Überblick über Szenarien zur Sektorkopplung 2030 / 2050
Erstellt am: 02.10.2018 | Stand des Wissens: 05.01.2024
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Zur Thematik der Sektorkopplung wurden diverse technisch-systemische Studien durchgeführt, die mit unterschiedlich detaillierten Modellen, verschiedenartigen Zielsetzungen bei der Kohlenstoffdioxid (CO2)-Minderung und unterschiedlichen Zeithorizonten arbeiten. Übersichten und Meta-Analysen zu Szenarien-Rechnungen finden sich etwa in "Flexibilität durch Kopplung von Strom, Wärme & Verkehr" der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) [AEE16], dem Gutachten "Umsteuern erforderlich: Klimaschutz im Verkehrssektor" des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) [SRU17] und im Working Paper "Sektorkopplung Definition, Chancen und Herausforderungen" von Wietschel et al. [Wiet18].
Die weit überwiegende Zahl der Studien belegt, dass eine nahezu vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft in Deutschland bis zum Jahr 2050 technisch und ökonomisch machbar ist, [SRU17, S. 45]. Allerdings werden große Anstrengungen zur Zielerreichung notwendig. Trend- und Referenzszenarien zeigen, dass die zum Zeitpunkt der Studien intakten Maßnahmen der Bundesregierung nicht ausreichen, um die gesetzten Minderungsziele bis 2050 zu erreichen, siehe etwa Tabelle 1. So liegen die entsprechenden Szenarien bereits getroffener oder zu erwartender Maßnahmen von Prognos / Ewi / GWS [PEG14], Öko-Institut und Fraunhofer ISI [ÖIS15] sowie Fraunhofer ISI et. al [ISI17] und [ISI17a] nur bei Minderungen der CO2-Emissionen zwischen 54 Prozent und 64 Prozentt zum einen die Große der Herausforderung statt der minimal angestrebten 80 prozentigen Reduktion von Treibhausgasen gegenüber 1990.
Gleichzeitig werden zum Teil große Unterschiede zwischen den einzelnen Szenarien zu künftigen sektoralen und gesamten Nachfragemengen nach Strom deutlich. Um die allgemeine Unsicherheit künftige Entwicklungen betreffend zumindest zum Teil aufzufangen, werden in den meisten Untersuchungen mehrere Szenarien analysiert und miteinander (beziehungsweise einem Referenzszenario) verglichen.
Die Unterschiede in den Ergebnissen der Zielszenarien der Studien resultieren vor allem aus:
- Unterschieden im Zeithorizont: Je weiter der Betrachtungszeitpunkt in der Zukunft liegt, desto größer werden systematisch die Unsicherheiten, aber auch die Gestaltungsmöglichkeiten für das Energiesystem der Zukunft; die potentiellen technologischen und sektoralen Transformationspfade aus heutiger Sicht werden flexibler.
- Unterschieden im Minderungsziel an Treibhausgasemissionen um 80 Prozent, 95 Prozent oder 100 Prozent (im Jahr 2050) gegenüber dem Jahr 1990: Dieses ist bei Zielszenarien in der Regel exogen vorgegeben. Die Höhe des Minderungsziels beeinflusst die im Energiesystem maximal verbleibende Menge an Brenn- und Kraftstoffen fossiler Herkunft. Daraus können extreme Unterschiede in den Transformationspfaden und korrespondierenden Mengen zwischen sonst ähnlichen Szenarien mit 80 Prozent und deutlich höheren Minderungen wie 95 Prozent oder 100 Prozent resultieren, weil bei Letzteren wegen kaum zu vermeidender Restemissionen aus Landwirtschaft und Industrie die vollständige Ausschöpfung der technisch verfügbaren Reduktionspotentiale und damit eine sehr weitgehende Dekarbonisierung aller anderen Sektoren nötig wird.
- Unterschieden in der Gewichtung technisch möglicher Umwandlungspfade. Oft werden mehrere Szenarien mit variierenden Anteilen alternativer Umwandlungstechnologien untersucht, die unterschiedliche spezifische Wirkungsgrade aufweisen, was sich auf die Gesamtstrommenge des Szenarios auswirkt. Je mehr direkte Elektrifizierung von Prozessen unterstellt wird, desto geringer sind benötigte Strommengen und Endenergiebedarf.
