Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Nutzen und Herausforderungen der autonomen Schifffahrt

Erstellt am: 27.08.2020 | Stand des Wissens: 05.01.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Bereits seit den 1980iger Jahren werden Konzepte für unbemannte oder autonome Schiffe entwickelt. Die meisten (Teil-)Automatisierungsversuche vor 2010 konzentrierten sich jedoch auf Funktionen wie Anlagenüberwachung und vorausschauende Wartung und nicht auf die Vision eines unbemannten, autonom entscheidenden und agierenden Schiffes [Saar18]. Wie Abbildung 1 zeigt, wurde bereits in den 1980iger Jahren Forschung zu autonomer Schifffahrt betrieben. In den vergangenen 20 Jahren ist das Forschungsinteresse an autonomen oder unbemannten Schiffen deutlich angestiegen. Im Jahr 2022 wurden 1086 wissenschaftliche Beiträge in Form von Konferenzbeiträgen, Journalpublikationen oder Buchbeiträgen zum Forschungsthema autonome oder unbemannte Schiffe veröffentlicht. Die zahlreichen Veröffentlichungen und Ergebnisse werden in verschiedenen Forschungsdisziplinen, wie beispielsweise den Ingenieurswissenschaften, der Informatik und Mathematik, aber auch den Sozial- und Umweltwissenschaften erzielt.
uberblick wissenschaftliche veroffentlichungen.pngAbb. 1: Überblick über wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Themengebiet autonome oder unbemannte Schiffe (eigene Darstellung nach Scopus)
Obwohl es immer mehr kleine ferngesteuerte beziehungsweise autonome Schiffe gibt, die bereits seit 2017 für verschieden Zwecke in der Ozeanforschung zum Einsatz kommen, existieren bisher keine großen autonomen Schiffe im täglichen Betrieb [LR17]. Trotz großer technologischer Fortschritte beispielsweise in der Datenverarbeitung und Vernetzung sowie in den Betriebskonzepten autonomer Schiffe, bestehen bisher nur Feldversuche oder einzelne Bauprojekte für autonome Schiffe, aber keine regulär eingesetzten Lösungen. Dies liegt vor allem daran, dass sowohl durch ungelöste sicherheitstechnische Fragestellungen als auch im Bereich der rechtlichen Grundlagen noch Hindernisse für die Einführung der Autonomie in der Seefahrt bestehen. Jedoch zeichnet sich ab, dass sich autonome Schiffe in Zukunft stark hinsichtlich ihrer Bauart, etwa durch Einsparen der Besatzungsunterkünfte, und ihrem Einsatz unterscheiden werden. In Abbildung 2 ist die Entwicklung von heutigen Schiffen bis hin zu Schiffen der Zukunft, die sowohl unbemannt als auch intelligent operieren, dargestellt. Während dieser Entwicklung werden Mischformen zwischen unbemannten Schiffen, die ohne jegliche Besatzung an Bord auskommen, und automatisierte Schiffe, die sich durch einen hohen Grad von Automatisierung auszeichnen, entstehen. Beispiele dafür sind teilautonome Schiffe, die in küstenfernen Gewässern autonom betrieben werden, für komplexere Manöver in Häfen jedoch auf eine Fernsteuerung zurückgreifen [Leva17].
entwicklung schiffe der zukunft.pngAbb. 2: Entwicklung der heutigen Schiffe hin zu Schiffen der Zukunft (eigene Darstellung nach [Røds19])
Der Begriff autonom wird mit einem unterschiedlichen Verständnis hinsichtlich seiner Definition verwendet. Nach Waterborne, einer europäischen maritimen Interessenvertretung, wird ein autonomes Schiff als modulare Steuerungssystem- und Kommunikationstechnologie der nächsten Generation beschrieben, welche drahtlose Überwachungs- und Steuerungsfunktionen an Bord sowie an Land ermöglichen. Dazu gehören fortschrittliche Systeme zur Entscheidungsunterstützung, die es ermöglichen, Schiffe unter halb- oder vollautomatischer Kontrolle aus der Ferne zu betreiben [MUNIN16].
In der Literatur existieren verschiedene Abstufungen von Autonomie, welche grundsätzlich festlegen, in welchem Rahmen Schiffe fähig sind selbstständig zu agieren. Häufig orientieren sich diese Definitionen, wie etwa die der Klassifikationsgesellschaften Lloyds Register oder Bureau Veritas, an den fünf Leveln der Autonomie aus der Fahrzeugtechnik [Twom16, BV18]. Eine Untergliederung hinsichtlich verschiedener Autonomiegrade, die von der International Maritime Organization (IMO) definiert wurde und somit in Tests und Regelwerke der IMO mit einfließen wird, ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
autonomiegrade nach IMO 2.pngAbb. 3: Definition der Autonomiegrade für Schiffe nach der IMO (eigene Darstellung nach [IMO20])
Auf Grad eins der Autonomisierung befinden sich Schiffe, die über teilweise automatisierte Prozesse verfügen. Es sind Seeleute an Bord, um die Systeme und Funktionen an Bord zu bedienen und zu kontrollieren. Einige Vorgänge können automatisiert und manchmal unbeaufsichtigt sein, wie der schon heute übliche unbemannte Maschinenraum. Bei diesem Autonomiegrad sind jedoch Seeleute immer bereit, die Kontrolle zu übernehmen. Bei Grad zwei wird das Schiff von einem anderen Ort, beispielsweise einem Kontrollzent-rum an der Küste, ferngesteuert. Hierbei stehen weiterhin Seeleute an Bord zur Verfügung, um die Kontrolle übernehmen zu können und die Systeme und Funktionen an Bord zu bedienen. Das Schiff ist also ferngesteuert und bemannt. Ob hierbei eine verringerte Anzahl von Besatzungsmitgliedern ausreichend ist, lässt die IMO in ihrer Definition offen. Der dritte Autonomiegrad definiert ein unbemanntes, ferngesteuertes Schiff. Das Schiff wird von einem anderen Ort aus gesteuert und bedient. Es befindet sich in diesem Fall keine Besatzung an Bord, die in das Geschehen eingreifen könnte. Bei Autonomiegrad vier handelt es sich um ein vollständig autonomes Schiff. Das Betriebssystem des Schiffes ist in der Lage, selbst Entscheidungen zu treffen und Aktionen zu bestimmen. Das Schiff ist weder ferngesteuert, noch bemannt. Schiffe in Grad eins bis drei sind also automatisierte Schiffe, die ab Grad zwei zusätzlich ferngesteuert sind und ab Grad drei auch unbemannt sind. Autonome Schiffe sind laut IMO nur Schiffe, die in der Lage sind eigenständig Entscheidungen zu fällen und zu agieren [IMO20]. In Medien und Literatur werden die zuvor definierten Begriffe häufig nicht klar voneinander abgegrenzt und der Begriff autonom für automatisierte, ferngesteuerte, unbemannte oder autonome Schiffe synonym verwendet. Die Definitionen aus Abbildung 3 werden in den einzelnen Syntheseberichten dieser Wissenslandkarte verwendet.

