Finanzielle Aspekte der Teilhabe
Erstellt am: 19.12.2019 | Stand des Wissens: 13.01.2025
Synthesebericht gehört zu:
Im Bereich der Mobilität beeinflussen finanzielle Ressourcen maßgeblich die räumlichen Teilhabechancen. Der Zugang zu und die Nutzung von Mobilitätswerkzeugen, wie etwa privaten Fahrzeugen oder Zeitkarten für den öffentlichen Verkehr, sind mit Kosten verbunden. Ohne diese Ressourcen können selbst vergleichsweise kurze Distanzen eine erhebliche Hürde für die Teilhabe darstellen. Dies kann dazu führen, dass potenzielle Arbeitsplätze oder andere Orte der Teilhabe für einzelne Personen und Haushalte unerreichbar werden oder die erforderliche Mobilität so hohe Kosten verursachen, dass in in anderen Lebensbereichen Einsparungen und Einschränkungen hingenommen werden müssen. [FREB09] Generell kann festgestellt werden, dass Haushalte in dünner besiedelten Räumen deutlich häufiger über mindestens einen Pkw verfügen als jene in urbanen Bereichen [Nobi18]. Damit einhergehend tragen sie auch höhere Mobilitätskosten, besonders in Relation zum Haushaltseinkommen [FREB09].
Gerade die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu erreichen ist in Bezug auf Teilhabe also doppelt relevant, denn die zentrale Einkommensquelle im Zusammenhang mit der Teilhabedebatte sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bartelheimer [BAPE07] bezeichnet die Teilhabe an Erwerbsarbeit als erste der vier Teilhabedimensionen. Sie misst sich in Deutschland traditionell daran, ob eine Person einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht. Diese Situation wurde lange in der (Bundes-)deutschen Volkswirtschaft als Normalfall angesehen und zwar in Form einer unbefristeten Vollzeitanstellung, die dem Arbeitnehmer ein sicheres Einkommen und eine Vorsorge für das Alter ermöglicht. Auch heute noch basieren die Absicherungssysteme darauf, dass ein Teil des Erwerbseinkommens angespart und in Ansprüche für den Fall der Arbeitslosigkeit bzw. des altersbedingten Ausscheidens aus der Erwerbsarbeit umgewandelt wird (ebd.). Auch selbstständig Beschäftigte können von monetären Einschränkungen ihrer sozialen Teilhabemöglichkeiten betroffen sein. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland rund 3,8 Millionen selbstständig Beschäftigte, das entspricht 8,3 Prozent der Erwerbstätigen [Destatis24h,Destatis24i]. 1,74 Millionen waren Soloselbstständige und 2,06 Millionen waren Selbstständige mit Beschäftigten [Destatis24j]. Die zweite Gruppe weist im Hinblick auf das bedarfsgewichtete Nettoeinkommen durchschnittlich bessere Werte auf als bei den Solobeschäftigten oder den Arbeitnehmenden. [BRBE16]. Außerdem verfügen Selbstständige im Schnitt über mehr eigenes Vermögen als Arbeitnehmer.
