Herausforderungen für einen integralen Taktfahrplan in Deutschland
Erstellt am: 29.07.2021 | Stand des Wissens: 29.07.2021
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Die Randbedingungen für einen deutschlandweiten integralen Taktfahrplan (ITF) im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) unterscheiden sich deutlich von denen der Schweiz sowie denen in den deutschen Bundesländern, die für ihren Nahverkehr bereits einen ITF umgesetzt haben.
Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Größe der durch den Fahrplan abzudeckenden Fläche, die in Deutschland circa neunmal größer ist als in der Schweiz. Eine größere Fläche führt bezogen auf einen ITF tendenziell zu einer höheren Anzahl an zu integrierenden Knoten, was die Gestaltung eines flächendeckenden Taktfahrplans verkompliziert. Dieser Effekt wird durch die im Vergleich zur Schweiz flächig verteilte Bevölkerungsstruktur in Deutschland verstärkt, welche ein stärker vermaschtes Eisenbahnnetz erfordert. Die Landesgröße führt in Verbindung mit der verteilten Bevölkerungsstruktur zu vergleichsweise hohen Reiseweiten, die mit dem SPFV zurückgelegt werden müssen. Ein ITF nach Schweizer Vorbild ist bei langen Strecken kaum realisierbar, weil sich die Fahrt für durchfahrende Fahrgäste durch die gestiegenen Haltezeiten in den Knoten inakzeptabel verlängern würde. Dies wäre vor allem deshalb problematisch, weil der deutsche SPFV anders als in der Schweiz und in den Bundesländern mit dem Flugverkehr konkurriert, der deutlich attraktivere Reisezeiten bieten kann. Der durch die Konkurrenz mit dem Flugverkehr gestiegene Geschwindigkeitsanspruch für den SPFV führt außerdem zu einer größeren Geschwindigkeitsdifferenz zwischen SPFV und Güterverkehr. Die daraus resultierende Notwendigkeit für Überholungen auf den im Mischverkehr betriebenen Strecken ist eine weitere Herausforderung für einen deutschlandweiten ITF. [BMVI15x, S.9f]
Da ein idealer ITF sehr empfindlich auf die Verspätung einzelner Züge reagiert, ist auch die aktuelle Unpünktlichkeit vieler Verbindungen im SPFV ein Problem. Hier lässt sich jedoch argumentieren, dass die regelmäßigen Abläufe eines ITF dazu beitragen können, die Verlässlichkeit des Systems zu verbessern. Außerdem können technologische Innovationen wie der digitale Signalstandard ETCS in Zukunft zu einer verbesserten Pünktlichkeit der Züge im deutschen SPFV führen.
Darüber hinaus bestehen auf zahlreichen Kanten und Knoten infrastrukturelle Engpässe, die sich nur durch kostenintensive Ausbaumaßnahmen oder Abweichungen vom idealen ITF beheben lassen. Hierzu gehört etwa die Schnellstrecke Mannheim Stuttgart, die sich mit einer Fahrzeit von 36 Minuten nicht in einen Stundentakt integrieren lässt. In einigen wichtigen Knotenbahnhöfen wie dem Hamburger und Kölner Hauptbahnhof bestehen bereits heute große Kapazitätsengpässe. Nach dem aktuellen Stand der Infrastruktur ist dort kein gleichzeitiges Ein- und Ausfahren aller Züge realisierbar. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 enthält deshalb ausgehend von den im Deutschland-Takt-Gutachten entwickelten Zielfahrplänen umfangreiche Ausbaumaßnahmen für Kanten und Knoten. [BMVI20y] Darüber hinaus wurden für problematische Bahnhöfe Konzepte für die Integration als angenäherte Knoten mit mehreren Taktzeiten entwickelt. [BMVI15x, S.9]