Forschungsinformationssystem des BMVI

zurück Zur Startseite FIS

Maßnahmen öffentlicher Akteure zur Gestaltung der Gefahrgutlogistik

Erstellt am: 10.06.2015 | Stand des Wissens: 23.02.2023
Synthesebericht gehört zu:
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn

Öffentliche Akteure haben durch Empfehlungswerke und Richtlinien einen großen Einfluss auf die Gefahrgutlogistik. Im Folgenden werden Lösungsansätze vorgestellt, die die Verständlichkeit und Harmonisierbarkeit sowie die praktische Umsetzung von Gefahrgut-Regelungen verbessern sollen.
Ein Problem bei grenzüberschreitenden Gefahrguttransporten sind die unterschiedlichen nationalen Sicherheitsstandards, die zum einen eine sehr hohe Komplexität aufweisen und deshalb für die Anwender schwierig zu verstehen sind und zum anderen auch nur schwer miteinander kombiniert werden können. Auch wenn umfangreiche Anstrengungen zur Harmonisierung des internationalen Gefahrgutrechts unternommen werden, ist dieses aufgrund der Vielfältigkeit geltender nationaler und internationaler Sicherstandards und Verordnungen nicht immer möglich [ArIs08, S. 558].
Einen ersten Schritt in Richtung harmonisierter internationaler Gefahrgutvorschriften stellen die im zweijährlichen Rhythmus erscheinenden UN-Empfehlungen zum Transport gefährlicher Güter (Orange Book) dar [ReECDangGo]. Dieses Empfehlungswerk bezieht sich weltweit auf alle Verkehrsträger. Neben allgemeinen Bestimmungen nimmt es die Einteilung in Gefahrgutklassen vor und führt die am häufigsten beförderten Gefahrgüter in einer Liste mit denjeweiligen UN-Nummern auf. Zusätzlich sind Sekundärgefahren, weitere besondere Eigenschaften der Gefahrgüter sowie die vorgeschriebene Verpackung dargestellt. Darüber hinaus werden konkrete Angaben zur Transportdurchführung gemacht [GrMi11, S. 17]. Mit der 21. Neuauflage des Orange Books führte die UN beispielsweise weitere Richtlinien zum Transport von Lithium-Batterien ein [ReECDangGo]. Für die verschiedenen Verkehrsträger werden zusätzlich zu den UN-Empfehlungen auch von unterschiedlichen Organisationen internationale, europäische oder nationale Empfehlungen zur Gestaltung der Gefahrgutvorschriften entwickelt [GrMi11, S. 18]. Auf EU-Ebene werden Gefahrguttransporte durch den Erlass von Richtlinien geregelt. Diese werden in den Mitgliedsstaaten in nationales Recht übertragen, wodurch ein komplexes System von Rechtsnormen entsteht. Die Gefahrgutregelungen sind deshalb nur in Ausnahmefällen intuitiv anwendbar [ArIs08, S. 558].
Aus diesem Grund existieren Bestrebungen seitens der Beteiligten der Gefahrguttransporte, aktiv in die Gestaltung der Gefahrgutverordnungen eingebunden zu werden. Wichtig ist hierbei laut dem Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV), dass dies sich "nicht nur auf nationale Lobby-Aktivitäten beschränkt, sondern auch und vor allem im Kontext der internationalen Regelsetzung [...] erfolgt" [Hus13, S. 12 f.]. Dabei wäre es auch wichtig, einheitliche Regelungen zur Durchsetzung von internationalen Gefahrguttransportvorschriften in den verschiedenen Ländern zu treffen.
Um die Einhaltung der Gefahrgutvorschriften zu gewährleisten, sind regelmäßige Gefahrgutkontrollen notwendig. In dem von der europäischen Kommission geförderten Projekt "Safe and Reliable Transport Chains of Dangerous Goods in the Baltic Sea Region" (DaGoB) wurde der Erfahrungsaustausch über Gefahrgutkontrollen im Ostseeraum gefördert, damit europaweit gleiche Sicherheitsstandards geschaffen werden können [DaGoB07]. Das Projekt dient inzwischen als Grundlage für weiterführende Forschungsaktivitäten zu diesem Themenbereich [Wein09, S. 247].
