Gesundheitliche Aspekte des Pendelns
Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 15.01.2025
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Als Berufspendler*in gelten laut Statistischem Bundesamt "alle Erwerbstätigen, die ihre außerhalb der eigenen Wohnung bzw. außerhalb des eigenen Grundstücks gelegene Arbeitsstätte vom Hauptwohnsitz aus erreichen" [BDHN04, S. 92]. Parallel hierzu gibt es auch Bildungspendler, die entsprechenden Wege zu ihrer jeweiligen Ausbildungsstätte zurücklegen (Schule, Berufsschule, Hochschule). Der Zeitaufwand kann dabei sehr unterschiedlich sein. Abbildung 1 gibt einen Überblick für beide Pendlergruppen und zeigt außerdem Informationen zum Modal Split.
![Abb. 1: Zeitaufwand und hauptsächlich genutztes Verkehrsmittel von Berufs- und Bildungspendler in Deutschland 2016 (eigene Darstellung, Quelle der Daten [Eintrag-Id:587359, Eintrag-Id:587360] ) Berufs- und Bildungspendler.png](/servlet/is/507187/Berufs-%20und%20Bildungspendler.png)
Sowohl die Werte für sich genommen als auch im Vergleich zwischen den Gruppen und über die Jahre sind im Kontext von sozialen Aspekten der Mobilität deswegen interessant, weil die Aktivität des Pendelns einen wichtigen Faktor für sowohl psychisches Wohlbefinden als auch die körperliche Gesundheit darstellt. Relevant hierfür sind das Maß an körperlicher Bewegung, gesundheitswirksame Umweltfaktoren und Stresserlebnisse.
In einer breiter angelegten Studie zeigten Hansson et al. [HMBO11], dass sowohl die Länge des Pendelwegs (in Minuten) als auch das genutzte Verkehrsmittel mit verschiedenen Gesundheitseffekten in Verbindung stehen. Zum Vergleich wurden jeweils die Gesundheitsrisiken für diejenigen verwendet, die den Weg zur Arbeit nicht- motorisiert zurücklegten. Sozioökonomische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Familiensituation oder Stress bei der Arbeit wurden hierbei berücksichtigt. Selbst wenn deren Wirkung herausgerechnet wurde, zeigte sich, dass besonders Autofahrten zwischen 30 und 60 Minuten und ÖV-Wege von 30 bis über 60 Minuten Dauer signifikant mit einem höheren Risiko für folgende Gesundheitseffekte in Verbindung standen: verminderte Schlafqualität, geringe Vitalität, schlechter allgemeiner Gesundheitszustand (subjektive Bewertung) und mehr als fünf Krankheitstage pro Jahr. Diese Ergebnisse wurden mit Daten der südschwedischen Region Schonen erzielt, die Autoren sehen jedoch eine Übertragbarkeit auf andere westeuropäische Zusammenhänge. Sie geben allerdings zu bedenken, dass das Auftreten von Verkehrsstaus, die Nutzungsqualität des ÖV-Systems und die Luftbelastung mit Schadstoffen eine wichtige Rolle spielen und hier von Region zu Region große Unterschiede auftreten können. [HMBO11]
Häfner et al. [HAKK01] zeigten in einer Literaturanalyse bereits zu Beginn des Jahrtausends, dass Berufspendler im Vergleich zu nicht Pendelnden häufiger über gesundheitliche Probleme berichten (Kopf-, Rücken und Gelenkschmerzen sowie Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und des Verdauungsapparats). Besonders betroffen waren dabei Fernpendler und pendelnde Arbeitnehmer im Schichtdienst. Gottholmseder et al. [GNPT09] stellten fest, dass für Pendelnde in Österreich die Länge des Arbeitsweges (in Minuten) und die Vorhersehbarkeit (und somit Planbarkeit) dieser Dauer in direktem Zusammenhang mit dem empfundenen Stress standen. Diese Ergebnisse wurden auch von einer nordamerikanischen Studie bestätigt [HAKB2013]. In allen drei Studien waren die negativen Effekte bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern. Keine der genannten Untersuchungen berücksichtigte das Pendeln zu Ausbildungszwecken.
Alle Autoren sind sich einig, dass die negativen gesundheitlichen Effekte des Pendelns und die damit verbundenen Kosten zu wenig Berücksichtigung in der Bewertung der Mobilität von Berufstätigen finden. Dies gelte sowohl für privatwirtschaftliche Betrachtungen als auch für z.B. Kosten-Nutzen Untersuchungen für Investitionen in verschiedene Verkehrsträger, die (auch) eine verbesserte Pendelmobilität zum Ziel haben. Zudem trägt auch die Verkehrsmittelwahl im Pendlerverkehr jeweils mehr oder weniger zu negativen Effekten des Verkehrs wie Luftverschmutzung, Lärm, Flächenverbrauch, Unfällen und Emissionen von klimaschädlichen Gasen bei [UBA018a], was bei entsprechenden Planungen und Maßnahmen berücksichtigt werden sollte. Zu arbeitgeberseitigen Maßnahmen gehören die Flexibilisierung der Arbeitszeiten (Vermeidung von Hauptverkehrszeiten, Teilzeitarbeit) und Möglichkeiten zur Telearbeit sowie ein integriertes betriebliches Mobilitätsmanagement, das sowohl Effizienzgewinne für Betriebe als auch gesünderes, kostengünstigeres und zeitsparenderes Pendeln für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Ziel hat [BAUM18]. In der Verkehrs- und Raumplanung können die Stärkung des Umweltverbundes (attraktivere Angebote für Fuß- und Radverkehr; häufige, schnelle sowie möglichst zuverlässige und umsteigearme ÖV-Verbindungen) und ein vermehrter Fokus auf Nutzungsmischung die Notwendigkeit für das Pendeln reduzieren und die gesundheitswirksamen Aspekte der Pendelerfahrung verbessern helfen. Es wird interessant sein zu beobachten, ob die Veränderungen im Pendelverhalten, die sich für manche Berufsgruppen durch vermehrte Heimarbeit im Nachgang der Coronapandemie abzeichnen, messbare gesundheitswirksame Effekte entfalten.