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Gesellschaftliche Veränderungen im Mobilitätsverhalten

Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 10.11.2023
Synthesebericht gehört zu:

Mobilitätsverhalten und der Verkehr, der daraus entsteht, sind immer auch Abbild der Gesellschaft in der sie stattfinden. Sozioökonomische Faktoren wie Kaufkraft, Energiepreise und Altersstruktur wie auch die Strukturen des Arbeitsmarkts und der Flächennutzung haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie, womit und wie oft Menschen Wege zurücklegen. Gleichzeitig beeinflussen Mobilitätsoptionen und -kosten solche Faktoren wie Siedlungsstruktur oder auch die Erwartungen an die Mobilität von Erwerbstätigen. Immaterielle Faktoren wie soziopolitische Werte und Einstellungen spielen ebenfalls eine Rolle.
In Deutschland herrscht mit 583 Pkw pro 1000 Einwohnern ein hoher Motorisierungsgrad (Rang 8 der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Stand 2022), der zudem in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Der Anstieg der Pkw-Dichte betrug von 2012 bis 2022 9 % [Dest23h]. Außerdem hatten laut der Studie Mobilität in Deutschland 2017 87 Prozent aller über 17-jährigen einen Führerschein [INFA18]. Dieser Wert liegt insgesamt etwas niedriger als in Vorgängerstudien, wobei vor allem unter 30-jährige weniger oft über eine Autofahrerlaubnis verfügen als früher, wohingegen die über 65-jährigen inzwischen häufiger im Besitz eines Führerscheins sind [Eurostat]. Letzteres Phänomen erklärt sich über den Kohorteneffekt, da die Jahrgänge, in denen es auch für Frauen üblich wurde, möglichst bald nach Erreichen der Volljährigkeit auch einen Führerschein zu besitzen, älter werden, der Führerschein aber in den wenigsten Fällen im Alter abgegeben wird [OEL06]. Andererseits fördern die Digitalisierung inklusive der dadurch leichter verfügbaren Mobilitätsoptionen wie Bikesharing (auch in Kombination mit öffentlichem Personenverkehr) zusammen mit anderen Faktoren bei jüngeren Menschen ein Mobilitätsverhalten, das weniger am privaten Pkw ausgerichtet ist.
Generell geht man derzeit davon aus, dass die Gesellschaft in Deutschland insgesamt schrumpfen wird und gleichzeitig ältere Menschen einen höheren Anteil an der Gesamtbevölkerung haben werden [Stat15g]. Diese Gruppe wird durch bessere Gesundheit im Alter verbunden mit einer höheren Lebenserwartung zunehmend mobil sein. Kognitive und körperliche Fähigkeiten nehmen dennoch gleichzeitig ab, was das (sichere) Führen eines Autos mit der Zeit schwieriger macht - auch deshalb erscheint eine generelle Stärkung des Umweltverbundes sinnvoll [Rud12].
Die Einschätzungen der zukünftigen Rolle von autonomen Fahrzeugen im Personenverkehr sind derzeit uneinheitlich. Gerade Szenarien für einen Mischverkehr von personengesteuerten und autonom gelenkten Fahrzeugen sind aus verschiedenen Gründen problematisch (vergleiche Sb Spezielle Herausforderungen für die Zuverlässigkeit des automatisierten Verkehrs). Zudem ist einerseits denkbar, dass die entsprechenden Technologien die Flexibilität der Angebote im öffentlichen Verkehr stärken (gerade in dünn besiedelten Gebieten und zu Tagesrandzeiten) und auch jenen eine Auto-Mobilität ermöglichen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht (mehr) über eine eigene Fahrerlaubnis verfügen. Andererseits könnte eine breite Verfügbarkeit individueller autonomer Mobilität dem öffentlichen Verkehr Konkurrenz machen, da sie dessen Vorteile wie das nicht (mehr) benötigte eigene Auto, wegfallende Parkplatzsuche und Zeit für Aktivitäten wie Lesen oder Arbeiten mit erhöhter physischer Privatsphäre und einer Unabhängigkeit von Fahrplänen und Haltestellen verbindet.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Prof. Dr.-Ing. H. Flämig
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Soziale Dimension von Mobilität und Verkehr (Stand des Wissens: 24.06.2022)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?507232
Literatur
[Dest23h] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Pkw-Dichte im Jahr 2022 erneut auf Rekordhoch, 2023/09/05
[Eurostat] Eurostat Personenkraftwagen je 1000 Einwohner , 2019/05/13
[INFA18] infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH Mobilität in Deutschland 2017. Kurzreport. Verkehrsaufkommen - Struktur - Trends, Bonn, 2018
[OEL06] Oelze, Sven; , Wauer, Sebastian; , Schwarzlose, Ilka; , Bracher, Tilman; , Eichmann, Volker; , Ludwig, Udo Szenarien der Mobilitätsentwicklung unter Berücksichtigung von Siedlungsstrukturen bis 2050. Forschungsvorhaben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unter der FE-Nr. 070.757/20, 2006
[Rud12] Rudinger, Georg; , Haverkamp, Nicolas; , Mehlis, Katja; , Riest, Nora Mobilitätskultur in einer alternden Gesellschaft: Szenarien für das Jahr 2030. MOBIL 2030. Kurzbericht., 2012
[Stat15g] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Bevölkerung Deutschlands bis 2060 - 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, 2015
Glossar
Bike Sharing Der Begriff Bike Sharing stammt aus dem Englischen und kann in etwa mit der Bedeutung „Fahrradverleih“ übersetzt werden. Er beschreibt die organisierte, gemeinschaftliche Nutzung von Fahrrädern, die in der Regel von Unternehmen, Kommunen oder Kommunalverbänden bereitgestellt werden. Die Fahrräder stehen an öffentlich zugänglichen Stellplätzen zur Verfügung. Die Fahrräder können dabei an einer Station ausgeliehen und an einer anderen zurückgegeben werden. Dieses System ist besonders für die kurzfristige Nutzung der gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellten Räder im urbanen Raum ausgelegt. Das Ziel ist, dass die Fahrräder möglichst vielen Nutzern pro Tag zur Verfügung stehen. Daher ist meist die erste halbe Stunde des Verleihs besonders günstig. Für eine längere Leihperiode bieten reguläre Fahrradvermieter jedoch meist die besseren Angebote.
Umweltverbund
Unter dem Begriff Umweltverbund wird die Kooperation der umweltfreundlichen Verkehrsmittel verstanden. Hierzu zählen die öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus und Taxis), nicht motorisierte Verkehrsträger (Fußgänger und private oder öffentliche Fahrräder), sowie Carsharing und Mitfahrzentralen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, ihre Wege innerhalb des Umweltverbunds, anstatt mit dem eigenen Pkw, zurückzulegen. Zunehmend wird der Begriff Mobilitätsverbund genutzt.
Mischbetrieb
Als Mischbetrieb (auch: Mischverkehr, gemischter Verkehr) wird der Betrieb mit unterschiedlichen Fahrzeugen auf demselben Fahrweg bzw. im selben Verkehrsraum bezeichnet. Beispielhaft kann hier die gemeinsamen Nutzung von Eisenbahnstrecken durch Reise- und Güterzüge oder auch des Straßenraums durch Straßenbahnen und Kfz genannt werden.
Szenarien Ein Szenario ist ein Bild der Zukunft, das sich aus einer bestimmten Kombination von relevanten Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen entwickelt. Das grundsätzliche Anliegen von Szenarien besteht darin, verschiedene Handlungsoptionen zu verdeutlichen und ihre Folgewirkungen transparent zu machen.

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?507154

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 11:02:47