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Status Quo und Herausforderungen der kommunalen Verkehrsinfrastrukturfinanzierung

Erstellt am: 07.01.2021 | Stand des Wissens: 07.01.2021
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Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch

Die kommunale Verkehrsinfrastruktur ist mit rund 430.000 Kilometer an Gemeindestraßen und dem öffentlichen Straßenpersonenverkehr (ÖSPV) mit einer Leistung von etwa 79 Milliarden Personenkilometern im Jahr ein Grundpfeiler der Mobilität in Deutschland. [BMVI19aq, S. 81, 101]
Trotz ihrer Bedeutung für das öffentliche Leben und die wirtschaftliche Aktivität kumulierten sich im Bereich der kommunalen Verkehrsinfrastruktur über Jahrzehnte Investitionsrückstände in Milliardenhöhe. Die sogenannte Daehre-Kommission hat die Investitionsrückstände auf Basis von Erhebungsbögen, welche an die Länder ausgereicht wurden, quantifiziert (die allerdings nicht von unabhängiger Quelle verifiziert wurden). Als Gesamtbedarf für den Erhalt und Betrieb der kommunalen Straßeninfrastruktur wurden jährlich fast 5 Milliarden Euro festgestellt. Im Vergleich zu den damals vorhandenen Mitteln ergab sich in diesem Bereich eine Unterfinanzierung von 950 Millionen Euro pro Jahr. [VIFG12a, S. 33ff] Hinzu kam ein laufendes Defizit im ÖSPV von circa 330 Millionen Euro. Diese laufenden Zahlen wurden von dem kumulierten Nachholbedarf weit übertroffen, welcher für die Straßeninfrastruktur circa 23 Milliarden Euro und für den ÖSPV circa 4 Milliarden Euro betrug.
Während diese Zahlen von 2012 hinsichtlich des laufenden Aufwandes von etwa 5,2 Milliarden Euro auch heute im Wesentlichen noch zutreffen werden, ist der kumulierte Nachholbedarf bis 2019 weiter angewachsen. Eine jährlich durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) durchgeführte Befragung der Kommunen erfasst deren wahrgenommene Investitionsrückstände und erlaubt eine Fortschreibung des kumulierten Nachholbedarfs. Für 2019 ergab die Erhebung einen Investitionsrückstand von 36 Milliarden Euro bei Straßen und der übrigen Verkehrsinfrastruktur. Damit machte der Sektor 26 Prozent des gesamten Investitionsrückstandes in den Kommunen aus, welcher sich unter Berücksichtigung weiterer Sektoren (wie Schulen und öffentlichen Verwaltungsgebäuden) auf Rückstände von 138,4 Milliarden Euro belief. [KfW19, S. 11]
Die Investitionsrückstände haben Spuren bei der Straßeninfrastruktur hinterlassen. Unübersehbar sind diese an Oberflächenschäden wie Schlaglöchern, Flickstellen oder Spurrinnen. Die Folge sind zum Beispiel Tempolimits aufgrund von Straßenschäden. Besonders stark ist auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) von der Unterfinanzierung betroffen. Oberleitungsschäden, Fahrzeugausfälle und Personalmangel führen zu Verspätungen und Ausfällen. [IFSA05, S.37]
Künftige Herausforderungen an die Infrastruktur, wie die Verkehrswende und der demographische Wandel, erhöhen den Investitionsbedarf zusätzlich. Allein die Umrüstung der Busflotte einer Großstadt mit 200.000 Einwohnern, zur Verbesserung der Luftreinheit, kostet bis zu 30 Millionen Euro. Die im Zusammenhang mit Fahrverboten diskutierte Gebührenbefreiung im ÖPNV würde die Kommunen mit bis zu 13 Milliarden Euro pro Jahr belasten. [KfW19, S. 8]
Für die Finanzierung der kommunalen Straßeninfrastruktur und des ÖSPV sind die Kommunen verantwortlich. [ADAC12, S.17] Deren Einnahmen haben bis etwa 2014 jedoch geringer zugenommen als ihre Ausgaben. Insbesondere neue Pflichtaufgaben im Sozialbereich haben diese Entwicklung getrieben. [BS2019, S.8] Eine steigende Zahl von Städten und Gemeinden geriet so in die Haushaltssicherung, und ihre gesamte Schuldenbelastung lag 2018 bei 131 Milliarden Euro [STAT18n]. Die ab 2020 auch für die Länder geltende Schuldenbremse könnte weitere Konsequenzen für die Finanzlage der Kommunen nach sich ziehen. [Schw19, S.60]
Als Reaktion auf die gestiegenen Anforderungen im kommunalen Verkehr wurden die Fördermaßnahmen auf Bundesebene seit 2019 erheblich ausgebaut. Insbesondere wurden die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz deutlich aufgestockt: Während sie früher 330 Millionen pro Jahr betrugen, steigen sie ab 2020 in Sprüngen bis auf 2 Milliarden jährlich ab 2025. Auch die Regionalisierungsmittel zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs wurden und werden bis 2031 deutlich angehoben. Hinzu kommen spezifische Sofortprogramme wie das Programm Saubere Luft 2017 - 2020. [BMVI19aq] Zudem steigt seit 2011 das Steueraufkommen in Deutschland beträchtlich, wovon die Kommunen sowohl mit ihren eigenen Steuereinnahmen als auch mit den Finanzzuweisungen, die sie von den Ländern erhalten, profitieren. Erst mit der Corona-Krise von 2020 kam dieses Wachstum zum Erliegen. Ausmaß und Auswirkungen dieser Krise sind noch nicht zu überblicken.
