Digitalisierung und Vernetzung auf der digitalen Straße
Erstellt am: 14.06.2017 | Stand des Wissens: 07.12.2023
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Für bestimmte Fahrfunktionen und Verkehrssituationen ist die vollständige Erfassung des Umfelds aus dem eigenen Fahrzeug heraus nahezu unmöglich [Lemm16a, S. 51-52]. Der Abdeckungsbereich bordautonomer Systeme ist durch die spezifischen Sensoreigenschaften, beispielsweise in Form der erforderlichen Sichtweite oder der limitierten Reichweite, beschränkt [WHLS15, S. 526]. Aus diesem Grund ist die Nutzung externer Daten zur Vervollständigung des Umfeldmodells die notwendige Konsequenz. Die Voraussetzung für das Einbinden von Informationen anderer Verkehrsteilnehmer oder der Infrastruktur ist die Vernetzung [Lemm16a, S. 51-52]. Dank ihr können Fahrzeuge in Sekundenbruchteilen sowohl Verkehrsinformationen (zum Beispiel über Baustellen oder Ampelphasen) als auch Statusinformationen anderer Fahrzeuge (zum Beispiel Geschwindigkeit, Position oder Fahrtrichtung) entweder von vorausfahrenden Fahrzeugen oder einem Verkehrsleitsystem mittels Kommunikationstechnologien (zum Beispiel WLAN 11p oder Mobilfunk) periodisch erhalten und sofort verarbeiten [Lemm16a, S. 51-52; VDA15, S. 19]. Neben einer Vielzahl verbesserter Fahrfunktionen ermöglicht die Vernetzung zum einen eine Erhöhung der Verkehrssicherheit - zum Beispiel durch die Warnung vor nicht sichtbaren Gefahrensituationen oder die Informationsergänzung bei widrigen Umfeldbedingungen, zum Beispiel Schneefall oder Nebel, bei denen Sensoren keine vollständige Erfassung bieten - und zum anderen eine Verbesserung der Verkehrseffizienz und des persönlichen Komforts [WHLS15, S. 526; VDA15, S. 19].
Vernetzung bedeutet dabei nicht nur die Kommunikation zwischen Fahrzeugen, sondern auch die Kommunikation mit der Infrastruktur, dazu gehören beispielsweise Ampelanlagen oder Verkehrsleitsysteme; beide Varianten der Kommunikation werden unter dem Begriff Car-to-X-Kommunikation (C2X) zusammengefasst. Dabei wird die direkte Kommunikation zwischen Fahrzeugen als Car-to-Car-Kommunikation (C2C, englisch vehicle-to-vehicle/ V2V) und die zwischen Fahrzeug und Infrastruktur als Car-to-Infrastructure-Kommunikation (C2I, englisch vehicle-to-roadside/ V2R) bezeichnet [VDA15, S. 19; JoMi15, S. 15-16]. Mithilfe der C2C-Kommunikation sollen Fahrzeuginsassen möglichst frühzeitig gewarnt werden, um so Unfälle und kritische Fahrmanöver zu vermeiden. Des Weiteren soll durch den schnellen und frühzeitigen Informationsaustausch über Staus, Stop-and-go-Verkehr oder ungünstige Wetterbedingungen (zum Beispiel Starkregen mit Aquaplaning- oder Glatteisgefahr) der Verkehrsfluss optimiert werden. Die C2I-Kommunikation dient dem Erkennen und Lesen von Ampelphasen und der entsprechenden Reaktion darauf sowie der Übertragung von Informationen über Staus und Unfälle. Ein weiteres Einsatzgebiet liegt im automatischen Anzeigen und zukünftig im Einparken in freie Parkplätze [JoMi15, S. 15-16].
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In diesem Zusammenhang wurde das von europäischen Automobilherstellern initiierte CAR 2 CAR Communication Consortium gegründet, welches sich die weitere Verbesserung der Sicherheit und Effizienz im Straßenverkehr durch C2X-Funktionen zum Ziel gesetzt hat und sich außerdem mit Standardisierungsmaßnahmen beschäftigt [WHLS15, S. 526; C2CC01]. Gleichzeitig laufen derzeit verschiedene Projekte zum Thema C2X-Kommunikation. In Deutschland (Großraum Frankfurt am Main) werden die Praxistauglichkeit und Wirksamkeit sowie der Nutzen der C2X-Technologie im Rahmen des Projekts "Sichere Intelligente Mobilität Testfeld Deutschland" (simTD) in einem großmaßstäblichen Feldversuch unter realen Verkehrsbedingungen untersucht. Bei diesem Projekt handelt es sich um einen Zusammenschluss zahlreicher Unternehmen der Automobil- und Telekommunikationsbranche, aber auch von Angehörigen der hessischen Landesregierung sowie renommierter Universitäten und Forschungsinstitute [WHLS15, S. 535; SITD01].
