Gesamtnachfrage noch attraktive Nischen für sich unterscheidende Angebote verbleiben. Hinzu kommen Infrastrukturengpässe in einigen größeren regionalen Knoten aufgrund der dichten subventionierten Verkehre, die zusammen mit dem Fern- und Güterverkehr auf dem Netz wenig Platz für Wettbewerber lassen. Die Angebotsdichte zieht auch eine hohe Netzbildungsfähigkeit der subventionierten Verkehre nach sich. Diese ermöglicht Umsteigeverkehre mit Durchtarifierung, in welche ein Wettbewerber nur schwer eindringen kann. Sodann ist der preisliche Wettbewerbsvorteil der subventionierten Verkehre zu nennen. Zwar ist davon auszugehen, dass ein Teil der Subventionen in Ineffizienzen versickert, denn trotz Ausschreibungswettbewerbs werden die Produktionskosten der bestellten Verkehre im Vergleich zu rein wettbewerblichen Angeboten überhöht sein und die Vorgaben der Aufgabenträger werden mitunter eine effiziente Gestaltung behindern. Doch trotz dieser Abzüge reichen die Subventionen aus, um die Fahrpreise so niedrig zu halten, dass ein freier Wettbewerber nicht konkurrieren kann.
Im SPFV sind die Ursachen für den geringen intramodalen Wettbewerb vielfältig. Grundsätzlich gibt es im Fernverkehr aufgrund der dort stattfindenden Nachfrageverdichtung deutlich mehr Verbindungen, die eigenwirtschaftlich betrieben werden können. Weil jedoch aus diesem Grunde Verkehre im SPFV nicht subventioniert werden, gibt es hier im Gegensatz zum SPNV keinen Ausschreibungswettbewerb um lukrative, sichere und langlaufende Verkehrsverträge mit der öffentlichen Hand. Diese Art des Markteintritts ist somit im SPFV nicht möglich. Damit entfällt allerdings im Gegensatz zum SPNV auch der Konkurrenzdruck durch subventionierte Verkehre, so dass man ein stärker wettbewerblich geprägtes Bild im eigenwirtschaftlichen SPFV erwarten könnte.
Diese Erwartung wird auch durch die Erfahrungen im Schienengüterverkehr (SGV) gestärkt. Der SGV ist aufgrund der starken intermodalen Konkurrenz durch den Lkw und angesichts seiner technologischen Rückständigkeit ein schwieriger Markt, der nur geringe Margen erlaubt. Aber gerade dort hat sich der intramodale Wettbewerb auf der Schiene besonders gut entwickelt, so dass die Wettbewerber zusammengenommen inzwischen die DB Cargo AG überflügeln. [BNA20] Das schwierige Umfeld hat bei dem öffentlichen Unternehmen DB Cargo AG zu besonders großen Problemen und Verlusten geführt, so dass sich die DB Cargo AG tendenziell zurückzieht, indem sie das Marktwachstum an sich vorbeiziehen lässt, wobei sich Potenziale für die intramodalen Wettbewerber eröffnen.
Im Gegensatz dazu gilt der SPFV und insbesondere der Hochgeschwindigkeitsverkehr in der öffentlichen Wahrnehmung als das Flaggschiff der Deutschen Bahn AG, aus dem sie sich keineswegs zurückzieht. Die DB Fernverkehr AG betreibt ein flächendeckendes, engmaschiges und dicht getaktetes sowie qualitativ hochwertiges Angebot von Fernverkehrsverbindungen. Dabei ist sie auch (noch) profitabel, im Gegensatz zur stark defizitären DB Cargo AG. Durch Öffentlichkeit, Bundes- und Landespolitik wird sie gedrängt, ihr Angebot weiter auszubauen und qualitativ zu verbessern [Bund18, S.79], so dass sie ihr Angebot selbst dann kaum einschränken würde, wenn die Profitabilität mal sinkt. Damit gibt es auch im SPFV ähnlich wie im SPNV durch die Aktivitäten der Aufgabenträger eine dichte Marktabdeckung durch die Aktivitäten der DB Fernverkehr AG, die durch Einflussnahmen der Politik noch gestärkt wird, so dass sich nur wenige Spielräume für den Markteintritt von Wettbewerbern eröffnen.
Die dichte Marktabdeckung im Fernverkehr wird noch verstärkt durch das Engagement der Aufgabenträger des SPNV bei Verbindungen zwischen Großstädten, die weiter als 50 Kilometer entfernt sind und eigentlich dem SPFV zuzurechnen wären.
