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Soziale Aspekte der Verkehrslärmbelastung

Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 10.11.2023
Synthesebericht gehört zu:

Aus der Perspektive der Umweltgerechtigkeit (UG) wird die Frage gestellt, ob Lärm als ein gesundheitsrelevanter Umweltstressor sozialräumlich ungerecht verteilt ist, ob also bestimmte Bevölkerungsgruppen überproportional stärker belastet sind als andere.
Lärm ist ein subjektives Phänomen, das sich aus dem Empfinden bzw. der Bewertung von Schallerlebnissen ergibt. Die Maßeinheit Dezibel (dB(A)) beschreibt Schalldruckpegel gewichtet mit Bezug auf das menschliche Gehör, wobei 0 dB(A) als die Untergrenze der Wahrnehmbarkeit definiert ist und circa 120 dB(A) als die Schmerzschwelle. Ab circa 150 dB(A) können auch schon bei einmaliger Einwirkung Hörschäden entstehen [BZGA06]. Besonders, wenn sie dauerhaft und nachts auftritt, was bei betroffenen Wohnstandorten häufig der Fall ist, kann Verkehrslärmbelastung aber zusätzlich zu Belästigung auch schon ab etwa 45 dB(A) gesundheitliche Schäden verursachen. Dazu gehören Herz-Kreislauferkrankungen, ein erhöhtes Depressionsrisiko (besonders für Frauen), chronische Schlafstörungen sowie vermehrte Arzneimitteleinnahme [BAWO04; BAWO06; GRGR10; KOBO11].
In Erfüllung der Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union (Richtlinie 2002/49/EG) werden in Deutschland seit 2007 in Fünfjahresabständen Lärmkarten für die Schallquellen Straßenverkehr, Schienenverkehr, Luftverkehr und Industrie- und Gewerbe erstellt. Dafür ist die Lärmbelastung anhand der beiden Indizes LDEN und LNight jeweils in 5dB(A) Schritten darzustellen (LDEN : >55 bis >75dB(A); LNight: > 45 bis >70). Im Zuge der strategischen Lärmkartierung müssen die zuständigen Behörden auch die Anzahl der jeweils an ihrem Wohnort von unterschiedlichen Schalldruckpegeln betroffenen Personen benennen. Eine Gesamtübersicht für Deutschland findet sich in Abbildung 1 (Stand 2017 - die alle 5 Jahre erhobenen Daten aus 2022 sind aktuell noch nicht verfügbar).
Belastung der Bevoelkerung durch Verkehrslaerm 2020.pngAbb. 1: Belastung der Bevölkerung durch Verkehrslärm nach Umgebungslärmrichtlinie in der Umgebung von Hauptverkehrsstraßen, Haupteisenbahnstrecken, Großflughäfen und in Ballungsräumen [UBA18f]
Aus einer Erhebung für das Umweltbundesamt (UBA) geht hervor, dass in bei annähernd 100 Prozent von 1774 Meldungen der Länder zur Lärmaktionsplanung (Stichtag 30.11.2020) Straßenverkehrslärm als die Hauptlärmquelle benannt wurde [Hein21]. Dieselbe Studie kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass aufgrund der geltenden Vorschriften für die Lärmkartierung diese nur einen geringen Anteil der Menschen erfasst, die sich laut repräsentativer Umfragen des Umweltbundesamts (UBA) [RuFr20] in 2018 durch Lärm aus dem Straßenverkehr mindestens "etwas belästigt" gefühlt haben. Gleiches gilt für Schienen- und Luftverkehr.
Zudem geben diese Statistiken keine Auskunft darüber, wie die Lärmbelastung innerhalb der Bevölkerung verteilt ist. Diesbezüglich haben jedoch verschiedene UG-Studien in Deutschland eine sozialräumliche Ungleichverteilung nachgewiesen. Dabei hat die Forschung lange mit subjektiven Sekundärdaten aus Befragungen gearbeitet, in denen die Befragten z.B. Auskunft zur Verkehrsbelastung ihres Wohnorts, zu ihrer Lärmbelastung und zu ihrem gesundheitlichen Wohlbefinden geben sollten (vgl. Literaturschau von [BOKO08] sowie [BUKA09]). Es wurden unter anderem Zusammenhänge von niedrigen Haushaltseinkommen und Migrationshintergrund mit höherer Lärmbelastung festgestellt. Diese Ergebnisse wurden auch durch eine Primärstudie von Köckler et al. [KKKK08] in Kassel bestätigt, die subjektive und objektive Belastungsindikatoren miteinander kombiniert hat (Wahrnehmung von Umweltbelastungen, Messungen von Schallimmissionen). Auch für Hamburg [GAFF11] und Berlin [BETH15] wurden sozialräumliche Ungleichheiten bei der Verkehrslärmbelastung anhand objektiver Indikatoren den für strategischen Lärmkarten modellierten Schallimmissionen nachgewiesen.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Soziale Dimension von Mobilität und Verkehr (Stand des Wissens: 24.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?507232