Das Joint Venture zwischen dem US-amerikanischem Automobilkonzern "General Motors" (GM) und dem chinesischen Automobilkonzern "Shanghai Automotive Industry Corporation" (SAIC) veröffentlichte die sogenannte "Connectivity Strategy 2025", durch welche der Aufbau von Cloud-basierten Plattformen und Services beschleunigt und die Verbindung des Fahrzeuges zum Benutzer verbesserte werden soll. Hierbei soll bis 2025 ein hohes Level des autonomen Fahrens erreicht werden, indem fortgeschrittene Technologien wie "5G ultra high speed network", "Augmented Reality" (AR, erweiterte Realität) und "Artificial Intelligence" (AI, künstliche Intelligenz) unterstützt werden [GCC17] .
Neben der C2X-Kommunikation ist im Zuge der weltweiten Digitalisierung und Vernetzung für die höhere Automatisierung im Straßenverkehr eine weitere Datenquelle von entscheidender Bedeutung: die digitale Karte. Während sich die Genauigkeit und der Detaillierungsgrad kommerziell verfügbarer Kartendaten momentan im Meterbereich bewegen, werden die Anforderungen zukünftig im Zentimeterbereich liegen [Lemm16a, S. 72]. Darüber hinaus werden die Geodaten der Karte mit Zusatzinformationen zur Verkehrslage angereichert, zum Beispiel zur Verkehrsdichte, aber auch zu unvorhersehbaren Ereignissen wie Baustellen [Lemm16a, S. 72; WHLS15, S. 514]. Die hoch genauen Karten können ihren vollen Nutzen jedoch erst dann entfalten, wenn sich die Fahrzeuge darin genau verorten können, was dank Bordsensorik und Merkmalen wie Verkehrsinfrastruktur, Straßenmarkierungen oder Landmarken möglich ist [Lemm16a, S. 72; Kirc18]. Für die Praxistauglichkeit von digitalen Karten spielt deren Aktualität eine wesentliche Rolle, weshalb die Kartenerstellung kontinuierlich und dynamisch erfolgen muss. Da diese Aufgabe allein durch die Verwendung von Kartografierungsfahrzeugen wirtschaftlich nicht zu leisten ist, sollen dafür auch normale Fahrzeuge im Alltagsbetrieb herangezogen werden [Kirc18]. Mithilfe selbstlernender Systeme registrieren die Fahrzeugsensoren Veränderungen an der bisherigen Karte, die anschließend entsprechend angepasst wird. Um diese Information auch für andere Verkehrsteilnehmer in Echtzeit bereitzustellen, sollen die Anpassungen zentral in einer Cloud abgespeichert werden, auf die wiederum andere Verkehrsteilnehmer zugreifen können, ohne die Strecke selbst befahren zu haben [Lemm16a, S. 72; Kirc18]. Für die Übertragung soll der Mobilfunkstandard 5G verwendet werden. Welchen Stellenwert die digitale Karte besitzt, belegt die Tatsache, dass einer der weltweit führenden Kartendienste, Nokia HERE, im August 2015 von deutschen Automobilherstellern erworben wurde [Gole15].
Neben der Bereitstellung einer digitalen Karte in einer Cloud können Verkehrsdaten (zum Beispiel zu Verkehrsströmen, Staus, Baustellen oder Parkmöglichkeiten) auch über den sogenannten Mobilitäts Daten Marktplatz (MDM) anderen Anbietern verfügbar gemacht oder von diesen übernommen werden. Dabei handelt es sich um eine Internetplattform, die von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) betrieben wird. Anbietern von Verkehrsinformations- und Navigationsdiensten wird damit der Zugang zu diesen Daten erleichtert [Gole15; BASt17f]. Im Rahmen dieses zentralen Onlineportals, das Verkehrsdaten für den vereinfachten Datenaustausch zwischen Dritten anbietet, sind neue Anwendungen im Bereich des Verkehrsmanagements und Serviceangebots möglich, wodurch der Verkehrsteilnehmer mit besseren und umfangreicheren Information während der Fahrt versorgt werden kann [BASt17f; BMVI05a].
Das Projekt "Früherkennung von Gefahrenstellen im Straßenverkehr durch Smart Data" (FeGiS+) soll Verkehrsteilnehmern bei der Identifizierung von Gefahrenstellen helfen und sie so warnen. Bei FeGiS+ werden Informationen zu Gefahrenstellen angereichert und aufbereitet, diese Informationen stammen beispielsweise aus polizeilichen Unfalldaten oder wurden von Verkehrsteilnehmern selbstständig gemeldet. Aus den erhaltenen Daten wird ein "Gefahrenscore" abgeleitet und im Anschluss visualisiert, damit dieser für Verkehrsteilnehmer nutzbar wird. Durch das Projekt sollen Verkehrsunfälle verhindert werden, in dem Verkehrsteilnehmer frühzeitig Gefahrenstellen erkennen können, um dann ihr Verhalten und die Fahrweise anzupassen. Die gewonnenen Daten sollen darüber hinaus für diverse Anwendergruppen, wie zum Beispiel Kommunen, Polizei oder auch Verkehrsplanungsbüros, online zur Verfügung gestellt werden [BMVI19an].