Kompetenzdefizite in der Automobilindustrie
Erstellt am: 06.08.2017 | Stand des Wissens: 17.04.2022
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechperson
Technische Universität Hamburg, Institut für Logistik und Unternehmensführung, Prof. Dr. T. Blecker
Technische Universität Hamburg - Institut für Logistik und Unternehmensführung
Produktion und Funktionsweise von Kraftfahrzeugen basierten über Jahrzehnte primär auf mechanischen Prozessen. Metallbearbeitung, mechanische Abläufe und industrielle Fertigungsschritte wie zum Beispiel Karosseriebau zählen zu den primären Kompetenzen der Automobilindustrie. Mit dem Aufkommen von Steuerungselektronik und elektronischen Assistenzsystemen hat sich das Anforderungsprofil an die Automobilhersteller verändert. Wichtige Meilensteine dieser Entwicklung sind die serienmäßige Einführung des Antiblockiersystems (ABS) im Jahr 1979 und des elektronischen Stabilitätsprogramms (ESP) im Jahr 1995 [Iser06]. In der Konsequenz wurde das Themenfeld der Mechatronik zu einer erforderlichen Kernkompetenz in der gesamten Branche [MGLW15].
Im Kontext des autonomen Fahrens nimmt nun die Digitalisierung beim Fahrzeugbau und -betrieb erheblich zu. So werden vermehrt Sensoren in Fahrzeugen eingesetzt und Daten über Fahrverhalten, Fahrzeugzustand, Umwelt etc. erhoben. Des Weiteren werden Umweltdaten sowohl im Fahrzeug als auch zentral bei einzelnen Akteuren wie dem Automobilhersteller ausgewertet und eine intensive Kommunikation mit dem Verkehrssystem etabliert.
Erforderliche Technologie- und Kompetenzfelder sind beispielsweise:
Komplexe, verteilte Softwarearchitekturen
Kommunikationsprotokolle
Bildverarbeitung
Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen
IT-Sicherheit
Für die Automobilindustrie sind damit eine signifikante Verschiebung der Technologieschwerpunkte und zunehmende Schnittstellen mit der IT-Branche zu konstatieren [HeSc17]. Die Automobilbranche befindet sich hierbei in einem ihrer größten Umbrüche und Automobilhersteller investieren neben der Elektromobilität und Digitalisierung in den nächsten Jahren Milliarden in die Technik des Autonomen Fahrens [ifo].
Die Bedeutung dieser neuen IT-Kompetenzen wird zukünftig weiter steigen und sehr wahrscheinlich sogar die Relevanz der klassischen Kompetenzen übersteigen. Dies zeigt sich bereits durch die erheblichen technischen Fortschritte beim autonomen Fahren, die von den großen IT-Konzernen wie Google und Apple erzielt wurden. Zum Teil werden von diesen seit einiger Zeit autonome Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr erfolgreich erprobt (zum Beispiel in Kalifornien, Vereinigte Staaten von Amerika) [Zeit17a]. Allerdings hat sich die Strategie der IT-Konzerne in jüngster Vergangenheit verändert. Es wurde abgewichen von dem Ziel, ein Fahrzeug vollständig selbst zu konzipieren, und stattdessen eine Kooperation mit Unternehmen der Automobilbranche angestrebt (Beispiel: Google und Fiat-Chrysler). So sollen die fehlenden Kompetenzen und Erfahrungen in der Hardwareumsetzung ausgeglichen werden und eine serienmäßige Produktion schneller realisiert werden [Efra16].
Kompetenzdefizite sind insbesondere in der Automobilindustrie festzustellen, deren Personalstamm im Bereich der Fahrzeugentwicklung durch Maschinenbauingenieure geprägt ist. Zwar finden sich in zunehmendem Maß in den Curricula der Hochschulen Informatikanteile im Maschinebaustudium. Dennoch ist bei den derzeitigen Mitarbeitern diese Kompetenz nur wenig verbreitet, wodurch gerade aus Sicht der Security sowohl die Fähigkeit zur Entwicklung abgesicherter autonomer Fahrzeuge als auch die Fähigkeit zur vollumfänglichen Beurteilung der von Zulieferern bezogenen IT-Systeme fehlt. Dies betrifft vor allem die IT-Sicherheit, welche auch von den Anbietern der IT-Branche bislang nicht hinreichend beherrscht wird.
Nicht ausreichend beherrscht durch alle Akteure des autonomen Fahrens werden auch neue, noch in der Entwicklung befindliche Technologie- und Kompetenzfelder wie z. B. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Diese sind u. a. erforderlich für die Erkennung von anderen Verkehrsteilnehmern, Umwelt- und Wetterbedingungen sowie Verkehrszeichen. Sie sind derzeit noch so unterentwickelt, dass in Versuchen US-amerikanischer Wissenschaftler mit simplen Maßnahmen und in Situationen, die im Straßenverkehr täglich vorkommen, Straßenschilder völlig fehlinterpretiert werden. So wurden von Menschen sofort richtig zu erkennende Stoppschilder von autonomen Systemen zu 100% als Geschwindigkeitsbegrenzung fehlinterpretiert sowie ein Hinweisschild für Rechtsabbieger in zwei Drittel aller Fälle als Stoppschild und zu einem Drittel als Hinweis auf eine weitere Fahrspur fehlgedeutet [EvEy17].
Einzelne Hersteller wie z. B. BMW gehen aufgrund des bedeutenden Kompetenzdefizites dazu über, den eigenen Ingenieuren Aufbaustudien zum Erwerb von IT-Kompetenzen zu ermöglichen [Zieg17]. Bis zur Veränderung der Situation sind mit den Kompetenzdefiziten ein erhebliches Risiko und ein bedeutendes Problemfeld für die Security autonomen Fahrens gegeben.