Gesellschaftliche und ökologische Folgen des automatisierten Fahrens
Erstellt am: 14.06.2017 | Stand des Wissens: 06.10.2023
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Automatisierte Fahrzeuge können weitreichende gesellschaftliche und ökologische Folgen mit sich bringen. Man vermutet, dass nicht nur Autohersteller, sondern bis hin zur gesamten Gesellschaft alle betroffen sein könnten. Gerade für Letztere könnte sich nach Ansicht vieler Experten die Wahrnehmung des Produkts Auto ganz wesentlich ändern. Der Mehrwert des automatisierten Fahrzeugs wird anhand seiner Dienstvielfalt gemessen werden. Die nahtlose Integration mobiler Geräte, umfassende Multimediafunktionen und elektronisch gesteuerte Wohlfühlfaktoren wie beispielsweise eine persönliche Klimasteuerung werde im Mittelpunkt stehen. Viele Funktionen würden damit voraussichtlich stärker personen- und weniger fahrzeugbezogen sein. Die Aktivität des Fahrens werde mit jeder Erhöhung der Automatisierungsstufen nebensächlicher, da sich der Fahrer zum Passagier wandelt und beim autonomen Fahren sogar der Führerschein überflüssig werden kann. Der Fahrzeuginsasse werde seine Aufmerksamkeit auf die elektronischen Geräte richten, ähnlich, wie wir es derzeit vom Zugbetrieb her kennen, sodass das Smartphone zum technologischen Mittelpunkt avancieren wird. Doch das Autofahren wird darüber hinaus aller Voraussicht nach einige weitere für die Gesellschaft relevante Veränderungen mit sich bringen, die sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben können [JoMi15, S. 97-99].
Für Berufspendler könnten die aus dem automatisierten Fahren resultierende Vorteile darin bestehen, dass der Weg zur Arbeit durch den Wegfall der Fahraufgabe in der meisten Zeit nicht nur komfortabler werden würde, sondern ihnen dadurch auch mehr Zeit zur Verfügung stehen würde, die sie entweder in Form von zusätzlicher Freizeit oder aber für berufliche Zwecke nutzen könnten. Hinzu kommt, dass sich durch die erwartete Verbesserung des Verkehrsflusses weniger Staus entwickeln würden und die Erhöhung der Planungssicherheit zudem für eine deutliche Reduktion von Stress sorgen könnte - bei einer gleichzeitigen Verringerung der für den Arbeitsweg benötigten Zeit [ACAT15, S. 14].
Demgegenüber stehen für den Fahrzeugführer mögliche negative Auswirkungen in Bezug auf seine Privatheit. Anhand der Aufnahme personenbezogener Daten (von den Fahrzielen bis hin zur akustischen und visuellen Erfassung des Fahrzeuginneren) und deren Übertragung an verschiedene Server lassen sich zum einen Bewegungsprofile der Fahrzeuge erstellen, zum anderen können ausgehend von diesen Daten Rückschlüsse auf die Bewegungsprofile der Nutzer gezogen werden. Die Grenzen zwischen Privatrecht und Öffentlichkeit müssen in diesem Zusammenhang neu definiert werden [JoMi15, S. 107108; MGLW15, S. 672 f.]. Des Weiteren kann die zunehmende Automatisierung von Fahrzeugen zu einem Rückgang der individuellen Fahrpraxis und damit der benötigten Fahrkompetenzen führen. Dies hätte im Falle eines Totalausfalls der Fahrzeug-Automatik wiederum negative Auswirkungen auf den Verkehrsfluss und die Verkehrssicherheit. Auch für andere Nutzer der Straße, denen das System nicht bekannt ist oder die nicht mit dem System vernetzt sind wie Fußverkehr, Radverkehr oder landwirtschaftliche Fahrzeuge kann das automatisierte Fahren negative Folgen in Form von Einschränkungen mit sich bringen [FGSV19a, S. 4].
