Deregulierung und Liberalisierung im Luftverkehr
Erstellt am: 06.02.2018 | Stand des Wissens: 07.05.2019
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Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Volkswirtschaftslehre (ECON), Prof. Dr. Kay Mitusch
Nach dem zweiten Weltkrieg war der weltweite Luftverkehr durch monopolistische nationale Flugverkehrsgesellschaften geprägt, die ähnlich den nationalen Eisenbahnunternehmen oft im Besitz der Staaten und durch gesetzliche Regelungen vor Konkurrenz geschützt waren. Das Chicagoer Abkommen bildete den Regulierungsrahmen für internationale Flüge.
Der Prozess der Deregulierung und Liberalisierung setzte in den 1970er Jahren in den USA ein und griff von dort auf Europa und andere Länder über. Er betraf und betrifft Inlandsmärkte, bilaterale Luftverkehrsabkommen, regionale und interregionale offene Luftfahrtgebiete und zugehörige Dienste.
In den USA fanden die für den internationalen Luftverkehr geltende Regelungen auf Grundlage des Chicagoer Abkommens auch für den Luftverkehr zwischen den einzelnen Bundesstaaten Anwendung. Die dort privaten Fluggesellschaften drängten in den siebziger Jahren auf die Einführung eines marktwirtschaftlichen Regulierungssystems und vereinfachten Marktzugang [HiLi06]. Grundlage dieser Forderungen war die Theorie der bestreitbaren Märkte, die für den Luftverkehrsmarkt die Effizienz des Wettbewerbs bei freiem Markteintritt und Marktaustritt vorhersagt [MiSc02].
Nachdem sich erhebliche Differenzen zwischen den Tarifen ähnlicher innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Routen der USA herausgebildet hatten, fasste die amerikanische Regierung im Jahr 1978 umfangreiche Beschlüsse zur Deregulierung des inneramerikanischen Luftverkehrs. Diese führten zu einem deutlichen und anhaltenden Preisverfall mit einer starken Differenzierung von Preisen und angebotenen Dienstleistungen sowie einem schnellen Wachstum der beförderten Personen und Güter [HüMü11, S.21f].
In Würdigung dieser Entwicklungen mehrten sich innerhalb der Europäischen Union (EU) die Forderungen nach einer vergleichbaren Deregulierungsinitiative. Es folgte die Schaffung des ersten vollständig freien internationalen Marktes innerhalb der EU mit drei Liberalisierungspaketen in den Jahren 1987, 1990 und 1992 . Die Deregulierung des nationalen deutschen Luftverkehrsmarktes ging mit der des europäischen einher.
Ein Jahrzehnt später wurden die Liberalisierungsbewegungen in Nordamerika und Europa durch sogenannte Open-Sky-Abkommen zunächst zwischen den USA und der Europäische Kommission im Auftrag ihrer Mitgliedstaaten (2007 und erweitert im Jahr 2010) und ein entsprechendes Abkommen mit Kanada (2009) zu einem international weitgehend offenen Gebilde vereinigt. Die beiden Abkommen mündeten für den Nordatlantikverkehr in einem interregional offenen Luftfahrtgebiet.
Der gemeinsame europäische Luftverkehrsraum (ECAA) gilt als gelungenes Beispiel für eine kontinentale Deregulierung, an dem sich Deregulierungsinitiativen in anderen Teilen der Welt orientieren, so in Afrika und im südostasiatischen Raum der ASEAN-Staaten (Verband Südostasiatischer Nationen). Im Jahr 2013 wurde der Rat der Zivilluftfahrtorganisation auf der 38. ICAO-Generalversammlung beauftragt, eine langfristige Vision für die internationale Liberalisierung des Luftverkehrs zu entwickeln und zu verabschieden. Der Auftrag schließt die Entwicklung und Prüfung eines internationalen Abkommens ein, mit dem die Staaten den Marktzugang liberalisieren könnten. Insbesondere im Frachtbereich wurde der Rat beauftragt, ein spezifisches internationales Abkommen auszuarbeiten, um die weitere Liberalisierung der Luftfrachtdienste zu erleichtern.
Nach dem Chicagoer Abkommen (Artikel 15) unterliegen auch die Bereitstellung von Flughafeninfrastrukturen und zugehörigen Dienstleistungen der Regulierung im Sinne der Diskriminierungsfreiheit und Effizienz. Parallel zur Liberalisierung der Verkehrsrechte und Tarifregeln beschloss die EU zur Deregulierung der Bodenverkehrsdienste die verbindliche Einführung konkurrierender Angebote im Bereich der Bodenverkehrsdienste für die Flugzeuge und Passagierabfertigung.
Die fortschreitende Deregulierung wird jedoch auch kritisiert. Die Deregulierung in den USA führte zwar zunächst zum Eintritt neuer Wettbewerber und zum Rückgang der Marktkonzentration, später jedoch auch zum Bankrott etablierter Luftverkehrsunternehmen (zum Beispiel United und US Airways) und in der Folge zu Konsolidierungen und wachsender Marktkonzentration. Vergleichbare Entwicklungen sind in Europa zu beobachten. Zudem fehlen insbesondere im internationalen Wettbewerb vergleichbare Rahmenbedingungen im Sinne eines Level Playing Field. Aktuell gibt es Auseinandersetzungen um den als aggressiv empfundenen Marktzugang der Fluglinien aus dem Nahen Osten in den internationalen Luftverkehr, der in den USA und der EU protektionistische Reaktionen hervorruft. Bedenken zu einer weiteren Deregulierung und Liberalisierung werden von der International Transport Workers (ITF) geäußert [ICAO13b].