Häufig überfordert die große Anzahl an komplexen Gefahrgutvorschriften ungeschulte Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen. Deshalb verpflichtet die sogenannte Gefahrgutbeauftragtenverordnung (GbV) [GbV] solche Unternehmen, die Gefahrgüter herstellen, handeln oder befördern, dazu, in ihre Aufbauorganisation einen Gefahrgutbeauftragten zu integrieren. Der Gefahrgutbeauftragte dient als organisatorische Gestaltungshilfe sowie Überwachungs- und Beratungsorgan [GrMi11, S. 18-19].Es sind umfassende und regelmäßige Schulungen des Verantwortlichen notwendig, um bei allen relevanten Themen stets auf dem aktuellsten Stand zu sein. Durch die Einstellung eines Gefahrgutbeauftragten kann der Interessenskonflikt zwischen der Rechtssicherheit und Anwenderfreundlichkeit abgemildert werden. Durch zusätzliche Schulungen im Bereich der Gefahrstoffe können auch die Probleme aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Grundlagen bei Transport, Lagerung und dem Umgang reduziert werden.
Ist ein Gefahrgutunfall eingetreten, hat die Versorgung der Rettungskräfte mit Informationen, wie zum Beispiel der Art der Gefahrgüter oder die Beschaffenheit anderer Teilladungen, höchste Priorität. Da dies bisher nur schwer umsetzbar ist und zumeist eine aufwendige Recherche durchgeführt werden muss, um die Art des Gefahrguts oder die aktuelle Ladungszusammensetzung des Transportes zu ermitteln, wurde in dem internationalen Projekt Safer Transport of Dangerous Cargo (STRADA) ein System entwickelt, das den Rettungskräften die notwendigen Informationen für Straße und Schiene bereits bei der Alarmierung zur Verfügung stellt [STRADA13]. Zentraler Punkt des Projektergebnisses ist eine Datenbank, die es den am Gefahrguttransport Beteiligten ermöglicht, durch verschiedene Schnittstellen unter Verwendung herkömmlicher Technologien und Systeme und ohne wesentliche Änderungen ihrer Geschäftsprozesse die relevanten Informationen bereitzustellen. Die transportbezogenen Daten werden zum Schutz der Unternehmen nach Abschluss des Transportes vollständig aus dem System gelöscht. Weiterhin sind die Daten nur im Falle eines Unfalls und nur für autorisierte Personen zugänglich [Fis13, S. 22 f.]. Durch dieses System können bei Gefahrgutunfällen die Verantwortlichkeiten deutlich schneller geklärt werden und der Einsatz der Rettungskräfte verbessert werden.
Ansprechpartner
Technische Universität Hamburg, Institut für Maritime Logistik, Prof. Dr.-Ing. C. Jahn
Zugehörige Wissenslandkarte(n)
Gefahrgutlogistik im Spannungsfeld gegensätzlicher Anforderungen (Stand des Wissens: 23.02.2023)
https://www.forschungsinformationssystem.de/?450386
Literatur
[ArIs08] Arnold, D., Isermann, H., Kuhn, A., Furmans, K., Tempelmeier, H. Handbuch Logistik, Ausgabe/Auflage 3., neu bearbeitete Auflage, Springer-Verlag / Berlin Heidelberg, 2008, ISBN/ISSN 3540729283
[DaGoB07] o.A. Transport of Dangerous Goods in the Baltic Sea Region, DaGoB Project Office/Turku, 2007, ISBN/ISSN 978-951-564-533-3
[Fis13] Karl Fischer Vorsprung durch Kommunikation, veröffentlicht in Gefährliche Ladung, Ausgabe/Auflage 03, 2013/03
[GrMi11] Rolf Dietmar Grap, Birte Milnikel Chemielogistik im Kontext allgemeiner logistischer Anforderungen, 2011
[Hus13] Frank Huster Anders als andere Kinder, veröffentlicht in Gefährliche Ladung, Ausgabe/Auflage 05, 2013/05
[STRADA13] Waltraud Hartl STRADA - Safer Transport of Dangerous Cargo, 2013/06/05
[Wein09] A. Mullai, E. Larsson, A.Norrman A study of marine incidents databases in the Baltic Sea Region, 2009
Rechtsvorschriften
[GbV] Verordnung über die Bestellung von Gefahrgutbeauftragten in Unternehmen (Gefahrgutbeauftragtenverordnung - GbV)
[ReECDangGo] UN Model Regulations - UN Recommendations on the Transport of Dangerous Goods - Model Regulations

Auszug aus dem Forschungs-Informations-System (FIS) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur

https://www.forschungsinformationssystem.de/?450371

Gedruckt am Donnerstag, 28. März 2024 23:59:45