Neben diesen individuellen, die Fahrer betreffenden Folgen lassen sich auch innerhalb der Stadtstruktur und des dort vorhandenen Mobilitätsangebots positive Veränderungen erkennen. Durch die erwartete Optimierung des Verkehrsflusses und automatisch gesteuerte Parkvorgänge sowie die daraus resultierende verbesserte Ausnutzung des Straßennetzes könnte sich der Verbrauch von Verkehrsflächen verringern. Die nicht mehr für den Kraftfahrzeugverkehr benötigten Flächen könnten stattdessen in Form von Parkanlagen oder Anlagen für den Fußgänger- und Radverkehr das Stadtklima und die Aufenthaltsqualität verbessern [JoMi15, S. 106; McK15a]. Besonders im nachgeordneten Straßennetz und auf Quartiersebene kann der Einsatz autonomer Fahrzeuge zu mehr Rücksicht auf zu Fuß Gehende oder Radfahrende führen [FGSV19a, S. 4]. Des Weiteren kann die spätere Automatisierungsstufe, das autonome Fahren, Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben vereinfachen. Zu dieser Gruppe gehören Kinder, Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung und ältere Menschen. Im Zuge des demografischen Wandels in Deutschland ist letztgenannter Personenkreis besonders relevant, da bei einer insgesamt zurückgehenden Bevölkerungszahl der Anteil älterer Menschen zunimmt [ACAT15, S. 14 f.; JoMi15, S. 106]. Auch die Struktur der (flächendeckenden) Versorgung mit Waren und Dienstleistungen kann durch das autonome Fahren verbessert werden, indem die Transportzeiten reduziert und die Taktfrequenzen erhöht werden. Vor allem in ländlichen Regionen, wo das kommunale Angebot in den Bereichen der medizinischen Versorgung oder der Einkaufsmöglichkeiten oft nicht sehr umfangreich ist, ist dies von zentraler Bedeutung [ACAT15, S. 14 und S. 23]. Mithilfe von autonomen Mobilitäts- und Transportdiensten kann auch in Relationen schwacher Nachfrage wie ländlichen Regionen oder zu Schwachlastzeiten öffentlicher Verkehr angeboten werden, für den bisher Berufsfahrer notwendig und auf Grund der hohen Kosten nicht wirtschaftlich waren [Kall19, FGSV19a, S. 7].
Doch auch für den urbanen Lebensraum lassen sich bedenkliche Szenarien erkennen. Prognosen zeigen, dass die Anzahl von Fahrzeugen im Straßenverkehr in Zukunft weiter ansteigen wird. Grund dafür ist, dass Menschen, die aufgrund der momentanen, von Staus, Parkplatzsuche und Gedrängel geprägten Verkehrssituation bisher auf ein eigenes Auto verzichtet haben, diese Entscheidung aufgrund erhöhter Zuverlässigkeit und Bequemlichkeit revidieren könnten. Zudem ist vorstellbar, dass sie sich von ihrem autonomen Fahrzeug in die Arbeit fahren lassen, es anschließend zum kostenlosen Parken in die Außenbezirke zurückschicken und sich abends wieder von ihm abholen lassen, was zu einer Verdopplung des Berufsverkehrs in den Innenstädten führen würde. Die daraus resultierende immense zusätzliche Verkehrsbelastung würde die zuvor genannten Vorteile wieder zunichtemachen und stattdessen eine weitere Belastung für die Menschen darstellen. Weiterhin besteht für die ländlichen Regionen die Gefahr, dass durch autonome Fahrzeuge ein Anstoß zu einer weiteren Zersiedeln der Landschaft beziehungsweise Stärkung dispensier Siedlungsstrukturen sowie einer Schwächung zentralörtlicher Funktionen gegeben wird, da die Notwendigkeit, ohne eigenes Auto an den öffentlichen Verkehr (ÖV) angeschlossen zu sein, an Bedeutung verliert. Auch wird eine Spaltung der Gesellschaft in Mobile und Nicht-Mobile befürchtet. Dies könnte sich darin äußern, dass sich der ÖV aufgrund zurückgehender Fahrgastzahlen aus der flächendeckenden Bedienung zurückzieht, die Nutzerkosten für in beispielsweise kollektiven autonomen Fahrzeugen aber dauerhaft über denen des bisherigen ÖV liegen. Insgesamt könnte der Wegfall des Fahrpersonals im ÖV für Personen mit Unterstützungsbedarf zu Nachteilen führen. [FGSV19a, S. 7]
Auch für die Umwelt würde diese Entwicklung zu einer erheblichen Belastungszunahme führen, wobei das autonome Fahren aus ökologischer Sicht durchaus mit positiven Aspekten verbunden sein kann. Als Mitverursacher des Klimawandels schränken der Verkehr und die damit einhergehende Belastung in den Bereichen Lärm und Luftverschmutzung unsere Lebensqualität stark ein. Durch weniger Stausituationen, eine Verringerung des Stop-and-go-Verkehrs sowie optimierte Lichtsignalsteuerungsanlagen, ließe sich der benötigte Energiebedarf verringern. Energieoptimierte Reiserouten sowie der entfallende Parksuchverkehr würden zudem die insgesamt gefahrenen Kilometer reduzieren, was ebenfalls zu einer Abnahme der Umweltbelastungen führen würde [ACAT15, S. 14 ff.; JoMi15, S. 106, FGSV19a, S. 4 und 7]. Wird dabei zunehmend auf Elektromobilität gesetzt, ließen sich die positiven Auswirkungen nochmals verstärken. Dies hätte wiederum positive Folgen für den Gesundheitszustand der Menschen und das allgemeine Stadtklima und die Lebensqualität.