Gleichzeitig führen Freibetragsgrenzen dazu, dass Soloselbstständige, die am unteren Ende der Einkommensskala zu finden sind, gar nicht statistisch erfasst werden. [BRBE16] Brenke und Beznoska konstatieren zudem, dass es nicht möglich ist, festzustellen, inwiefern jene, die nicht regelmäßig in Renten- oder Lebensversicherungen einzahlen, durch ein eigenes Vermögen abgesichert sind (und somit nicht im Fokus der Teilhabedebatte stehen). Generell werden die Selbstständigen in der Teilhabedebatte nicht gesondert behandelt und entweder in die Gruppe der Erwerbstätigen subsumiert oder aber auf Grund der schwierigen Datenlage ausgeklammert, selbst wenn klar sein muss, dass manche Problematiken dadurch ggf. nur teilweise oder verzerrt erfasst werden können. Gemessen am jüngeren Aufschwung der deutschen Volkswirtschaft und dem resultierenden Mehrbedarf an Arbeitskräften [Kink18] sollte die ökonomische Teilhabe der Mehrheitsbevölkerung im Sinne der Teilhabe an Erwerbsarbeit gesichert sein: die Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhältnisse befindet sich auf einem Rekordhoch seit 2006 [Destatis24c]. Auch die Arbeitslosenquote ist mit 6,0 % im Oktober 2024 vergleichsweise klein [Destatis24d]. Die Covid-19-Pandemie hat vor allem im Jahr 2020 für einen Rückgang der Arbeitsverhältnisse bzw. Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt, die aber laut der Arbeitsmarktstatistik zum Zeitpunkt Anfang 2022 weitgehend ausgeglichen sind [BfA22,BfA22a]. Es ist jedoch zu beobachten, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten neben den regulären Beschäftigungsverhältnissen ein wachsender Niedriglohnsektor herausgebildet hat. Ursprünglich als Zwischenlösung für Saisonkräfte und als (Wieder-)Einstiegshilfe in das klassische Arbeitsverhältnis geplant, sind geringfügige Beschäftigungen (Monatseinkommen bis zu 538 Euro, vgl. Paragraf 8(1)1 Sozialgesetzbuch IV) zur Dauererwerbstätigkeit vieler Menschen, insbesondere Frauen, geworden [WIPP12,MEIS18]. 4,5 Millionen Menschen in Deutschland bezogen im Jahr 2023 ihr Haupteinkommen aus diesen so genannten Minijobs, aus denen sie in der Regel keine Beiträge für die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung generieren [SoPo24, MEIS18]. Da unter anderem die geringfügige Beschäftigung je nach Haushaltszusammensetzung (beispielsweise Alleinverdiener oder nicht) oft nicht zur Sicherung des Existenzminimums reicht, beziehen 825.000 Menschen zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen das sogenannte Bürgergeld [Piekarz24]. Wenn der Arbeitslohn nicht das Existenzminimum deckt, empfangen sie als sogenannte Ergänzer entweder Sozialleistungen, oder ergänzen umgekehrt ihre Bürgergeld-Bezüge durch ein geringes Erwerbseinkommen [BA24].
Bereits lange vor diesen Entwicklungen hat der Soziologe Ulrich Beck in den 1980er-Jahren das Ende des "System[s] standardisierter Vollbeschäftigung" diagnostiziert [BEUL86, S. 222]. Abgelöst werde es, so Beck, von einem "risikoreichen System flexibler, pluraler, dezentraler Unterbeschäftigung" [BEUL86, S. 227]. Bestätigt wird Becks Postulat vom Anstieg der Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich (Einkommen geringer als zwei Drittel des nationalen Medianeinkommens) [SCHM10b]. Diese geben den Betroffenen keine Möglichkeit, eine finanzielle Reserve anzulegen bzw. für das Alter vorzusorgen. Die Niedriglohn-Jobs gelten daher als Vorläufer der Altersarmut [SCHM10b] die ihrerseits die Teilhabechancen von Millionen von Menschen gefährdet.
Aus finanzieller Perspektive haben die Teilhabechancen armer Menschen trotz der gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen auf Grund einer zunehmenden Ungleichverteilung des Wohlstands jedoch insgesamt abgenommen. Das durchschnittliche verfügbare Haushaltseinkommen der am wenigsten verdienenden 20 Prozent der deutschen Bevölkerung (Abbildung 1: 1. und 2. Dezil) ist zwischen 1996 und 2020 zurückgegangen, während das Einkommen der Besserverdienenden gestiegen ist. Die 10 Prozent mit dem höchsten Einkommen (10. Dezil) konnten im selben Zeitraum einen überdurchschnittlichen Zuwachs im Einkommen von mehr als 50 Prozent verzeichnen. [DIW24]
![Abb. 1: Entwicklung der verfügbaren Haushaltseinkommen nach Dezilen [Eintrag-Id:586513] Finanzielle Aspekte.png](/servlet/is/507117/Finanzielle%20Aspekte.png)
Ob auf der Ebene der Sicherheit des Arbeitsplatzes, des zeitlichen Umfangs einer Beschäftigung oder der Höhe des Einkommens: der ehemalige Regelfall Vollzeit, unbefristet, sozialversichert, auskömmlich wird zunehmend abgelöst. [FR19] Dieser Wandel der Erwerbsarbeit limitiert auch die finanziellen Handlungsspielräume der Erwerbstätigen sowie der ggf. von ihnen finanziell Abhängigen, insbesondere im Falle von geringfügig bezahlter und / oder prekärer Beschäftigung. Damit beschränken sich auch die gesellschaftlichen Teilhabechancen.