Die Dichte des Angebots der DB Fernverkehr AG zieht eine hohe Netzbildungsfähigkeit nach sich, die sich in einer Vielzahl von Umsteigeverkehren mit Durchtarifierung äußert. Wenn einzelne Relationen für sich genommen unprofitabel werden, können sie trotzdem im Netzzusammenhang profitabel bleiben. Dies erzeugt auch aus rein eigenwirtschaftlichen Gründen eine Steifigkeit des Angebots der DB Fernverkehr AG, die sich für potenzielle Wettbewerber als Markteintrittsbarriere auswirkt. [HeMi97] Im Gegensatz zum SGV (bei dem aufgrund der technologischen Rückständigkeit die Netzbildungsfähigkeit schwerst behindert ist) können die Wettbewerber nicht darauf hoffen, dass sich die DB Fernverkehr AG zurückziehen wird, wenn sie ihr Angebot im SPFV ausweiten.
Hinzu kommt im SPFV die klassischen Markteintrittsbarrieren hoher Investitionskosten und schwieriger Investitionsbedingungen. Hochgeschwindigkeitszüge sind sehr teuer. Auch für einfachere Fahrzeuge, die für langsamere Geschwindigkeiten ausgelegt sind, gibt es nur wenige Hersteller, und deren Produktionskapazitäten sind begrenzt. Das Investitionsrisiko wird durch die Fragmentierung des weltweiten Eisenbahnmarktes deutlich erhöht: Asiatisches Zugmaterial ist in Europa nicht zugelassen, und europäisches Zugmaterial findet nur wenige Abnehmer innerhalb oder außerhalb Europas. Dadurch sind Investitionen in Zugmaterial des SPFV recht spezifisch und großenteils versunken, wenn sich die Verkehrsangebote einmal als unprofitabel erweisen sollten. Diese Kombination aus hohen Investitionskosten und hohem Wiederverwendungsrisiko der Transportgefäße unterscheidet den SPFV deutlich von den meisten anderen Verkehrsmärkten (SPNV, SGV, Busverkehr, Luftverkehr, Schifffahrt).
Hinzu kommen Diskriminierungspotenziale aufgrund der vertikalen Integration von DB Netz AG und DB Fernverkehr AG innerhalb des DB Konzerns. Wie bereits vorherige Wettbewerber, kritisiert die FlixMobility GmbH die enge Beziehung der DB Netz AG und der DB Fernverkehr AG und sieht sich in der Trassenvergabe benachteiligt. [Schl18] Neben der Trassenvergabe kann die DB Netz AG auch im Störfall- und Baustellenmanagement sowie in der Netzinvestitionsstrategie das hauseigene Verkehrsunternehmen bevorzugen. [BNA17] [Hami06]
Hinzu kommt die Wirkung des intermodalen Wettbewerbs. Im öffentlichen Personenfernverkehr ist der Druck des intermodalen Wettbewerbs wesentlich geringer als im Güterverkehr, und die DB Fernverkehr AG reagiert, indem sie ihr Angebot ausdehnt und verbessert, nicht etwa sich tendenziell zurückzieht wie die DB Cargo AG. Dadurch wird es für Konkurrenten im SPFV noch schwieriger. Der Rückzug des InterConnex, einem langjährigen Konkurrenten der DB Fernverkehr AG auf der Relation Leipzig Berlin Rostock im Jahr 2014 wurde mit der Öffnung der Fernbuskonkurrenz begründet. [Spie14] [BT18b, S.5]
Die vielen Widrigkeiten für intramodalen Wettbewerb verweisen potenzielle Markteinsteiger, die Personenfernverkehr anbieten wollen, in erster Linie auf intermodale Optionen. Nach der Öffnung des Fernbusmarktes konnten Neueinsteiger die Deutsche Bahn AG in kurzer Zeit aus dem Fernbusmarkt, wo sie ebenfalls tätig war, verdrängen. Die Konzentration innerhalb des Fernbusmarktes ist durch Übernahmen entstanden, die obwohl volkswirtschaftlich bedenklich sich unterhalb der Eingriffsschwelle des Kartellrechts vollzogen. Der inzwischen dominante Anbieter FlixBus stieg aber dann mit Gründung der Sparte FlixTrain auch in den SPFV ein, indem er Einzelverbindungen früherer Wettbewerber (Locomore, HKX) weiterführt, die von diesen nicht mehr aufrechterhalten werden konnten. Es kann vermutet werden, dass im SPFV noch weitere Einzelverbindungen in Konkurrenz zur Deutschen Bahn AG angeboten werden könnten. Das italienische Unternehmen Italo zeigt, dass es trotz der widrigen Bedingungen sogar möglich ist, als Wettbewerber mit modernen Hochgeschwindigkeitszügen in den SPFV-Markt einzutreten und direkte Konkurrenz zum integrierten, staatlichen Marktführer zu etablieren.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Potenziale und Herausforderungen des Deutschland-Takts im Schienenpersonenfernverkehr (Stand des Wissens: 29.07.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?538968
Literatur