Diesen positiven Aspekten stehen jedoch je nach Entwicklung auch negative Folgen für die Umwelt gegenüber. Da der Einsatz von autonomen Fahrzeugen zu einer erhöhten Fahrleistung führen kann und für die Übertragung großer Datenmengen, die durch Mobilfunk mit hohen Übertragungsraten (5G-Standard) gegebenenfalls zwischen Fahrzeugen und straßenseitiger Infrastruktur Energie gebraucht wird, besteht die Gefahr, dass es zu keinen Energieeinsparungen kommt. Auch ist im Fall einer erhöhten Fahrleistung mit höheren Schadstoff- sowie Lärmbelastungswerten zu rechnen.
Eine bisher unbeantwortete ethische Fragestellung stellt sich in Bezug auf die (klassische) theoretisch mögliche Dilemmasituation: Ein autonomes Fahrzeug fährt auf eine Menschenmenge zu und muss sich entscheiden, ob es entweder mitten in die Ansammlung hineinfährt und dabei unter Umständen Passanten tötet oder ob es ausweicht, wobei es allerdings gegen eine Barriere prallen würde und dabei möglicherweise Insassen ums Leben kommen könnten. Bisher ist noch nicht entschieden, welche Instanz diese Entscheidungslogik innerhalb der Software der zukünftigen autonomen Fahrzeuge bestimmen wird; letztlich wird diese Frage von Industrie, Politik und Kundschaft gemeinsam zu klären sein. Allerdings ist anzunehmen, dass die oben skizzierte Situation aller Voraussicht nach nur höchst selten eintreten wird [ZeOn16]. Auch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) setzt sich mit diesem Thema auseinander und hat im September 2016 eine entsprechende Ethikkommission ins Leben gerufen. Die aus 14 Wissenschaftlern und Experten der Fachrichtungen Ethik, Recht und Technik zusammengesetzte Gruppe hatte den Auftrag Leitlinien für die Programmierung automatisierter Fahrsysteme zu entwickeln. Es wurden 20 ethische Regeln für den automatisierten und vernetzten Fahrzeugverkehr entwickelt, welche in Regel 7 den Schutz des menschlichen Lebens als höchste Priorität vor Tier- oder Sachschaden stellen, in Regel 8 die Dilemmasituation mit Leben gegen Leben betrachten sowie in Regel 9 klar vorgegeben, dass bei unausweichlichen Situationen eine Qualifizierung von persönlichen Merkmalen strikt untersagt ist. Bezogen auf die Dilemmasituation wird jedoch vorgeschrieben, dass die Technik nach ihrem jeweiligen Stand so ausgelegt sein muss, dass kritische Situationen gar nicht erst entstehen und die Ethikkommission erwünscht eine unabhängige öffentliche Einrichtung, die Erfahrungen systematisch zu verarbeiten. Die Handlungsvariante, soviele Menschen wie möglich zu retten, ist jedoch noch nicht befriedigend diskutiert und soll weiteren vertieften Untersuchungen unterzogen werden [EthKom17].