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Sicht der Anwender auf die autonome Schifffahrt

Erstellt am: 28.08.2020 | Stand des Wissens: 05.01.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Endkunden wie Reedereien oder Charterer entscheiden über die Akzeptanz der unbemannten oder autonomen Schifffahrt als Technologie. Kurz gesagt: Wenn die Technologie eine Lösung bietet, die kostengünstiger und ebenso zuverlässig, sicher und nachhaltig ist wie die derzeitigen Lösungen, wird es auf dem Transportmarkt eine Nachfrage nach dieser Technologie geben, die traditionelle Schiffe verdrängt. Der Business-Case wird von vielen Faktoren abhängen, die derzeit nicht quantifizierbar sind und je nach Schiffstyp, Größe und Betrieb unterschiedlich sein können. Nichtdestotrotz ist die Akzeptanz der unbemannten oder autonomen Schifffahrt in der maritimen Branche im Allgemeinen und bei Reedereien im Speziellen einer der wichtigsten Faktoren für die erfolgreiche Entwicklung und Einsatz autonomer oder ferngesteuerter Schiffe. [AAWA16]

Eine Umfrage im Rahmen des von der Europäischen Union (EU) geförderten Projektes MUNIN - Maritime Unmanned Navigation through Intelligence in Networks ergab im Jahr 2015, dass 97 Prozent der maritimen Experten glauben, die ersten autonomen Schiffe würden innerhalb der nächsten zehn Jahre eingeführt. 79 Prozent sind der Meinung, dass autonome Schiffe innerhalb der nächsten 11 bis 20 Jahre üblicherweise in der Handelsschifffahrt eingesetzt werden. Im Gegensatz dazu zeigte eine Umfrage unter Seeleuten im Jahr 2018 der Nautilus Federation, einer Interessenvereinigung von Gewerkschaften der Schifffahrtsindustrie, dass diese viel vorsichtiger sind, was den Zeitplan betrifft, innerhalb dessen autonome Schiffe von der Industrie eingesetzt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als 80 Prozent der Seeleute glauben, dass autonome oder ferngesteuerte Schiffe bis 2020 nicht in Dienst gestellt werden. Weniger als 40 Prozent der Seeleute sind der Ansicht, dass wirtschaftlich rentable unbemannte Schiffe in den nächsten 20 Jahren weit verbreitet sein werden. Eine beträchtliche Anzahl von Teilnehmern vermutet, dass problematische Themen wie rechtliche und regulatorische Hürden, Zuverlässigkeit von Ausrüstung und Systemen, Sicherheit und Kostenfaktoren zu einer sehr langsamen Einführung autonomer Schiffe führen werden [IMO18d].

Weiterhin hat die Umfrage gezeigt, dass Seeleute die Automatisierung auf See nicht gänzlich ablehnen, sondern dass sie sich eine Integration in bestehende Arbeitsvereinbarungen wünschen. Eine weitere zahlenmäßige Senkung der Besatzung oder der vollständige Ersatz von Seeleuten wird von ihnen als nicht nutzenstiftend wahrgenommen. Ihre Ansichten über die Technologie variieren somit danach, wie deren Nutzung geplant ist: Das Konzept völlig unbemannter ferngesteuerter Schiffe ruft den größten Widerstand hervor, während nur relativ wenige Seeleuten sich vollständig gegen die Automatisierung in irgendeiner Form aussprechen. [IMO18d]

Es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn die ungeklärten Fragen zur Regulation und Klassifikation entschieden wurden, sich für ein solches Projekt Geldgeber und Versicherer finden lassen. Dementsprechend ist die Frage, wer ein solches ferngesteuertes oder autonomes Schiff betreiben würde, deutlich relevanter. Viele Reedereien verhalten sich dem Thema der unbemannten, ferngesteuerten oder autonomen Schifffahrt gegenüber noch sehr abwartend, was aus dem Blickwinkel der klassischen Seeschifffahrt durchaus nachvollziehbar ist. Dies wird vor allem damit begründet, dass noch nicht abschließend geklärt wurde, in welchem Geschäftskonzept der Einsatz ferngesteuerter, unbemannter oder autonomer Schiffe sinnvoll möglich ist. Sobald ein solches, valides Konzept von Investoren in Zusammenarbeit mit Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung entwickelt wird, ist eine zeitnahe Realisierung vorstellbar. [Bruhn17]

Vorteile aus der Nutzung ferngesteuerter oder autonomer Schiffe ergeben sich für die Schiffeigentümer insbesondere durch die große Menge an Daten, die von diesen Schiffen gesendet werden. Diese Daten können von den Eigentümern dazu verwendet werden, die Steuerung ihrer Flotte zu optimieren und somit die Gewinne zu maximieren. So können sie durch umfangreiche Datenanalysen die beste Kombination von Routen, Ladung, Wartungsintervallen und Bunkerpreisen für die gesamte Flotte bestimmen. Weiterhin ist zu erwarten, dass die zunehmende Digitalisierung neue Dienstleistungskonzepte schaffen wird, wie effizientere Frachtbündelung und Kooperationen, Vermietung von Gütern, Online- Marktplätze für Frachtdienste und so weiter. Einige dieser Dienstleistungen werden bestehende Marktteilnehmer unterstützen, andere werden störend sein und anderen Marktteilnehmern den Markteintritt und die Übernahme von Marktanteilen ermöglichen. [AAWA16]
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Nutzen und Herausforderungen der autonomen Schifffahrt (Stand des Wissens: 05.01.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?512542
Literatur
[AAWA16] Advanced Autonomous Waterborne Applications (AAWA) Redefining Shipping (Hrsg.) Remote and Autonomous Ships - The next steps, 2016
[Bruhn17] Wilko Bruhn Maritime Wirtschaft - an der Schwelle zur autonomen Schifffahrt?, veröffentlicht in Schiff&Hafen, Ausgabe/Auflage Nr. 6, 2017/06, ISBN/ISSN ISSN: 0036-603X, 0938-1643, 436-8498
[IMO18d] International Maritime Organization Regulatory Scoping Exercise for the Use of Maritime Autonomous Surface Ships (MASS), 2018

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?512703

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 14:19:45