[BNA17] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Hrsg.) Bundesnetzagentur untersucht Baustellenmanagement der DB Netz AG, 2017
[BNA20] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Hrsg.) Marktuntersuchung Eisenbahnen 2020, 2020
[BT18b] Deutscher Bundestag (Hrsg.) Wettbewerb im Schienenpersonenfernverkehr, 2018
[Bund18] CDU, CSU, SPD Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
19. Legislaturperiode, Berlin, 2018/03/12
[Hami06] Hamilton, Booz Allen Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG "mit und ohne Netz", 2006
[HeMi97] Hendricks, Ken, Michelle, Piccione, Goufu, Tan Entry and Exit in Hub-Spoke Networks, veröffentlicht in RAND Journal of Economics, Ausgabe/Auflage 28 ( 2, 1997
[Schl18] Schlesinger, Christian Flixtrain zofft sich mit der Deutschen Bahn, 2018
[Spie14] SPIEGEL ONLINE GmbH (Hrsg.) Bahn-Konkurrent Veolia stellt Fernzug Interconnex ein, 2015/10/15
Glossar
Aufgabenträger
Aufgabenträger bestellen bei den Verkehrsunternehmen die im Rahmen der Daseinsvorsorge gewünschten Nahverkehrsleistungen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen dem Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und dem straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Im SPNV sind seit Bahnreform und ÖPNV-Regionalisierung im Jahr 1995/96 anstelle des Bundes die Länder für die Planung, Organisierung und Finanzierung verantwortlich. In einigen Ländern sind die Aufgabenträger für das gesamte Land zuständig, wie in Bayern, in anderen betreuen sie regional abgegrenzte Gebiete, wie in Nordrhein-Westfalen. Teilweise wird die Aufgabenträgerschaft den Verkehrsverbünden zugewiesen, wie in Hessen.
Die Aufgabenträgerfunktion für den straßengebundenen ÖPNV ist den Landkreisen oder kreisfreien Städten zugeordnet.
Schienengüterverkehr
Unter Schienengüterverkehr (SGV) wird der Transport von Gütern mit der Eisenbahn verstanden. Diese werden in Güterzügen unter Verwendung (spezieller) Güterwagen befördert. Diese Verkehre können entweder auf gesonderten Güterverkehrsstrecken oder im Mischverkehr, auf gemeinsam durch den Güter- und Personenverkehr genutzten Strecken, realisiert werden. Leistungen des Schienengüterverkehrs werden häufig als Teil einer Logistikkette in logistische Gesamtkonzepte eingebunden.
Lkw Lastkraftwagen (Lkw) sind Kraftfahrzeuge, die laut Richtlinie 1997/27/EG überwiegend oder sogar ausschließlich für die Beförderung von Gütern und Waren bestimmt sind. Oftmals handelt es sich dabei um Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 und 12 Tonnen. In Einzelfällen kann die zulässige Gesamtmasse diese Werte jedoch auch unter- beziehungsweise überschreiten, sofern das Kriterium der Güterbeförderung gegeben ist. Lastkraftwagen können auch einen Anhänger ziehen.
Hochgeschwindigkeitsverkehr Als Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) werden Zugfahrten von Trieb[wagen]zügen (sog. Hochgeschwindigkeitszüge) bzw. dafür geeigneten lokbespannten Zügen mit mehr als 200 km/h Spitzengeschwindigkeit auf extra dafür [um]gebauten HGV-Strecken bezeichnet.
Schienenpersonennahverkehr
Gemäß Regionalisierungsgesetz (RegG) § 2 handelt es sich bei einer auf der Schiene erbrachten Beförderungsdienstleistung um ein Angebot des Nahverkehrs, "wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle [...] die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt" [RegG, § 2]. Zur Erfüllung der Daseinsvorsorge wird der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) von den Ländern bestellt und unterstützt. Der SPNV ist eine Sonderform des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Der ÖPNV ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert, der SPNV zusätzlich noch im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG).
Schienenpersonenfernverkehr
Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist die Beförderung von Reisenden mit Eisenbahnzügen über längere Strecken mit mehr als einer Stunde Fahrzeit oder 50 km Entfernung. Im Gegenzug zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bzw. dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird der SPFV eigenwirtschaftlich betrieben und muss sich betriebsökonomisch selbst tragen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?538929

Gedruckt am Samstag, 20. April 2024 06:05:59