Umweltgerechtigkeit als Perspektive auf Belastungen durch Verkehrsemissionen
Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 14.01.2025
Synthesebericht gehört zu:
Das Konzept der Umweltgerechtigkeit (UG) beschäftigt sich hauptsächlich mit den Zusammenhängen zwischen sozialer Lage und der Belastung durch Umweltfaktoren. Da es dabei um die Auswirkungen auf die Gesundheit als auch auf das Wohlbefinden geht, wird generell auch der Zugang zu Umweltressourcen als ein Aspekt von UG-Fragestellungen betrachtet.
In den USA ist die Perspektive der Umweltgerechtigkeit (bzw. die Forderung nach environmental justice) in den 1970er Jahren aus der dortigen Bürgerrechtsbewegung der 1960er erwachsen. Dabei ging es ursprünglich um die überproportionale Belastung der Lebensräume ethnischer Minderheiten durch zum Beispiel Mülldeponien oder Chemiefabriken und um die sich daraus ergebenden Gesundheitsschäden wie ein erhöhtes Vorkommen von Krebserkrankungen. [SZME97]
Zusätzlich zu einer lokalen oder regionalen Perspektive gehört zudem die globale Ungleichverteilung von Ursachen und Folgen des Klimawandels in den Themenbereich UG. So haben die Deutschen mit Emissionen von 10,3 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Kopf und Jahr (Stand 2024) einen überproportional hohen Anteil an den Ursachen des Klimawandels [UBA24i], von dessen Folgen sie gleichzeitig aber deutlich unterproportional betroffen sind [UBA23q]. Schon im Jahr 2009 empfahl der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU) ein weltweites Ziel von durchschnittlich 2,7 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr [WBGU09a], doch in Deutschland betragen diese Emissionen allein aus dem Verkehrssektor aktuell bereits ca. 2,1 Tonnen (Stand 2024; [UBA24i]). Der Verkehrssektor hat seine Emissionen im Vergleich zu 1990 nur um 10,9 % und damit deutlich weniger als andere Bereiche reduziert (Stand 2024; [UBA24j]).
In Deutschland werden UG-Fragen zwar auch schon seit mehreren Jahrzehnten immer wieder untersucht [SBBH04], das Thema Umweltgerechtigkeit erfährt aber erst etwa seit der Jahrtausendwende steigende Aufmerksamkeit und ist als konzeptioneller Ansatz noch längst nicht allgemein bekannt [BRSL15]. Eine Studie für das Umweltbundesamt zur "Umweltgerechtigkeit im städtischen Raum" definiert das Konzept als ein normatives Leitbild, das entweder die Vermeidung oder den Abbau der sozialräumlichen Konzentration von gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen zum Ziel hat und zusätzlich die Gewährleistung eines sozialräumlich gerechten Zugangs zu Umweltressourcen fordert [BRSL15]. Dieser Definition ist zu entnehmen, dass es eher um eine prozessbezogene Perspektive als um eine normative Zielgröße geht. Es ist wesentlich leichter, festzustellen, ob Umweltungerechtigkeit zu beobachten ist und wie diese vermindert werden kann, als festzulegen, wann genau eine Umweltgerechtigkeit als Ziel erreicht sein würde.
Hinzu kommt, dass Umweltgerechtigkeit ein mehrdimensionales Konzept ist. Es beinhaltet [CAGW03, MASC08a]:
Hinzu kommt, dass Umweltgerechtigkeit ein mehrdimensionales Konzept ist. Es beinhaltet [CAGW03, MASC08a]:
- Verteilungsgerechtigkeit: gleiche Betroffenheit durch Umweltbelastungen (z.B. Lärm oder Schadstoffe) bzw. gleichen Zugang zu Umweltressourcen (z.B. saubere Luft oder Naherholungsflächen) für sozioökonomisch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen;
- Verfahrensgerechtigkeit: Gleichbehandlung und gleichberechtigte Einbindung von Beteiligten und Betroffenen in Entscheidungen über umweltrelevante Maßnahmen sowie
- Vorsorgegerechtigkeit: gleichberechtigte Verteilung von Umweltbelastungen und Umweltressourcen in der Zeit (eine z.T. intergenerationelle Dimension, die sich mit klassischen Nachhaltigkeitszielen überschneidet; siehe Sb Generationengerechtigkeit) [CAGW03; MASC08a].
Im Bereich Verkehr und Mobilität beleuchtet die UG-Perspektive in Deutschland hauptsächlich die sozialräumliche Verteilung von Belastungen durch Lärm und Luftschadstoffe in Bezug auf Wohnstandorte [BruBöh24]. Umweltgerechtigkeit ist jedoch auch ein Teilaspekt von Verkehrssicherheit (Verteilung von Unfallrisiken; siehe Sb Unfälle) und ist bei Entscheidungsprozessen zum (Aus)Bau von Verkehrsinfrastruktur relevant.
Die Studie "Umweltgerechtigkeit im städtischen Raum" von 2015 [BRSL15] enthält Empfehlungen für deutsche Kommunen, wie sozial ungleich verteilte Umweltbelastungen erfasst werden können und mit welchen Strategien und Maßnahmen man ihnen begegnen kann. Dabei werden die Belastungen durch Straßenverkehrslärm, Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) als Basisindikatoren empfohlen. In verdichteten Räumen ist Verkehr nicht nur der Hauptverursacher von Lärm, sondern auch Hauptquelle von PM10 und NO2. Er ist dadurch auch einer der Hauptfaktoren, die bei der Frage nach Umweltgerechtigkeit berücksichtigt werden müssen. Berlin ist bislang die einzige deutsche Stadt, die mit dem Umweltatlas ein umfassendes Programm zur Erfassung sozialräumlicher Verteilung von Umweltfaktoren umgesetzt hat [BRSL15].