- Unterschieden in den Annahmen über den Einsatz von CO2-Abscheidungstechnologien (Carbon Capture Sequestration, CCS) für industrielle Punktquellen, die fossile Energieträger nutzen und die nur unter erheblichem Aufwand auf Strom oder andere erneuerbare Energiequellen umgestellt werden können. Das hat Einfluss auf das verbleibende Emissionsbudget fossiler Herkunft.
- Unterschieden in den Annahmen zu künftigen Energieträger- und aus dem Emissionshandel resultierenden CO2-Preisen: Diese beeinflussen das relative Preisgefüge (zum Beispiel zwischen fossilen und erneuerbaren) Energiequellen und die absolute Höhe der Nachfrage nach Energie. Auch die künftig angenommene Belastung mit Steuern und Abgaben spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle.
- Unterschiedlichen Prognosen zu spezifischen technisch-ökonomischen Energieeinsparungspotentialen, die wiederum auf die Entwicklung der Endenergienachfragemengen in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr wirken [SRU17, S. 45]. Dazu gehören auch unterschiedliche Annahmen zu Innovationen und Kostenentwicklungen bei Schlüsseltechnologien wie etwa Elektrolyseuren zur Herstellung von Wasserstoff oder der Gewinnung von CO2 aus der Luft (Direct Capture) für die Methanherstellung.
- Unterschieden in der betrachteten räumlichen Abgrenzung des Energiesystems. So ist es von Bedeutung, ob internationale Verkehre in die Betrachtung einbezogen werden und in welchem Umfang ein Import von Kraftstoffen und Energieträgern aus erneuerbaren Quellen möglich ist.
Abbildung 1 zeigt die große Bandbreite der vorliegenden Schätzungen zum künftigen Bruttostromverbrauch.
Insbesondere in den Szenarien nach [UBA14d] "THGND" und [Quas16] "worst case" übersteigt der Bruttostromverbrauch die künftig in Deutschland zu erzeugenden Mengen an regenerativem Strom deutlich, dessen wirtschaftlich nutzbares Potential langfristig etwa auf 1.000 Terrawattstunden (TWh) abgeschätzt wird. Importe von Strom und / oder Brenn- und Kraftstoffen aus erneuerbaren Energiequellen werden hier in großem Umfang nötig. Dies hat bei [UBA14d] den Hintergrund, dass hier eine vollständige Dekarbonisierung aller Sektoren unter Einsatz von Power-to-X (PtX)-Technologien angenommen wird. Die Erzeugung von regenerativen Brenn- und Kraftstoffen aus Strom ist jedoch mit erheblichen Umwandlungsverlusten verbunden. Abweichend von der Methodik anderer Studien und der offiziellen Bilanzierung erfasst die Studie zudem auch den deutschen Anteil am internationalen Luft- und Seeverkehr. Darüber hinaus erwähnt [UBA14d] zwar die Möglichkeit zum Einsatz von Oberleitungs-Lkw, diese CO2-Minderungsoption wird im Gegensatz zu jüngeren Studien aber nicht untersucht. Aufgrund dieser Faktoren liegt der Strombedarf 2050 weit über den Mengen der meisten anderen Studien. Es wird deutlich, wie stark die künftige Auswahl von möglichst energieeffizienten Kopplungspfaden die Höhe der Stromnachfrage und damit das gesamte Energiesystem prägen wird.
Über diese Szenarien heraus kommt dem Szenariorahmenentwurf zum Netzentwicklungsplan eine besondere Bedeutung zu. Der von der Bundesnetzagentur genehmigte Szenariorahmen mit seinen Annahmen zur Entwicklung zur Stromgenerierung und -verbrauch stellt die verbindliche Grundlage für den Stromnetzanbau durch die Übertragunsgsnetzbetreiber dar [TiDr21]. Der Szenariorahmen vereint drei Szenarien, welche unter dem Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 verschiedene Annahmen zu der Energielandschaft im Jahr 2035 und 2040 treffen. Während Szenario A von einer niedrig ausgeprägten Sektorenkopplung ausgeht, kommt dieser in Szenario B eine größere Bedeutung zu, sodass in diesem Szenario wie auch in Szenario C ein Kohleausstieg bis 2035 möglich ist. In Szenario C spielt die Sektorenkopplung die entscheidende Rolle, indem Anwendungen der Sektorenkopplung stark auf dem Energiemarkt vertreten sind (je nach Szenario ergibt sich ein spezifisches Bild des Energiemarktes, siehe Tabelle 2).
Tab. 2: Rahmendaten des genehmigten Szenariorahmens [TiDr21] (Grafik zum Vergrößern bitte anklicken)