Aktuelle Tarifmaßnahmen als Finanzierungsinstrument des ÖPNV
Erstellt am: 30.03.2021 | Stand des Wissens: 06.12.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
TU Dresden, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, Prof. Dr.-Ing. R. König
Das Potenzial des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Hinblick auf die Klima- und Verkehrswende ist erheblich. Busse und Bahnen ersetzen täglich rund 20 Millionen Autofahrten [Int21]. Die Gewinnung neuer ÖPNV-Fahrgäste für die Erreichung der Klima- und Umweltziele spielt daher eine zentrale Rolle. Jedoch stehen regelmäßig hohe Fahrpreise und zu komplizierte Tarife im Mittelpunkt der (berechtigten) Kritik der Fahrgäste [Funk20].
Diese Probleme werden oft durch den hohen Kostendruck verursacht, weil bisher die Tarifmaßnahmen mit dem Ziel der Fahrgeldeinnahmenmaximierung geführt wurden. Der Anteil der Nutzerfinanzierung hat sich wegen überproportional gestiegener Fahrpreise in den letzten Jahren deutlich erhöht. Inzwischen ist die Zahlungsbereitschaft für die ÖPNV-Nutzung bei den meisten Kundengruppen weitgehend ausgeschöpft [Somm21].
Um die Zugangshemmnisse für die potenziellen ÖPNV-Nutzer abzubauen und gleichzeitig die Kundenbindung der bisherigen Stammfahrgäste zu fördern, werden verstärkt folgende Maßnahmen diskutiert und getestet:
- Nulltarif (kostenfreier Nahverkehr)
- 365-Euro-Ticket
- Vereinfachung des Tarifsystems
- Solidarmodelle
Die bisherigen internationalen Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass nicht der Fahrpreis das entscheidende Kriterium zum Umstieg auf den öffentlichen Verkehr ist, sondern Art und Umfang des Angebots [Civ19]. Deswegen sind eine bundesweite Einführung von 365-Euro-Jahrestickets oder Tickets zum sogenannten Nulltarif nicht zu empfehlen. Vielmehr wäre es sinnvoll, die aufgestockte ÖPNV-Finanzierung zunächst in den Ausbau und in die Grunderneuerung der Systeme, in neue Angebote und mehr Kapazitäten zu investieren [VDV21c].
Seit dem 1. Juni 2022 galt das 9-Euro-Ticket. Deutschlandweit konnten dann für monatlich neun Euro alle Busse und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr genutzt werden. Das Angebot galt für die Kalendermonate Juni, Juli und August [BReg22]. Nach dem Erfolg des 9-Euro-Tickets bereitet man eine Nachfolgelösung vor - Deutschlandticket für 49 Euro.
Ein weiterer überproportionaler Anstieg der Fahrpreise wie in den letzten Jahren sollte jedoch vermieden werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zum MIV beizubehalten und zu verbessern. Eine Vereinfachung der ÖPNV-Tarife wäre als Abbau der Zugangshemmnisse zur Neukundengewinnung ebenfalls wichtig, da ein übersichtlicher Tarif neue Fahrgäste besser erreicht. Mit einem einfacheren Tarif sinken auch die Kosten für Vertrieb, Verwaltung und Kundeninformation. Auch die Solidarmodelle wie zum Beispiel Gäste- oder Kombitickets können zu der Vereinfachung des Tarifsystems beitragen, weil diese von den Touristen oder Besuchern als Fahrschein ohne weitere detaillierte Tarifkenntnisse benutzt werden können.