Literatur
[BAWO04] Babisch, Wolfgang Die NaRoMI-Studie. Auswertung, Bewertung und vertiefende Analysen zum Verkehrslärm, veröffentlicht in Chronischer Lärm als Risikofaktor für den Myokardinfarkt. Ergebnisse der NaRoMI-Studie. (WaBoLu-Hefte / UBA, ISSN 0175-4211, 02/04), I-1 bis I-59, Berlin, 2004
[BAWO06] Babisch, Wolfgang Transportation Noise and Cardiovascular Risk. Review and Synthesis of Epidemiological Studies Dose-effect Curve and Risk Estimation, veröffentlicht in WaBoLu-Hefte / UBA, Ausgabe/Auflage 01/06, Dessau-Roßlau, 2006
[BETH15] Becker, Thilo Sozialräumliche Verteilung von verkehrsbedingtem Lärm und Luftschadstoffen am Beispiel von Berlin, TU Dresden, Dresden, 2015
[BOKO08] Bolte, Gabriele, Kohlhuber, Martina Untersuchungen zur Ökologischen Gerechtigkeit: Explorative Vorbereitungsstudie. Teilprojekt A: Systematische Zusammenstellung der Datenlage in Deutschland, veröffentlicht in Umweltforschungsplan, Ausgabe/Auflage 3707 17 102/01, Dessau-Roßlau, 2008
[BUKA09] Bunge, Christiane, Katzschner, Antje Umwelt, Gesundheit und soziale Lage. Studien zur sozialen Ungleichheit gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen in Deutschland, veröffentlicht in Umwelt & Gesundheit, Ausgabe/Auflage 2, Dessau-Roßlau, 2009
[BZGA06] Ahrens, Manuel, Landsberg-Becher, Wolfgang , Maslon, Eveline Zu viel für die Ohren? Vom schützenden Umgang mit Lärm, Köln, 2006
[GAFF11] Gaffron, Philine Umweltgerechtigkeit im Stadtverkehr. Status quo der Empirie in Deutschland und weiterführende Analysen, veröffentlicht in Umweltgerechtigkeit II. Themenheft (UMID - Umwelt & Mensch Informationsdienst), Ausgabe/Auflage 2/2011, Berlin, 2011
[GRGR10] Greiser, Eberhard, Greiser, Claudia Risikofaktor nächtlicher Fluglärm. Abschlussbericht über eine Fall-Kontroll-Studie, veröffentlicht in Schriftenreihe Umwelt & Gesundheit, Ausgabe/Auflage 01/2010, Dessau-Roßlau, 2010
[Hein21] Heinrichs, Eckhart; , Kumsteller, Falk; , Gurok, Sofia; , Rath, Sibylle; , Hauschulz, Roland Lärmbilanz 2020. Analyse der Lärmminderungsplanung in Deutschland, 2021/10
[KKKK08] Köckler, Heike, Katzschner, Lutz, Kupski, Sebastian, Katzschner, Antje, Petz, Anika Umweltbezogene Gerechtigkeit und Immissionsbelastungen am Beispiel der Stadt Kassel, veröffentlicht in CESR-PAPER 1, kassel university press GmbH, Kasse, 2008, ISBN/ISSN 978-3-89958-379-3
[KOBO11] Kohlhuber, M., Bolte, G. Einfluss von Umweltlärm auf Schlafqualität und Schlafstörungen und Auswirkungen auf die Gesundheit, veröffentlicht in Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschut, Ausgabe/Auflage 54 (12), 2011, Online-Referenz doi:10.1007/s00103-011-1370-6
[RuFr20] Rubik, Frieder Gesundheitliche Belastungen durch Umweltverschmutzung und Lärm. Ergebnisse der Umweltbewusstseinsstudien., 2020
[UBA18f] Umweltbundesamt (Hrsg.) Belastung der Bevölkerung durch Umgebungslärm, 2018/08/10
Glossar
dB(A) Messgröße des A-bewerteten Schalldruckpegels zur Bestimmung von Geräuschpegeln. Die dB-Skala ist logarithmisch aufgebaut, d. h. eine Verdoppelung der Lärmintensität führt zu einer Erhöhung um 3 dB. Das menschliche Ohr empfindet eine Erhöhung um 10 dB als Verdoppelung der Lautstärke. Hierzu ist eine Schallintensitätsverzehnfachung erforderlich. Der Zusatz "(A)" gibt an, dass dem betreffenden Messergebnis die standardisierte A-Berwertungskurve zugrunde liegt. Sie berücksichtigt einen nichtlinearen frequenz- und pegelabhängigen Zusammenhang zwischen subjektiv wahrgenommenem Läutstärkepegel und vorliegendem Schalldruckpegel. So empfindet das menschliche Gehör bspw. mittlere Frequenzen im Vergleich zu niedrigen Frequenzgängen als wesentlich lauter, weshalb die Einheit dB(A) entsprechende Tonhöhen stärker gewichtet. Ein gesundes Ohr kann bereits einen Schalldruck von 0 dB (A) wahrnehmen (Hörschwelle), bei Werten über 120 dB (A) wird die Geräuschbelastung unerträglich laut (Schmerzgrenze). Eine Langzeiteinwirkung von über 85 dB(A) zieht u. U. dauerhafte Gehörschäden nach sich.
UBA Umweltbundesamt

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?507170

Gedruckt am Freitag, 19. April 2024 07:50:09