Ansprechpartner
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Kommunale Verkehrsinfrastruktur: Finanzierungsbedarf und -quellen und institutionelle Reformoptionen (Stand des Wissens: 07.01.2021)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?516030
Literatur
[ADAC12] Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e. V. (ADAC) (Hrsg.) Studie zur Mobilität - Kommunale Straßenfinanzierung, 2012
[BMVI19aq] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (Hrsg.) Verkehr in Zahlen, 2019
[BS2019] Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) Kommunaler Finanzreport 2019, 2019/01
[IFSA05] RWTH Aachen, Institut für Straßenwesen (Hrsg.) Zustand der kommunalen Straßeninfrastruktur, 2005/03
[KfW19] KfW (Hrsg.) KfW-Kommunalpanel 2019, 2019
[Schw19] Scharting, Gunnar Auswirkungen der Schuldenbremse auf den kommunalen Haushaltsausgleich, 2019/09
[STAT18n] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Pressemitteilung Nr. 510 , 2018/12/20
[VIFG12a] Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH (Hrsg.) Bericht der Kommission "Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung", 2012/12
Glossar
Personenkilometer
Die Einheit Personenkilometer [Pkm] beschreibt die im Rahmen einer Personenbeförderung erbrachte Verkehrsarbeit. Diese definiert sich als Produkt der Verkehrsmenge (Summe der beförderten Personen) und der von dieser dabei zurückgelegten Wegstrecke in km.
Verkehrsarbeit [Pkm] = Verkehrsmenge [P] * Wegstrecke [km]
Öffentlicher Personennahverkehr
Der öffentliche Personennahverkehr ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert. Laut Paragraf 8, Absatz 1 und 2 umfasst der ÖPNV "die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Obussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen". Taxen oder Mietwagen können dieses Angebot ersetzten, ergänzen oder verdichten.
Der Begriff ÖPNV bezieht sich in der Regel auf Strecken mit einer gesamten Reiseweite von weniger als 50 Kilometern oder einer gesamten Reisezeit von weniger als einer Stunde. Das in einer Stadt oder Region erforderliche Nahverkehrsangebot und dessen Eignung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird in einem Nahverkehrsplan definiert und festgehalten.
Verkehrswende
Mit der Verkehrswende in Deutschland wird das Ziel verfolgt, den Verkehrssektor bis spätestens 2050 klimaneutral zu gestalten. Dazu sollen die anfallenden Treibhausgasemissionen möglichst vollständig vermieden und verbleibende Restemissionen durch die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen werden. Die Verkehrswende lässt sich in zwei parallellaufende Entwicklungen gliedern: die Mobilitätswende und die Energiewende im Verkehr (auch Antriebswende genannt).
Schienenpersonennahverkehr
Gemäß Regionalisierungsgesetz (RegG) § 2 handelt es sich bei einer auf der Schiene erbrachten Beförderungsdienstleistung um ein Angebot des Nahverkehrs, "wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle [...] die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt" [RegG, § 2]. Zur Erfüllung der Daseinsvorsorge wird der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) von den Ländern bestellt und unterstützt. Der SPNV ist eine Sonderform des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Der ÖPNV ist juristisch im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) definiert, der SPNV zusätzlich noch im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG).
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
Das 1971 in Kraft getretene Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) regelt die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Gefördert werden verschiedene Baumaßnahmen von Bahnen (besonders Eisenbahnen, Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen), wobei diese dem öffentlichen Personennahverkehr dienen müssen. Voraussetzung für die Förderung ist vor allem ein Kosten-Nutzen-Faktor über 1,0 im Rahmen der Standardisierten Bewertung.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?516039

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 08:14:56