Treiber für die Entwicklung der Autonomie in der Seefahrt sind unter anderem die geringe Verfügbarkeit von Fachpersonal im maritimen Sektor sowie die Beschleunigung vieler Prozesse bei gleichzeitig wachsendem Kostendruck. Sie führen dazu, dass der Bedarf an alternativen Systemlösungen wächst [SCAS19]. Weiterhin wird in Zukunft eine Reduzierung der Kohlenstoffdioxid- und Schadstoffemissionen und damit des Kraftstoffverbrauchs immer mehr in den Vordergrund treten.

Diese Wissenslandkarte gibt den aktuellen Stand der Forschung zu verschiedenen Aspekten der autonomen Schifffahrt wieder und diskutiert den Nutzen und die Herausforderungen der neuen Technik. Der Ast Beweggründe für autonome Schifffahrt stellt die treibenden Aspekte der autonomen Schifffahrt vor. In einem weiteren Ast wird auf die verschiedenen Interessensgruppen der autonomen Schifffahrt eingegangen. Im Ast Problemfelder und Stand der Umsetzung wird die autonome Schifffahrt in Hinblick auf die Sicherheit, den Arbeitsmarkt und die rechtliche Situation betrachtet. Die Auswirkungen der Problemfelder werden in einem weiteren Ast auf unterschiedliche Schiffstypen bezogen, untersucht. Im Ast Lösungsansätze sind verschiedene Ansätze zur Umsetzung der autonomen Schifffahrt beschrieben.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Nutzen und Herausforderungen der autonomen Schifffahrt (Stand des Wissens: 05.01.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?512542
Literatur
[BV18] Bureau Veritas (Hrsg.) Autonomous ships, 2018/08/17
[IMO20] International Maritime Organization (Hrsg.) Autonomous shipping, 2020
[Leva17] Oskar Levander Autonomous ships on the high seas, veröffentlicht in IEEE Spectrum, Ausgabe/Auflage Volume 54, Issue 2, IEEE , 2017/01/31
[LR17] Lloyd's Register (Hrsg.) Global Marine Technology Trends 2030, 2017, ISBN/ISSN ISBN 978-0-9933720-0-1 (print) 978-0-9933720-1-8 (pdf)
[MUNIN16] MUNIN (Hrsg.) The Autonomous Ship, 2016
[Røds19] Ørnulf Jan Rødseth Why autonomous ships? Autonomous, unmanned and smart ships, 2019/02/22
[Saar18] Jouni Saarni, Sini Nordberg-Davies, Antti Saurama Outlook on the transition towards autonomous shipping, 2018, ISBN/ISSN ISBN 978-952-249-513-6 ISSN 2342-4796
[SCAS19] Innovationsnetzwerk SCAS (Hrsg.) Systeme und Komponenten für Autonome Schiffe, 2019
[Twom16] Bernhard Twomey, Tania Berry Cyber-enabled ships. ShipRight procedure - autonomous ships, Ausgabe/Auflage First edition, Southampton, UK, 2016/06

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?512573

Gedruckt am Donnerstag, 25. April 2024 15:25:06