Lösungsansätze zur Verbesserung der Zuverlässigkeit des automatisierten Fahrens
Erstellt am: 14.06.2017 | Stand des Wissens: 06.10.2023
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Die zunehmende Automatisierung im Straßenverkehr steht im Fokus von Politik und Wirtschaft und soll sich positiven auf die Verkehrssicherheit auswirken, den Verkehrsfluss und den Fahrkomfort inbegriffen. Eine der großen Herausforderungen stellt in diesem Zusammenhang die Zuverlässigkeit (auch funktionale Sicherheit, englisch Safety) der für die Automatisierung notwendigen technischen Komponenten und Systeme dar, welche für die Freigabe der jeweiligen Fahrzeuge von entscheidender Bedeutung ist [MGLW15, S. 440]. Obwohl die technischen Möglichkeiten für eine höhere Automatisierung bereits gegeben sind, stellt das Thema Zuverlässigkeit in Hinsicht auf die Freigabe der technischen Systeme nach wie vor eine der großen Hürden dar und könnte sich zu einer Falle für die zunehmende Automatisierung im Straßenverkehr entwickeln [MGLW15, S. 458]. Die für eine Freigabe erforderlichen Anforderungen ergeben sich aus Gründen sowohl der Typengenehmigung (Verordnung 2018/858 [EU18]) als auch der Produkthaftung (Produkthaftungsgesetz [ProdHaftG]) [MGLW15, S. 440].
Aktuell verfügt kein Serienfahrzeug über eine sicherheitsrelevante Funktion, die nicht mit realen Testfahrzeugen überprüft wurde. Für diese Testfahrten werden Testkilometer im Millionenbereich benötigt. Die damit einhergehenden Kosten stellen bereits für die Freigabe der aktuellen Fahrerassistenzsysteme (FAS) eine ökonomische Herausforderung dar. Bei zu erwartender Zunahme des Funktionsumfangs und der Varianten- sowie Versionsvielfalt der FAS je Fahrzeugmodell gewinnt dieser Aspekt zusätzlich an Bedeutung [MGLW15, S. 446].
Bei der Freigabe von aktuell in Serie befindlichen Automatisierungsstufen steht die Kontrollierbarkeit durch den Fahrer im Mittelpunkt. Es wird darauf vertraut, dass der Fahrzeugführer aufgrund seiner Fähigkeiten in der Lage ist, ein unerwünschtes Automatisierungsverhalten zu korrigieren [MGLW15, S. 443 ff.]. Ermittelt werden diese Fähigkeiten im Rahmen der Fahrerlaubnisprüfung (§ 2 Abs. 2 StVG [StVGa]), wodurch sich die Anzahl der Testfälle reduzieren lässt. Derzeitige Konzepte für die Freigabe von automatisierten Fahrzeugen beruhen also auf einer Kombination aus den in Realfahrt durchgeführten Testfällen auf der einen und der Fahrerlaubnisprüfung auf der anderen Seite. Mit zunehmender Automatisierung fällt der Fahrer als Rückfallebene jedoch weg, sodass ausschließlich die Funktionalität des technischen Systems zu testen ist und somit eine Reduzierung der Testfälle aufgrund der Fahrererlaubnisprüfung nicht mehr möglich sein wird [MGLW15, S. 453].
Für die Bewältigung der Herausforderungen, die sich hinsichtlich der Freigabe ergeben, ist eine Reihe von Ansätzen vorhanden. Zunächst sollten Veränderungen hinsichtlich Geschwindigkeit, Szenerie und Automatisierungsgrad schrittweise eingeführt werden, da so zum einen abgesicherte Komponenten übernommen werden können und sich zum anderen der Aufgabenumfang nachfolgender Freigaben reduzieren lässt. Des Weiteren sind die notwendigen Testfälle zur Freigabe zu reduzieren und zusätzlich zur Realfahrt alternative Testwerkzeuge einzusetzen, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass auf Realtests vollständig verzichtet werden kann. Vielversprechend sind auch Testdurchführungen im virtuellen Umfeld (Simulationen), wobei allerdings stets ein Nachweis für die Validierung der dafür benötigten Modelle zu erbringen ist. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Grundlage der Freigabe von den Beteiligten öffentlich diskutiert und transparent gestaltet wird, denn spätestens nach dem ersten Unfall eines höher automatisierten Fahrzeugs wird die Freigabe auf den Prüfstand gestellt werden [MGLW15, S. 462 f.].
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) richtete unter Beteiligung einer Vielzahl von Interessengruppen zum Thema automatisiertes Fahren, beispielsweise Industrieverbänden und technischen Überwachungsvereinen, den runden Tisch "Automatisiertes Fahren" ein, welcher in vier Themencluster unterteilt ist [BMVI01]. Im Themencluster "Funktion, Sicherheit und Absicherung" werden ausgehend von der Annahme, dass der Fahrer als Überwacher und Rückfallebene ausfällt, die Herausforderungen aus Sicht der funktionalen Sicherheit und Absicherung behandelt [AGFo, S. 12]. Auf Vorschlag des BMVI und des runden Tischs "Automatisiertes Fahren" wurde am 16.09.2015 von der Bundesregierung die "Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren - Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten" (Strategie AVF) eingeführt [BMVI15h]; das BMVI war dabei federführend. Vor dem Hintergrund der Strategie AVF bildeten sich zwei Förderrichtlinien heraus, welche Projekte zum Thema Automatisierung und Vernetzung im Straßenverkehr unterstützen. In der Förderrichtlinie "Automatisiertes und vernetztes Fahren" sollen unter anderem Antworten auf die Frage gefunden werden, wie die Funktionssicherheit über die gesamte Fahrzeuglebensdauer hinweg sichergestellt werden kann [BMVI06a]. Mithilfe der Förderrichtlinie "Automatisiertes und vernetztes Fahren auf digitalen Testfeldern in Deutschland" sollen Daten über den Mischverkehr sowie über die Anwendungsreife und den Wirkungsgrad unterschiedlicher Automatisierungs- und innovativer Vernetzungskomponenten auf digitalen Testfeldern gesammelt werden [BMVI16ag, BMVI02].
Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Forschungsprojekt "Projekt zur Etablierung von generell akzeptierten Gütekriterien, Werkzeugen und Methoden sowie Szenarien und Situationen zur Freigabe hochautomatisierter Fahrfunktionen" (PEGASUS), ein Zusammenschluss von Automobilunternehmen, Zulieferern, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen, sollte bis Mitte 2019 entsprechende Standards erarbeiten, die von Tests bis zur Freigabe hoch automatisierter Fahrfunktionen reichen. Stand 2019, wurde erklärt, dass das Projekt zu mindest Schritte in die Richtung dieser Standards machen konnte [PEGA01]. International befasst sich auch das neue EU-Rahmenprogramm "Horizont 2020" (2014-2020) unter dem Schwerpunkt der gesellschaftlichen Herausforderung mit der Unterstützung von Strategien zur Normung und Regulierung im Verkehrssektor [BMBF01].